17.11.2016

Mit „Zucchini“ und „Nibbler“ gegen springende Gene

Wie kleine Fragmente der RNA in der Zelle zu einem effektiven Sicherheitssystem gegen Genomparasiten generiert werden, haben Molekularbiolog/innen der ÖAW aufgeklärt. Darüber berichten sie nun im Fachjournal „Nature“.

© Klaus Pichler/ÖAW

Rund die Hälfte des menschlichen Genoms wird von sogenannten egoistischen Genen wie Transposons bevölkert. Diese auch als springende Gene bezeichneten Parasiten sind Überbleibsel aus evolutionärer Vorzeit, die eingebettet in unserer DNA ruhen. Meist sind sie inaktiv und harmlos. Doch werden Transposons aktiv, können sie beliebig im Erbgut herumspringen und Mutationen auslösen.

Der springende Punkt ist die Vielfalt

Allerdings sorgen die vielen, über die Zeit gesammelten Gensequenzen ähnlich einer „genetischen Knetmasse“ auch für Vielfalt in der DNA und treiben evolutionäre Prozesse an. Mittlerweile weiß man, dass manche der „prominenten“ Mutationen durch Transposons verursacht wurden, wie zum Beispiel beim Birkenspanner: Der Schmetterling kam plötzlich in einer dunklen Variante vor, was die mutierten Varianten in Zeiten industriebedingter Luftverschmutzung erfolgreicher machte, denn plötzlich konnten sie sich besser an den verrußten Birkenstämmen tarnen. Dennoch: Meist sind Mutationen, die durch egoistische Gensequenzen ausgelöst werden, schädlich. Besonders gerne springen Transposons in Keimzellen, wo sie besonders nachhaltige Schäden verursachen und Unfruchtbarkeit auslösen können.

Doch die Keimzelle rüstet sich gegen die hüpfenden Störenfriede im Erbgut und benutzt kleine RNA-Fragmente, sogenannte piRNAs, um sie lahm zu legen. Diese winzigen RNAs erkennen die egoistischen Passagen im Erbgut, docken daran an und legen diese still. piRNAs funktionieren wie eine Art Immunsystem für das Genom. Da sie selber unterschiedlichste Sequenzen von DNA-Eindringlingen erkennen müssen, sind auch piRNAs besonders vielfältig, was es den Forscher/innen bisher schwer machte, den genauen Entstehungsmechanismus zu entschlüsseln.

Wie die Wächter des Genoms gebastelt werden

Bereits vor zehn Jahren konnten Julius Brennecke, Gruppenleiter am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), und Kolleg/innen nachweisen, dass piRNAs in den Keimzellen der Fruchtfliege diese Schutzfunktion übernehmen. Neueste Erkenntnisse der RNA-Biologie lieferten einem Team um die ÖAW-Forscher Stefan Ameres und Julius Brennecke nun erstmals Einblicke, wie und wo genau piRNAs in der Zelle fabriziert werden. Darüber berichten sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“.

„Bei der Herstellung von piRNAs müssen beide Enden des Moleküls exakt zugeschnitten werden. Zwar war bekannt, welcher Mechanismus das eine Ende einer solchen Sequenz definiert. Nun konnten wir herausfinden, wie das andere Ende der piRNA ‚zurechtgestutzt’ wird, und dass dies über zwei verschiedene molekulare Systeme passiert“, erklärt Jakob Schnabl vom IMBA, der gemeinsam mit Rippei Hayashi Erstautor der Studie ist.

Stefan Ameres ergänzt: “Wir konnten nachweisen, dass es zwei Wege gibt, um einsatzfähige piRNAs herzustellen. Am Mitochondrium wirkt ein Enzym namens ‚Zucchini‘ und schneidet piRNAs. Aber auch an einem anderen Ort der Zelle, nämlich im Zellplasma, werden die Vorläufer-RNA-Stückchen von einem Protein mit dem passendem Namen ‚Nibbler‘ zurechtgeknabbert."

Mit Grundlagenforschung Evolution besser verstehen

„Erstmals konnten wir den Herstellungsmechanismus der piRNAs vollständig klären. Erstaunlich ist, dass die beiden Systeme zur Entstehung oder Biogenese von piRNAs sehr genau aufeinander abgestimmt und in verschiedenen Bereichen der Zelle aktiv sind. Die Tatsache, dass diese zwei Systeme weit verbreitet im Tierreich sind, eröffnet die interessante Frage, warum sich diese Mechanismen parallel ausgebildet haben“, fasst Julius Brennecke das Ergebnis der Studie zusammen. „Erkenntnisse der aktuellen Arbeit können auch dabei helfen, evolutionäre Vorgänge auf molekularer Ebene besser zu verstehen und in einem neuen Licht zu sehen. Denn das Wetteifern, das wir in der Natur zwischen Parasit und Wirt beobachten können, findet fortwährend auch in unserem Erbgut statt“.

 

Publikation:
“'Genetic and mechanistic diversity

of piRNA 3'-end formation'”. Rippei Hayashi, Jakob Schnabl, Dominik

Handler, Fabio Mohn, Stefan L. Ameres, Julius Brennecke. Nature, 2016
DOI:10.1038/nature20162

Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW