05.08.2019 | Debatte zum Euroraum

RÜSTZEUG FÜR DIE NÄCHSTE WIRTSCHAFTSKRISE GESUCHT

Über die Zukunft des Euroraums diskutierten renommierte Wirtschaftsxpert/innen an der ÖAW. Weitgehend einig waren sie sich, woran es derzeit krankt, nicht aber bei den möglichen Lösungsansätzen

© ÖAW

Der Euroraum braucht Reformen, das ist zehn Jahre nach der gravierenden Weltwirtschafts-, Banken- und Eurokrise klar. Doch welche? Dazu fand Ende Juni eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) statt. Unter der Moderation von Robert Holzmann, designierter Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank und ÖAW-Mitglied, debattierten Agnès Bénassy Quéré, Elke König, Klaus Regling und Josef Zechner.

„Wir müssen so handeln, dass wir die Fehler der Notenbanken der ‚Großen Depression‘ von 1929 nicht wiederholen“, stellte Ewald Nowotny, amtierender Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank in seiner Einleitung klar. Damals hätte die amerikanische Notenbank FED die Banken stabilisieren können, tat dies aber nicht, sondern hielt Geld zurück. Das Ergebnis: Die Banken- und Wirtschaftskrise wurde weiter verschärft. Dies dürfe nicht mehr passieren.

Konfliktlinien in der europäischen Wirtschaftspolitik

Doch auch heute könne die Europäische Zentralbank (EZB) nicht viel tun, um fiskale Krisen zu bekämpfen, knüpfte die französische Ökonomin Agnès Bénassy-Quéré (siehe auch das Interview mit ihr weiter unten) direkt daran an. Es habe zwar einige große und teils richtige Reformen nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 gegeben, insgesamt seien aber viele falsche Schlüsse gezogen worden. „Der fundamentale Fehler liegt im Vertrag von Maastricht der EU (1992): Im Fall eines Staatsbankrotts gibt es keinen Bailout, keinen Weg, das nötige Geld einzutreiben“, sagte Bénassy-Quéré, die als eine von 14 deutsch-französischen Wirtschaftswissenschaftler/innen ein vielbeachtetes Papier über den Status Quo und nötige Reformen im Euroraum ausgearbeitet hat.

Der fundamentale Fehler liegt im Vertrag von Maastricht: Im Fall eines Staatsbankrotts gibt es keinen Bailout, keinen Weg, das nötige Geld einzutreiben.

„Die wirtschaftspolitischen Konfliktlinien verlaufen nicht zwischen Deutschland und Frankreich, sondern zwischen Ordoliberalismus (Wirtschaften innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens, Anm.) und anglosäschischen Neoliberalismus (mit viel weniger staatlichen Einschränkungen der Wirtschaft, Anm.)“, erklärte Bénassy-Quéré, die in der neoliberalen Spar- und Schuldenabbaupolitik zur Krisenbewältigung einen großen Fehler sieht. Nötig seien vielmehr Investitionen in wirtschaftlich guten Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, sowohl von staatlicher wie auch industrieller Seite. Damit könne man auch die europaweit niedrige Inflation bekämpfen, ein großes Problem der EU, so die Ökonomin. 

Bessere Ausgangslage, aber noch viel zu tun  

Diese, die niedrige Inflation, sei kein rein europäisches Problem, sagte der geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Klaus Regling. Was Instrumente für zukünftige Krisen betreffe, sei der Euroraum zudem deutlich besser aufgestellt als noch vor zehn Jahren. „Dennoch gibt es noch einiges zu tun, um die Währungsunion noch robuster und weniger krisenanfällig zu machen“, so Regling, der betonte, dass sich die hohen Zahlungen an die Krisenländer in Form günstiger Kredite bewährt hätten. Die betroffenen Länder stünden, dank erfolgreicher und tiefgreifender Reformen, heute wirtschaftlich viel besser da als noch vor zehn Jahren.

Er betonte, dass es noch mehr Risikoteilung im Euroraum brauche – einerseits über eine Vervollständigung der Bankenunion sowie durch die Schaffung einer Kapitalmarktunion, aber auch mithilfe von Mechanismen zur makroökonomischen Stabilisierung. Die Mitgliedsstaaten seien hierüber nach wie vor in engem Austausch, auch wenn sich so schnell noch keine Einigung abzeichne. 

