07.12.2015

Kind oder Karriere?

Viele Frauen möchten beides. Doch lässt sich das vereinbaren? ÖAW-Demograf Tomás Sobotka im Interview über Familiengründung, Work-Life-Balance und den Trend zur späten Mutterschaft bei Akademikerinnen

Bild: Wikimedia/CC
Bild: Wikimedia/CC

Frauen haben in ihrem Leben viel vor. Die Töchter und Enkelinnen der 68er möchten nicht als Heimchen am Herd stehen, sondern ihr Potential ausschöpfen, die Universität besuchen und die Welt sehen. Erst nach Studium und Karriere entscheiden sie sich für die Gründung einer Familie. Doch die Familiengründung gelingt immer weniger Frauen mit Universitätsabschluss in Österreich. Sie bleiben im Vergleich zu Frauen mit niedrigerem Bildungsgrad eher kinderlos.

Vom 30. November bis 4. Dezember 2015 kamen Forscher/innen aus ganz Europa auf Einladung des  Instituts für Demographie (VID) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien zusammen, um aktuelle Forschungsergebnisse zur Bevölkerungsentwicklung zu diskutieren. Im Mittelpunkt zweier Konferenzen: Kinderwunsch, Heirat und Familie.

Wie steht es also ums Kinderkriegen bei Akademikerinnen? Sind Kind und Karriere ein Widerspruch? Und was kann die Gesellschaft Frauen anbieten, die beides wollen? Tomás Sobotka vom VID hat sich mit diesen Fragen in seiner Forschung befasst.

Akademikerinnen planen in der Regel ihre Familiengründung um ihre berufliche Laufbahn herum. Doch das Zeitfenster der biologischen Fortpflanzungsfähigkeit beginnt sich im Laufe der 30er Jahre einer Frau langsam zu schließen. Heißt es also doch: Kind oder Karriere?

Die Situation ist nicht ganz so drastisch. Zwar nimmt die Fruchtbarkeit bei Frauen ab 35 ab. Aber die meisten Frauen können noch bis in ihre späten 30er Kinder bekommen. So lange ein Paar zwei Kinder möchte, anstatt fünf oder sechs, können Lebenspläne wie Studium, Karriere, Reisen vorgezogen und dann immer noch die Gründung einer Familie realisiert werden. Die von Ihnen angesprochene Frage wird dann zum Problem, wenn soziale und ökonomische Faktoren dazu führen, die Familiengründung so lange zu verschieben, bis das biologisch optimale Alter zum Kinderkriegen überschritten ist. Die Statistik sagt aber, dass Frauen, die später Kinder bekommen, karriere- und einkommenstechnisch weniger zurückfallen, glücklicher sind und sich in stabileren Familienverhältnissen befinden als jene, die in jungen Jahren Kinder bekommen.

Ist es also besser mit dem Kinderkriegen zugunsten der Karriere zu warten?

Das Problem ist, dass Frauen, die mit dem Kinderkriegen bis in ihre Mitt- oder Enddreißiger warten, kaum noch zeitlichen Spielraum haben eine Familie zu gründen oder überhaupt noch ein zweites Kind zu bekommen, wenn unerwartete Ereignisse oder schwierige ökonomische Situationen dazwischen kommen. Es herrscht das Stereotyp von der karrierefixierten Frau vor, die so sehr mit ihrer Karriere beschäftigt ist, dass sie „vergisst“ Kinder zu bekommen. Die Realität ist aber eher so, dass Frauen, die in ihren späten 30ern noch keine Kinder bekommen haben, als Hauptgrund angeben, dass sie zwar gerne Kinder hätten, aber nicht den richtigen Partner haben, mit dem sie eine Familie gründen können.

Frauen, die mit Mitte Dreißig ein Kind bekommen, gelten als „Spätgebärende“. Ist dieser abwertende Begriff überhaupt noch zeitgemäß?

Das Label „Spätgebärende“ stellt heutzutage kein wirkliches Stigma mehr da, wenn man nicht gerade schon in seinen späten 40ern ist. Im Gegenteil. Es zeichnet sich momentan ein gesellschaftlicher Trend zur späten Mutterschaft ab. Es gibt einen großen Anstieg an über 40 jährigen Frauen, die Erstgebärende oder Zweitgebärende sind. In der Europäischen Union werden 4% der Babys von 40-plus-Müttern geboren. Im Vergleich zu 1990 ist das ein Anstieg von 1,6%. Das Problem mit späten Mutterschaftsplänen und Schwangerschaften ist, dass so viele Faktoren dabei unsicher sind: Manche Frauen können problemlos mit 43 schwanger werden, andere haben mit 37 Schwierigkeiten. Auch das Risiko für Fehlgeburten nimmt ab 40 zu.

