02.08.2017

Mit jedem Tick der Entropie entgegen

Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass über Zeit die Entropie im Universum stetig zunimmt. Quantenphysiker der ÖAW konnten zeigen, dass auch die Zeitmessung selbst dazu beiträgt. Darüber berichten sie nun in der Fachzeitschrift „Physical Review X“.

©Shutterstock.com
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Unordnung kennt man vielleicht vor allem vom eigenen Schreibtisch. Doch immerhin: unser Schreibtisch ist nicht allein im Universum. Seit dem Urknall vor mehr als 13 Milliarden Jahren nimmt die Unordnung im Universum stetig zu. Das besagt in der Physik der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Betrachtet man damit das Universum als ein abgeschlossenes System, kann in ihm die Entropie nur zu- aber nicht abnehmen. Gemäß der Theorie, wird daher irgendwann die Entropie im Universum die Oberhand gewinnen und es werden keine geordneten Strukturen mehr zu finden sein.

Ein internationales Team um den Quantenphysiker Marcus Huber vom Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnte nun mit einem Gedanken-Experiment zeigen, dass jedes Ticken einer Uhr uns der Erhöhung der Entropie nicht nur näherbringt, sondern auch selbst zu dieser Erhöhung beiträgt – und zwar umso mehr, je genauer eine Uhr tickt. Darüber berichten die Forscher aktuell in „Physical Review X“. Im Interview erklärt Huber, warum Uhren eigentlich Entropie erzeugen, und warum wir Zeit nicht unendlich genau messen können.

Normalerweise kümmert sich die Quantentheorie nicht besonders um Zeit. Wie sind Sie auf die Idee Ihres Gedanken-Experiments gekommen?

Marcus Huber: Weil Zeit eines der sonderbarsten Mysterien in der Quantenphysik ist. Bei Prozessen in der Quantenmechanik, oder auch der klassischen Mechanik, spielt es keine Rolle, in welcher Zeitrichtung sie ablaufen. Nehmen wir zum Beispiel zwei Billardkugeln, die gegeneinander stoßen und dann perfekt elastisch wieder voneinander abprallen. Läuft dieser Film vorwärts oder rückwärts, wenn ich ihn anschaue? Ich kann es nicht sagen. Genauso ist es mit einzelnen Quantenteilchen. Wenn nun aber die grundlegendsten physikalischen Gesetze, die wir kennen, zeitpfeilinvariant sind, also vorwärts genauso wie rückwärts funktionieren, warum erinnern wir uns dann an die Vergangenheit, warum laufen unsere Uhren vorwärts?

Warum haben sie, um das herauszufinden, gerade eine „autonome Quantenuhr“ entworfen?

Huber: Um naturwissenschaftlich etwas über Zeit aussagen zu können, müssen wir Uhren  bauen, und die genauesten Uhren heute sind in der Essenz quantenmechanische Uhren, Atomuhren zum Beispiel funktionieren mit ähnlichen Prinzipien. Unser Team stellte sich nun die Frage: Wenn wir im Rahmen aller in der Quantenmechanik erlaubten Möglichkeiten die perfekte Uhr bauen würden: Was bräuchte sie, um zu ticken, und wie genau könnte sie eigentlich gehen? Dazu mussten wir zunächst einmal den Prozess der Zeitmessung auf seine elementarsten Bestandteile herunterbrechen. Die kleinstmögliche Uhr, die mit den Gesetzen der Quantenmechanik vereinbar ist, besteht aus mindestens zwei, beziehungsweise, wenn sie autonom sein soll, drei Quantensystemen. „Autonom“ bedeutet, dass sie keine versteckte äußere Messeinrichtung braucht, also eine Uhr, um gelesen zu werden.

 

Auch eine Uhr trägt zur Entropie bei, und je genauer sie tickt, desto mehr Entropie muss sie per Tick dissipieren. Jeder Tick kostet mich sozusagen ein Stückchen Entropie.

 

Das Ganze existiert ja zunächst als Computersimulation. Wie kann man sich die „perfekte Uhr“ konkret vorstellen?

