10.09.2019 | Wie Pflanzen sich schützen

Kung-Fu im Reich der Pflanzen

In der Tierwelt wird mit Krallen und Zähnen um Ressourcen gekämpft. Pflanzen nutzen lieber chemische Waffen. Claude Becker, Pflanzenbiologe an der ÖAW, erforscht die Stoffe und Mechanismen, die dabei zum Einsatz kommen, auf genetischer Ebene. Davon könnten in Zukunft Landwirtschaft und Medizin profitieren.

Ein Walnussbaum produziert nicht nur schmackhafte Nüsse. Er ist auch ziemlich wehrhaft. Der Baum gibt eine Substanz in den Boden ab, die andere Pflanzen am Wachstum hindert. © Pixabay

Ein schöner Garten oder ein herbstlicher Wald wirken auf den ersten Blick friedlich und entspannend. In Wahrheit tobt aber ein ständiger Kampf zwischen den verschiedenen Pflanzenarten. Dabei kommen teilweise komplexe chemische Waffen zum Einsatz. Ein Walnussbaum zum Beispiel gibt über seine Blätter und die Fruchtschalen eine Substanz namens Juglon in den Boden ab, die viele andere Pflanzen am Wachstum hindert. Diese Art der chemischen Inhibierung anderer Pflanzen wird in der Wissenschaft Allelopathie genannt. “Die ersten Berichte darüber, dass einige Pflanzen das Wachstum anderer Arten stören, kommen aus alten griechischen Texten. Im Zuge des Gemüsebaus wurden Anfang des 20. Jahrhunderts einige Beispiele erforscht. Seit den 1990er-Jahren werden die Mechanismen auch molekularbiologisch untersucht. Die Genetik hat sich bisher rausgehalten, das wollen wir jetzt änden”, erklärt Becker.

Die ersten Berichte darüber, dass einige Pflanzen das Wachstum anderer Arten stören, kommen aus alten griechischen Texten.

Die Erforschung der chemischen Waffen der Flora ist kompliziert, weil die Wechselwirkungen mit Bakterien und anderen Mikroorganismen im Boden oft komplex und für die Wirksamkeit essentiell sind. Im Labor lassen sich diese Systeme nur bedingt nachbauen. “Die Wirkstoffe sind zudem oft schwer löslich und dadurch schwierig zu messen. Oft ist auch die Abgrenzung zwischen normalem Wettbewerb um Ressourcen und Allelopathie nicht trivial”, sagt Becker. Bei einigen wenigen Pflanzenarten sind die Wirkstoffe, die zur Bekämpfung von Konkurrenten eingesetzt werden, bereits bekannt. Dazu gehören etwa der Walnussbaum und Reis. Neben Stoffen, die das Wachstum hemmen, werden in einigen Fällen auch Stoffe abgegeben, die andere Arten begünstigen.

Altes Wissen

“Hier ist viel Wissen verloren gegangen. In weniger industrialisierten Gesellschaften wussten die Menschen noch eher, welche Pflanzen sich vertragen und welche nicht. Das ist mit unseren Monokulturen und dem Einsatz von Herbiziden nicht mehr relevant. Die Erfahrungen von Hobbygärtnern können für uns als Ansatzpunkte deshalb oft Gold wert sein”, sagt Becker. Bislang sind nur wenige allelopathische Stoffe erforscht. Selbst bei bekannten Substanzen ist die Wirkungsweise oft noch nicht komplett verstanden. “Die Chemikalien wirken oft auf alte, grundlegende Systeme in den Pflanzen. Das bedeutet, dass sie sehr breit wirksam sind und auch die produzierenden Pflanzen oder sogar Tiere und Menschen angreifen können. Die produzierenden Arten müssen deshalb oft Abwehrmechanismen gegen ihre eigenen chemischen Waffen entwickeln. Das ist energetisch kostspielig”, sagt Becker. Mais und Reis etwa erzeugen wachstumshemmende Substanzen, gegen die sie selbst Schutzmechanismen entwickeln müssen.

Die Chemikalien wirken oft auf alte, grundlegende Systeme in den Pflanzen. Das bedeutet, dass sie sehr breit wirksam sind und auch die produzierenden Pflanzen angreifen können. Sie müssen Abwehrmechanismen gegen ihre eigenen chemischen Waffen entwickeln.

Bei Mais gibt es bereits Linien, die keine toxischen Substanzen produzieren und dadurch auch nicht gezwungen sind, in Schutzmechanismen zu investieren. Diese sind dann aber anfälliger für Schädlinge und Pilzbefall. Die Forscher untersuchen derzeit auch, was mit den relevanten Chemikalien passiert, wenn sie in den Boden abgegeben werden. “Bakterien und Pilze spielen eine große Rolle, weil viele Substanzen erst umgewandelt werden müssen, bevor sie wirksam werden. Wir möchten wissen, ob die Mikroorganismen vielleicht sogar der bestimmende Faktor bei der Allelopathie sind,” sagt Becker.