Wir leben immer länger. Kann es angesichts der höheren Lebenserwartung keine gesellschaftliche Anpassung geben, die es ermöglicht eins nach dem anderen zu tun, anstatt „Projekt Kind“ und „Projekt Job“ in die Rush-Hour des Lebens zu pressen?

Die Schwierigkeit ist, dass eine Karriere und eine Familie nicht einmal alleine für sich so einfach planbar sind. Männer wie Frauen wollen in der Regel gleich im Anschluss an ihre Ausbildung in den Beruf einsteigen. Aus dem verständlichen Grund, dass sie ihre Fachkompetenzen in der Praxis anwenden wollen, bevor sie im Wettlauf um die besten Jobs nach hinten fallen. Und bevor Männer und Frauen eine Familie planen, möchten sie zunächst die Rahmenbedingungen dafür schaffen: eine eigene Wohnung, ein Auto, ein stabiles Einkommen. Allein diese Voraussetzungen zu schaffen, ist heutzutage schon eine Herausforderung. Viele Paare sind auf zwei Einkommen angewiesen. Und das Kinderbetreuungsgeld ist ja auch vom vorherigen Einkommen abhängig.

Verschiebt man wiederum die Familiengründung allzu sehr nach hinten, geht man das Risiko ein, dass es gar nicht mehr klappt. Oder man müsste seine Eizellen vorsorglich einfrieren oder künstliche Befruchtung von Spendereizellen in Anspruch nehmen – was teuer, für Körper und Psyche sehr anstrengend und in vielen Ländern verboten ist.

In Österreich gibt es viele staatliche Maßnahmen, um die Geburtenrate zu steigern. Trotzdem ist sie unter höher gebildeten Frauen niedrig. Was kann die Gesellschaft Frauen anbieten, die Kinder und Karriere wollen?

In den meisten Teilen Europas zielen diese Maßnahmen nicht darauf ab die Geburtenrate zu erhöhen, sondern um Familien zu unterstützen. Wir können den Erfolg dieser Regelungen also nicht an der Geburtenrate messen. Aber gesellschaftlich lässt sich einiges tun, um Familien und werdende Eltern zu unterstützen. Im Wiener Umland ist zum Beispiel das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren noch sehr begrenzt, mit nur wenigen Kitaplätzen und kurzen Öffnungszeiten. Auch die österreichischen Väter können ihren Beitrag leisten, um ihre Partnerinnen bei der Kinderaufsicht oder im Haushalt zu unterstützen. Nur wenige gehen derzeit in Karenz, obwohl sie einen Anspruch darauf haben.

Früher sind Kinder noch in der Großfamilie aufgewachsen. Es gab immer Großeltern oder Tanten, die auch für die Kinder da waren. In Zeiten hoher Mobilität leben die Familien oft nicht mehr am gleichen Ort. Berufstätige Eltern fühlen sich alleingelassen. Wie kann die Gesellschaft auf diesen strukturellen Wandel reagieren?

Die Art und Weise wie Familiennetzwerke funktionieren unterscheiden sich von Land zu Land. Ein großer Familienverband war früher auch wichtig, um Eltern zu ersetzen, die gestorben sind. Gesellschaften passen sich kontinuierlich an veränderte Familienstrukturen an und ein gut ausgebautes öffentliches Kinderbetreuungsnetz ist eine Strategie davon. Das ist zum Beispiel in west- und nordeuropäischen Ländern besonders verbreitet.

In Ländern wie Süd-, Zentral- und Osteuropas haben viele Familien noch eine Großmutter in der Nähe, die regelmäßig vorbeischaut und bei der Kinderaufsicht hilft. Es ist empirisch belegt, dass Eltern, die sich auf die Hilfe von Großeltern verlassen können, mehr dazu neigen ein zweites Kind zu bekommen. Schließlich gibt es in vielen Ländern noch ein breites Netz aus Nannys und Haushaltshilfen, meistens Ausländerinnen, die informell angestellt sind.  

Das Gefühl des „Alleine Seins“ beim alltäglichen Familienmanagement und Beruf betrifft besonders alleinerziehende Eltern. Die haben zum einen nur die Hälfte des Familiennetzes, auf das sie zurückgreifen können und zum anderen nicht die Ressourcen, um sich eine private Kinderbetreuung zu organisieren. Da sich die Familieninstabilität in Europa zwischen den 1970ern und den 2000ern vergrößert hat, ist auch die Gruppe der Alleinerziehenden und die der Patchworkfamilien proportional mitgewachsen.

