01.02.2016

WIE FLIEGEN FLIEGEN

Die Fruchtfliege Drosophila ist eine kleine Flugkünstlerin. Doch wie macht sie das? Neurobiologe Alexander Borst begab sich bei einer Karl von Frisch Lecture ins Cockpit der Fliege.

Bild: Wikimedia/CC
Bild: Wikimedia/CC

Fliegen sind wahre Akrobaten der Lüfte. Sie können Loops drehen, komplizierte Landungsmanöver bewältigen und im Flug geschickt sich bewegenden Objekten ausweichen, wie alle wissen, die schon einmal einer Fliege in mörderischer Absicht zu Leibe rücken wollten. Der Frage: „Wie machen die das?“ hat Alexander Borst, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München, einen großen Teil seines wissenschaftlichen Lebens gewidmet. Am 27. Jänner 2016 war er im Rahmen der Karl von Frisch Lectures an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) auf der Bühne des Festsaals zu erleben.

„Der heilige Gral“ seiner Forschung, so nannte es Alexander Borst, war der „Reichardt Detektor“, ein von Werner Reichardt in den 1950er Jahren entwickeltes Schaltkreismodell für Bewegungswahrnehmung. Borst war überzeugt, dass dieses Modell genau beschreiben könne, wie die Verrechnung von Information zwischen dem Auge der Fliege und dem Fliegenhirn vor sich gehe, also auf welche Weise aus den Lichtimpulsen, die die Fotorezeptoren des Facettenauges empfangen, eine Bewegungsreaktion in der „Lobula Platte“ genannten Hirnregion wird, dem „Cockpit der Fliege“ sozusagen.

Im „Great Ballroom“ mit Drosophila

Wie aber sollte man nachweisen, welche Nervenzelle genau für die Verarbeitung welcher Bewegungsrichtung verantwortlich ist? Drosophilas Gehirn ist zu klein, als dass man Nervenaktivität mit Elektroden messen könnte. Also bediente sich Borsts Team genetischer Methoden. Dabei wurden entweder per Genmutation einzelne Nervenzellen blockiert, oder ein „Calcium Indikator“ in die Zellen eingebracht – ein Protein, das bei Lichteinfall fluoresziert, so dass sich die Aktivität von Hirnzellen optisch messen lässt. An den solcherart präparierten Fliegen ließ sich nun testen, ob und wie sie auf Hell-dunkel-Kanten oder Streifenmuster reagierten.

Auch sonst ist Erfindungsgeist gefragt, um die winzig kleinen Versuchsobjekte zu beforschen. Um ihre Hirnzellen zum Leuchten zu bringen, ohne das Fliegenauge zu blenden, betrachtete man Drosophila unter einem Zwei-Photonen-Mikroskop. Um ihr Richtungsverhalten zu beobachten, ließ man sie in einer eigens entwickelten Apparatur auf winzigen Styroporbällen balancieren. Borst erzählte, dass die Mitarbeiter/innen seiner Forschungsgruppe etwas ungeduldig waren und daher immer mehrere Fliegen zur gleichen Zeit balancieren ließen – der Raum mit den Apparaturen erhielt daher sinnigerweise den Spitznamen „Great Ballroom“.

Von Fliegen und Mäusen

Schließlich gelang es dem Team, sogenannte T4- und T5-Zellen als entgegengesetzt bewegungsempfindliche Neuronen nachzuweisen. Während die T4-Zelle auf Hell- aber nicht auf Dunkelkanten reagiert, ist es bei T5 genau umgekehrt. Die beiden fungieren also jeweils als ein On- und Off-Bewegungsdetektor. Blockierte man die Nerven T4 und T5, waren die Fliegen tatsächlich bewegungsblind. Dadurch ließ sich nun auch die Funktion der Nerven als Schaltkreis darstellen. Interessanterweise gleicht der Schaltkreis für das Bewegungssehen der Fliegen dem von Säugetieren. Borst demonstrierte dies an der Gegenüberstellung des für Drosophila nachgewiesenen Schaltkreismodells mit dem für das Sehen von Mäusen. Ob die Ähnlichkeit auf gemeinsame evolutionäre Vorfahren schließen lässt, oder ob die Natur im Laufe der Jahrmillionen das geniale Muster gleich mehrmals erfand – das bleibe eine offene und vermutlich auch nicht zu beantwortende Frage, so Borst.

Selbststeuernde Flugroboter

Doch was macht man mit dem Wissen über das Fliegencockpit? Es könnte zum Beispiel bei der Entwicklung autonomer, nicht ferngesteuerter Flugroboter eingesetzt werden. Borst und sein Team initiierten mit dem Projekt „Robofly“ bereits eine technische Anwendung. Sie übertrugen das Kurskontrollsystem der Fliege auf einen kleinen Quadrokopter, der bislang allerdings noch nicht ganz selbständig fliegt.

Doch solche Anwendungsmöglichkeiten sind nur ein Aspekt. Denn für einen Grundlagenforscher stehen nach der Lösung wissenschaftlicher Rätsel sogleich die nächsten Fragen im Vordergrund. So will Alexander Borst in seinen weiteren Forschungen verstehen, wie der Prozess des Richtungssehens bei Fliegen auf subzellulärer Ebene vonstatten geht. Welche Neurotransmitter sind am Werk, wie arbeiten die Dendriten im Nervenwerk der kleinen Luftakrobaten? Die Frage „Wie machen die das?“ hat mindestens so viele Facetten wie ein Fliegenauge.

 

Nächster Vortrag: Am 2. März 2016 spricht Wolf Singer im Rahmen der Karl von Frisch Lectures zum Thema „Das Gehirn organisiert sich selbst".