Ein Problem ist, dass es derzeit 19 verschiedene Insolvenzsysteme, Verwaltungen und Sicherheitstöpfe für Spareinlagen in den 19 Euro-Staaten gibt. Stattdessen braucht es ein einziges europäisches Rahmenwerk für alle Staaten.

Auch Elke König, Vorsitzende des einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) in Brüssel, betonte die hohe Solidarität, als es darum ging, die enorme Krise in Griechenland, Spanien, Irland, Portugal und Italien abzufedern. „Ein Problem ist aber, dass es derzeit 19 verschiedene Insolvenzsysteme, Verwaltungen und Sicherheitstöpfe für Spareinlagen in den 19 Euro-Staaten gibt. Stattdessen braucht es ein einziges europäisches Rahmenwerk für alle Staaten“, sagte König. Eine andere offene Frage betreffe den Unterschied zwischen Heimat- und Gastland einer Bank, schließlich gebe es – trotz europäischer Aufsicht und Abwicklungsbehörde – immer noch die Befürchtung, dass man bei einer etwaigen Insolvenzabwicklung zuvorderst an das Heimatland, nicht aber an die ausländischen Ableger denke. Um besser für künftige Krisen gerüstet zu sein, plädierte König auch für eine Vollendung der Kapitalmarktunion.  

Sicheres Asset auf EU-Ebene

Die Verquickung von Staatsrisiken und Bankenrisiken sah Josef Zechner, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitglied der ÖAW, in der Diskussion als ursächliches Problem an: Relativ zur Wirtschaftsleistung sei der Bankensektor im Euroraum dreimal so groß wie jener in den USA und habe daher eine wesentlich höhere Bedeutung für die Stabilität dieser Staaten. Weil Ressourcen von Banken in die Refinanzierung von Staaten gehen, nicht aber in die Wirtschaft, käme es zu einem Teufelskreis mit immer niedrigeren Ratings, sagte der Ökonom: „Mögliche Ansätze wären regulatorische Begrenzungen der Investitionen der Banken in Anleihen einzelner EU-Staaten, oder strengere Regeln für Banken, entsprechende Eigenmittel zu halten. Am besten wäre aber die Schaffung eines sicheren Assets bestehend aus Anleihen von Eurostaaten, etwa SBBS (sovereign bond-backed securities), also verbriefte Wertpapiere, besichert durch Anleihen der Eurostaaten.“

Ein Safe Asset würde Staaten und Banken entkoppeln, die Währungsunion vollenden und die internationale Rolle des Euro stärken.

Dem stimmte auch ESM-Direktor Regling zu: „Ein Safe Asset würde Staaten und Banken entkoppeln, die Währungsunion vollenden und die internationale Rolle des Euro stärken.“ Er hoffe, dass bei einer Umsetzung der akademische Bereich helfe und auch weiterhin Lösungsvorschläge aufzeige. Die Vorsitzende des SRB, Elke König, plädierte gegen Ende der Diskussion für ein „Aufräumen“ bei „non-performing-loans“, die es in vielen Bilanzen noch gebe. Nur so werden die Banken gewappnet sein für einen etwaigen Abschwung. Und die Ökonomin Bénassy-Quéré betonte einmal mehr, dass es europäische Lösungen für wirtschaftliche Probleme auf Länderebene geben müsse.

 

 

ZUR VERANSTALTUNG

„Der Euroraum: Struktur, Herausforderungen und Lösungen“ lautete der Titel einer Debatte am 27. Juni 2019 im Festsaal der ÖAW. Nach Begrüßungsworten des Gouverneurs der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny, diskutierten unter der Leitung seines designierten Nachfolgers Robert Holzmann die Ökonomin Agnès Bénassy Quéré von der Pariser Sorbonne, Elke König, Vorsitzende des einheitlichen Abwicklungsauschusses, Klaus Regling, Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus, sowie WU-Wirtschaftswissenschaftler Josef Zechner.