Und dennoch ist unsere Gesellschaft noch immer auf das Ideal der klassischen Familie aus Vater-Mutter-Kind ausgerichtet. Müsste sich die Gesellschaft nicht an den demografischen Wandel anpassen? Zum Beispiel in Form von Single-Parents Wohngemeinschaften, wie es sie manchen Großstädten bereits gibt, um sich als eine erweiterte Familie gegenseitig zu helfen.

Solche Wohngemeinschaften können eine schöne Lösung für Alleinerziehende sein. Aber nicht jede/r ist bereit solche neuen Formen des Zusammenlebens für sich in Betracht zu ziehen. Viele Singleeltern sind nicht freiwillig Single und hoffen auf den richtigen Partner, mit dem sie ein konventionelles Familienleben führen können. Ein großes Problem sind die finanziellen Ressourcen. Die Forschung hat immer wieder nachgewiesen, dass ein Alleinerzieherstatus stark mit Armut und Stress verbunden  ist.

Auf der Konferenz wurde das „European Fertility Data Sheet 2015“ mit den aktuellsten Daten zur Geburtenentwicklung vorgestellt. Was sind die bemerkenswertesten Erkenntnisse dieser Studie?

Wir haben in der Studie empirische Daten zu drei Fragestellungen ausgewertet, die europaweit bislang noch nicht erhoben wurden. Erstens: Wie viele Kleinkinder leben mit nur einem Elternteil?  Zweitens: Welchen Einfluss hat der Bildungsgrad der Frauen auf die Geburtenrate? Und drittens: Wie unterscheiden sich die Geburtenraten von Migrantinnen von jenen der Einheimischen?

Bei der dritten Fragestellung konnten wir empirisch nachweisen, dass – entgegen der weitverbreiteten Annahme – die Geburtenrate von Migrantinnen nicht signifikant höher liegt als die von gebürtigen EU-Bürgerinnen. Zudem ist sie in den letzten Jahrzenten gesunken und hat sich in vielen Ländern der lokalen Geburtenrate angepasst. 

 

Wie erklären Sie sich das?

Die meisten Migrantinnen kommen aus Ländern und Regionen, die sowieso schon niedrige oder rapide sinkende Geburtenziffern aufweisen, wie Osteuropa, Ostasien, Lateinamerika, Iran und Türkei. Zum anderen hängt die Entscheidung für weniger Kinder mit der sozialen Mobilität zusammen. Viele Migranten möchten lieber weniger Kinder haben, um denen, die sie haben, eine gute Ausbildung ermöglichen zu können.

Als wissenschaftlicher „Global Player“ hatten Sie Einblicke in die internationale Demografie. Was ist das Besondere am österreichischen Demografie-Standort?

Wahrscheinlich gerade der Umstand, dass die Demografie hier so international aufgestellt ist und global agiert. Gerade das VID hat sich in den letzten Jahren von vorrangig österreichisch orientierter Forschung zu einem der Key Player Europas entwickelt. Unsere Mitarbeiter/innen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern von Polen bis Thailand und es ist keine Ausnahme, dass man Italienisch, Französisch, Tschechisch oder Polnisch in den Korridoren hört. Unser Institut kooperiert weitverzweigt mit Kolleg/inn/en aus der ganzen Welt. Für ein relativ kleines Land ist die österreichische Demografie im internationalen Vergleich exzellent aufgestellt.

 

 

 

Tomás Sobotka leitet am Vienna Institute of Demography die

Forschungsgruppe Comparative

European Demography. 2011 erhielt er den begehrten ERC Starting Grant für

das Projekt Fertilität, Reproduktion und

Bevölkerungsentwicklung im Europa des 21. Jahrhunderts (EURREP), das bis

2017 läuft.

 

Die 3rd

Generations and Gender Conference vom 30.

November bis 4. Dezember diskutierte auf Grundlage neuester empirischer Daten

aus der aktuellen Forschung das Zusammenleben der Generationen und

Geschlechter. Ergänzend und vertiefend beleuchtete die Konferenz Education and

Reproduction in Low-Fertility Settings vom 2. bis 4. Dezember den Einfluss

des Bildungsgrades auf die Geburtenrate im internationalen Vergleich.

 

Vienna Institute of Demography