11.04.2017

Volkssprachen als politische Strategie der Kirchenreform

Die Reformatoren des Mittelalters verfolgten eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit: Indem sie ihre Gesellschaftsvisionen bewusst in der Sprache des Volkes formulierten, vergrößerten sie ihr Publikum. Doch erst der Buchdruck machte die Reformation zum Erfolg.

Bild: Meister Theoderich von Prag © Nationalgalerie Prag

Vor 500 Jahren hat Martin Luther seine 95 Thesen angeschlagen und damit die Reformation eingeläutet. Ein Wendepunkt in der Geschichte Europas, der bis heute nachwirkt. Doch bereits hundert Jahre vor Luther hat in Böhmen eine Reformbewegung um den Prager Universitätsprofessor Jan Hus (1370–1415) die Autorität der Kirche angezweifelt. Sie ging in eine bewaffnete Revolte über, spaltete sich von der katholischen Kirche ab und etablierte eine neue christliche Konfession.

Ein entscheidender Motor dieser ersten Reformation waren Schriften, die nicht in Latein sondern in der Volkssprache verfasst waren. Das ist eines der Ergebnisse von Forschungen eines internationalen Teams um die Historikerin Pavlína Rychterová vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Der Erfolg reformatorischer Ideen ist nicht vom Siegeszug der Volkssprachen zu trennen.

Rychterová und ihre Kolleg/innen haben sechs Jahre lang im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat ERC mit einem Starting Grant geförderten Projekts „OVERMODE – Origins of the Vernacular Mode“ Texte des 14. und 15. Jahrhunderts analysiert. Dabei konnten sie unter anderem feststellen, dass die Volkssprachen im Spätmittelalter allmählich zu Sprachen der Bildung und Politik wurden – und dadurch beides zum Thema in der breiten Bevölkerung. 

Volkssprachliche Texte erreichten breite Öffentlichkeit

Der Erfolg reformatorischer Ideen ist nicht vom Siegeszug der Volkssprachen zu trennen, wie die Forscher/innen erklären. Denn Reformer wie Jan Hus und später auch Martin Luther hätten ihre Schriften bewusst in der Sprache des Volkes verfasst, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

„Diese Strategie war sehr erfolgreich“, sagt Pavlína Rychterová. „Damit wurde eine Öffentlichkeit geschaffen, die sich über alle gesellschaftlichen Schichten erstreckte – vielleicht erstmals in der Geschichte Europas.“ Hätten die Reformatoren ihre Schriften hingegen auf Latein verfasst, wie zur damaligen Zeit in der Debatte um die Kirchenreform üblich, wären sie wohl hauptsächlich von den Gelehrten selbst wahrgenommen worden. Nur die wenigsten Laien konnten Latein lesen oder schreiben.


Buchdruck als Antwort auf reformatorischen Bedarf

Doch die Volkssprachen allein reichten für die Durchsetzung der Reformidee noch nicht aus, wie die Historiker/innen betonen. Die neuen Ideen und Argumente mussten die jeweilige Zielgruppe vor allem möglichst schnell erreichen. Und hier kommt die Erfindung des Buchdrucks ins Spiel, der sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts rasch in Europa zu verbreiten begann.  

Als Jan Hus seine kirchenkritische Schrift „Über die Kirche“ fertig gestellt hatte, machten sich 300 Schreiber an die Abschrift.

„Es wird allgemein angenommen, dass die Technologie erst den Bedarf geschaffen hat. Tatsächlich war es aber umgekehrt“, sagt Rychterová. Denn bereits die hussitische Reformbewegung hatte gezielt versucht den Informationsfluss zu beschleunigen. Als Jan Hus beispielsweise seine kirchenkritische Schrift „Über die Kirche“ fertig gestellt hatte, machten sich sogleich 300 Schreiber gleichzeitig an die Abschrift. Die Hussiten waren nicht die einzigen: Aus vielen europäischen Ländern sind Manufakturen bekannt, in denen Handschriften wie am Fließband vervielfältigt wurden. Mit der Druckerpresse konnte die Effizienz nun bedeutend gesteigert werden.

„Was mit dem bewussten Gebrauch der Volkssprachen begonnen wurde, nämlich den gelehrten religiösen Diskurs zu den Laien hin zu öffnen, konnte mit Hilfe des Buchdrucks vollendet werden“, so ÖAW-Historikerin Rychterova: „Der Buchdruck entstand aus einem gesellschaftlichen Bedürfnis heraus.“

An dem nun abgeschlossenen ERC-Projekt von Pavlína Rychterová waren vierzehn Historiker/innen aus Österreich, Tschechien, Ungarn und Polen beteiligt, die in Einzelprojekten die Zeit an der Schwelle zur medialen Revolution des Buchdrucks erforschten. Dabei wurden bisher oft vernachlässigtes historisches Quellenmaterial erschlossen, neue Methoden der Textanalyse formuliert, und gesamteuropäische Forschungsnetzwerke aufgebaut.

 

 

Pavlína Rychterová ist Historikerin am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW. Dort leitet sie das Project „Origins of the Vernacular Mode”, für das sie 2010 einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats erhalten hat. Die Heinz Maier-Leibnitz-Preisträgerin studierte Geschichte und Slawistik in Prag und Konstanz, und war APART-Stipendiatin der ÖAW. Rychterová unterrichtete u.a. an den Universitäten Prag, Konstanz, Tübingen, Frankfurt/M und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Fellow in dem Zentrum für Mittelalterforschung der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und wurde 2008 in die heutige Junge Akademie der ÖAW aufgenommen.

 

 

 ERC-Project OVERMODE

 Institut für Mittelalterforschung der ÖAW