30.01.2019

Wie sieht ein Quantenteilchen die Welt?

Quantenforscher/innen von ÖAW und Universität Wien fanden heraus, dass bei der Frage, ob ein Objekt Quanteneigenschaften aufweist, das Bezugssystem von entscheidender Bedeutung ist. Das Ergebnis ihrer Forschungen veröffentlichten sie im Fachjournal "Nature Communications".

Bild 1: Quanteneigenschaften, wie z.B. die Quantensuperposition, sind nur in Bezug auf einen Beobachter definiert. Wenn wir einen vorbeifahrenden Zug aus der Sicht eines auf dem Bahnsteig stehenden Beobachters betrachten, erscheint der Zug in einer Quantenüberlagerung verschiedener Positionen. (© Christian Murzek/IQOQI Wien)

Eines der grundlegendsten Prinzipien der Physik besagt, dass ein auf einem Bahnsteig hüpfender Ball von einem Beobachter in einem vorbeifahrenden Zug und einem am Bahnsteig wartenden Beobachter mit denselben Gesetzen beschrieben wird – die Naturgesetze sind unabhängig von der Wahl eines Bezugssystems. Bezugssysteme wie der Zug und der Bahnsteig sind physikalische Systeme und unterliegen letztlich quantenmechanischen Gesetzen. Daher können sie sich beispielsweise im Prinzip auch in einer Quantensuperposition befinden. Wie würde jedoch die Beschreibung des Balls für einen Beobachter auf einem solchen "Quanten-Bahnsteig" aussehen? Forscher/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien haben nachgewiesen, dass es vom Bezugssystem abhängt, ob ein Objekt wie der Ball Quanteneigenschaften aufweist. Die physikalischen Gesetze sind allerdings weiterhin davon unabhängig. Die Ergebnisse erschienen nun in "Nature Communications".

Physikalische Systeme werden immer relativ zu einem Bezugssystem beschrieben. So kann beispielsweise ein auf einem Bahnsteig hüpfender Ball entweder vom Bahnsteig selbst oder von einem vorbeifahrenden Zug beobachtet werden. Ein Grundprinzip der Physik - das Prinzip der Allgemeinen Kovarianz - besagt, dass die physikalischen Gesetze, die die Bewegung des Balls beschreiben, nicht vom Bezugssystem des Beobachters abhängen. Dieses Prinzip war seit Galileo entscheidend für die Beschreibung von Bewegung und zentral für die Entwicklung von Einsteins Relativitätstheorie. Es beinhaltet Informationen über Symmetrien der physikalischen Gesetze aus der Sicht verschiedener Bezugssysteme.

Bezugssysteme sind physikalische Systeme, die letztlich quantenmechanischen Gesetzen unterliegen. Eine Forscher/innengruppe um Časlav Brukner von der Universität Wien und dem Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW stellte sich die Frage, ob es möglich sei, die Gesetze der Physik aus der Sicht eines am Quantenteilchen "klebenden" Beobachters zu formulieren und ein Quantenbezugssystem einzuführen. Sie konnten zeigen, dass man jedes Quantensystem als Quantenbezugssystem betrachten kann. Insbesondere stellten sie fest, dass - wenn ein Beobachter im fahrenden Zug den Bahnsteig in einer Quantenüberlagerung verschiedener Positionen zugleich sieht - eine auf dem Bahnsteig wartender Beobachter den Zug in einer eben solchen Quantenüberlagerung sieht. Folglich hängt es vom Bezugssystem des Beobachters ab, ob ein Objekt wie der Ball Quanten- oder klassische Eigenschaften aufweist. 

Darüber hinaus bewiesen die Forscher/innen, dass sich das Prinzip der Kovarianz auch auf Quantenbezugssysteme ausweitet. Das bedeutet, dass die Gesetze der Physik unabhängig von der Wahl des Quantenbezugssystems ihre Form behalten. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Symmetrien der Welt auf eine grundlegendere Ebene erweitert werden müssen", sagt Flaminia Giacomini, die Hauptautorin der Publikation. Diese Erkenntnis könnte im Zusammenspiel von Quantenmechanik und Gravitation relevant werden - ein Gebiet, das größtenteils noch unerforscht ist. Denn dort wird erwartet, dass der klassische Begriff des Bezugssystems nicht ausreicht und dass Bezugssysteme grundsätzlich Quanten sein müssen.

 

Publikation
"Quantum mechanics and the covariance of physical laws in quantum reference frames", F. Giacomini, E. Castro-Ruiz, and Č. Brukner, Nature Communications (2019),  
DOI: 10.1038/s41467-018-08155-0

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Wien der ÖAW