Beim Mais zum Beispiel ist der Ausgangsstoff nur sehr leicht toxisch. In der Erde passieren mindestens drei Umwandlungsschritte, die in einem stabilen und stark wachstumshemmenden Mittel resultieren. “Die Mikroorganismen verhalten sich in Gesellschaften im Boden anders als im Labor. Wir haben 200 Stämme einzeln getestet, aber im Boden setzen sie sich mit hunderten anderen Arten zu komplexen Ökosystemen zusammen, die jeweils ganz andere Voraussetzungen schaffen. Auch ein anderer Boden kann einen enormen Unterschied machen. Zudem wechselwirken verschiedene Pflanzenarten in der Natur oft nochmals miteinander”, sagt Becker.

Offene Fragen

Im Labor konzentrieren sich die Forscher/innen derzeit auf drei Stoffklassen. Die erste wird unter anderem von Mais, Weizen und Roggen gebildet. Sie wirkt auch auf die Ackerschmalwand, einen gut erforschten Modellorganismus der Botanik. Der Stoff wird im Boden umgewandelt, die resultierende Substanz verschiebt die räumliche Struktur des Erbguts und könnte so die Zellteilung beeinträchtigen. Wie das genau passiert und ob die Substanz vielleicht noch auf andere Art auf die Wurzeln wirkt, ist Gegenstand der laufenden Forschung. Die Wissenschaftler/innen suchen auch nach genetischen Varianten in den produzierenden Pflanzen, die für die Resistenzen gegen das eigene Gift verantwortlich sind.

Reis stellt die toxischen Substanzen nur her, wenn artfremde Nachbarn vorhanden sind. Wie die Pflanzen das merken, wissen wir nicht.

Auch Reis wird im Labor untersucht. Hier ist der Wirkstoff bekannt, der Mechanismus aber nicht. “Reis stellt die toxischen Substanzen nur her, wenn artfremde Nachbarn vorhanden sind. Wie die Pflanzen das merken, wissen wir nicht”, sagt Becker. Auch bei Walnussbäumen suchen die Wissenschaftler noch nach Antworten. Der wirksame Stoff ist bekannt. Allerdings ist er in Reinform nicht so wirksam wie erwartet. “Wir wissen nicht, was im Boden mit der Substanz passiert. Das wollen wir uns genauer ansehen”, sagt Becker.

Weil so viele Fragen offen sind, gibt es derzeit auch noch keine Anwendungen für die Substanzen, mit denen Pflanzen sich Konkurrenten vom Stamm halten. “Es gab in den 1980er und 90er-Jahren die Idee, Herbizide auf dieser Basis herzustellen. Weil die Substanzen aber auf grundlegende Vorgänge in der Zelle wirken, können sie beispielsweise auch das menschliche Erbgut beeinträchtigen. Das macht sie für einen Einsatz in der Landwirtschaft ungeeignet. Dort brauchen wir sehr selektive Wirkstoffe”, sagt Becker. Zudem ist die synthetische Herstellung der betreffenden Substanzen oft sehr aufwändig oder gar unmöglich.

Einige Gift produzierende Arten rekrutieren Mikroorganismen, um sich vor ihrem eigenen Wirkstoff zu schützen. Diese könnten genutzt werden, um Böden zu entgiften, um andere Fruchtfolgen auf den Äckern möglich zu machen.

Denkbar wäre aber, die Produktion der chemischen Waffen in Nutzpflanzen genetisch anzuheizen. Dann müssten weniger künstliche Herbizide ausgebracht werden. In Südostasien brachten entsprechende Züchtungsprogramme für Reis schon messbare Vorteile. Auch die beteiligten Mikroorganismen könnten, wenn die Wechselwirkungen besser erforscht sind, Vorteile bringen. “Wir gehen davon aus, dass einige Gift produzierende Arten Mikroorganismen rekrutieren, um sich vor ihrem eigenen Wirkstoff zu schützen. Diese könnten genutzt werden, um Böden zu entgiften, um andere Fruchtfolgen auf den Äckern möglich zu machen”, sagt Becker.

Einige der Substanzen könnten auch für die Pharmaindustrie interessant sein. “Die meisten Medikamente basieren immer noch auf pflanzlichen Vorbildern. Hier können wir immer interessante Substanzen finden, das ist aber noch Zukunftsmusik”, sagt Becker.

 

AUF EINEN BLICK

Claude Becker studierte Biologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und promovierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Danach forschte er unter anderem am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Seit 2016 leitet er eine Forschungsgruppe am Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).