Huber: Unser Gedankenexperiment zeigt, dass Uhren im Wesentlichen Maschinen sind, die von einem Nichtgleichgewichtszustand zu einem thermodynamischen Gleichgewicht tendieren und diesen Prozess nutzen wir, um messbare „ticks“ zu produzieren.  Im mathematischen Modell funktioniert unsere Uhr über zwei Reservoirs unterschiedlicher Temperatur, gekoppelt mit zwei Zweiniveauquantensystemen. Hier fliesst dann Wärme vom heißen ins kältere Reservoir und treibt die Maschine somit an. Mit leichten Modifikationen sind wir dabei, diese Uhr auch im Labor zu bauen, sie ist also keine Science Fiction. Allerdings sind wir hier in einer Forschungssituation, in der ein physisches Experiment gar nicht mehr so viel zusätzlichen Sinn ergibt. Denn es geht ja ums gedankliche Prinzip, also um die „Uhr der Uhren“ sozusagen, die Möglichkeit aller Uhren, die jemals gebaut werden können.

Sie sind in Ihrer Untersuchung dann auf Gesetze der Thermodynamik zurückgekommen.

Huber: Eine der klarsten Begründungen für einen Zeitpfeil, also die Trennung von Prozessen in Vergangenheit und Zukunft, ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Um im Filmbeispiel zu bleiben: Wenn ich sehe, wie eine Kaffeetasse zu Boden fällt und zerbricht, weiß ich sehr wohl, in welche Richtung die Bewegung geht und ob der Film vorwärts oder rückwärts läuft. Der Prozess ist nicht reversibel. Salopp formuliert bedeutet das, dass die Entropie, die „Unordnung“ stetig zunimmt. Was wir nun in unserem Experiment herausgefunden haben ist: Auch eine Uhr trägt dazu bei, und je genauer sie tickt, desto mehr Entropie muss sie per Tick dissipieren. Jeder Tick kostet mich sozusagen ein Stückchen Entropie.

Das heißt, dass es auch quantenmechanisch kein Perpetuum mobile gibt?

Huber: Ja, oder mit anderen Worten: Uhren sind auch nur Maschinen. Es gibt zwei Eigenschaften, die man von einer Uhr gerne hätte: Genauigkeit und Auflösung, also wie groß oder klein ich die Skala wähle. Beide Parameter kann man gegeneinander aufwiegen. Entweder mache ich die Uhr sehr genau, dann verbraucht sie viel Energie, oder ich vergrößere die Skala, dann verbraucht sie weniger. Für unendliche Genauigkeit müsste ich unendlich viel Energie pro Tick ausgeben. Ich könnte mir umgekehrt theoretisch auch eine Uhr denken, die mit 100 Prozent Effizienz arbeitet, also so gut wie keine messbare Energie verbraucht. Aber dann tickt sie nie.

 

Für unendliche Genauigkeit müsste ich unendlich viel Energie pro Tick ausgeben. Ich könnte mir umgekehrt auch eine Uhr denken, die mit 100 Prozent Effizienz arbeitet, also so gut wie keine messbare Energie verbraucht. Aber dann tickt sie nie.

 

Haben Ihre Forschungsergebnisse Konsequenzen für unser Verständnis von Zeit?

Huber: Die alltägliche Auffassung von Zeit berühren sie kaum, wohl aber die der Quantenmechanik, in der Zeit klassischerweise als beliebig genauer Parameter auftritt. Wir tun so, als könnten wir Zeit theoretisch unendlich exakt messen. Unsere Forschung hat aber gezeigt, dass es hier Limits gibt. Wir können zwar die Genauigkeit maximieren, indem wir die Energieressourcen hochtreiben, aber die Energie ist irgendwann verbraucht. Anders gesagt: Mit endlich viel Energie können wir auch nur endlich genaue Uhren bauen. Wir müssen uns also damit abfinden, dass sich innerhalb des Modells der Quantenmechanik Zeit nicht beliebig exakt bestimmen lässt.

Könnte man also sagen: Je genauer wir Zeit messen, desto schneller rasen wir dem Wärmetod entgegen?

Huber: Polemisch gesagt schon, ja. Jede Maschine verbraucht unsere Ressourcen irreversibel.

Wäre es da nicht nachhaltiger, wenn Sie weniger genaue Uhren bauen?

Huber: Um Uhren würde ich mir da am wenigsten Sorgen machen. Wir reden hier von kleinsten Einheiten, selbst wenn ich Millionen perfekter Quantenuhren baue, komme ich noch nicht an den Verbrauch einer Glühbirne heran. Da können wir also ruhig noch etwas weiter forschen.

 

Publikation:

“Autonomous Quantum Clocks: Does Thermodynamics Limit Our Ability to Measure Time?” Paul Erker, Mark T. Mitchison, Ralph Silva, Mischa P. Woods, Nicolas Brunner, and Marcus Huber. Physical Review X, 2017.
DOI: 10.1103/PhysRevX.7.031022