22.02.2016

Hirn auf Hochtouren?

Neuro-Enhancer, also Substanzen und Techniken, die versprechen, die Gehirnleistung zu steigern, werden bisher kaum öffentlich diskutiert. Ein europaweites Projekt, an dem auch das ÖAW-Institut für Technikfolgen-Abschätzung beteiligt ist, möchte das ändern.

Bild: 123rf.com/Fernando Gregory

Geistig wendig, leistungsfähig und belastbar. Neuro-Enhancer versprechen, das menschliche Gehirn auf Hochtouren zu bringen. Dabei wurden rezeptpflichtige Medikamente wie Modenafil oder Ritalin eigentlich entwickelt, um erkrankten Menschen zu helfen. Doch neben technischen Methoden wie elektrischer Hirnstimulation werden sie auch von gesunden Personen angewendet.

Warum Betroffene das tun und wie Bürger/innen aber auch Fachleute diesen Techniken und Substanzen gegenüberstehen, wurde bisher kaum öffentlich diskutiert. Das EU-Projekt NERRI möchte das ändern und hat sich von 2013 bis 2016 eingehend mit den gesellschaftlichen Einstellungen zu Neuro-Enhancement befasst. In Österreich war das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit der Johannes Kepler Universität Linz beteiligt. Nun wurden erste Ergebnisse bei einer Podiumsdiskussion am 16. Februar 2016 präsentiert.

Im Interview sprechen Helge Torgersen vom ITA der ÖAW und Jürgen Hampel, NERRI-Projektleiter in Deutschland, über Leistungsdruck in unsicheren Jobs, unterschiedliche europäische „Wettbewerbskulturen“ und darüber, was die grauen Zellen wirklich in Schwung bringt.

Wie verbreitet ist Neuro-Enhancement in der Bevölkerung? Und wer bedient sich leistungssteigernder Mittel? Einer Studie der Krankenversicherung DAK zufolge, sind es vor allem Beschäftigte „mit einfachen Tätigkeiten oder unsicheren Jobs“. Würde man in diesem Punkt nicht eher das Gegenteil erwarten?

Torgersen: Die Vorstellung, dass Leute mit anspruchsvollen Berufen eher zu solchen Mitteln greifen, hat mitunter ihren Ursprung in einer Initiative der Zeitschrift „Nature“ im Jahr 2008. Dabei wurden  Wissenschaftler aufgerufen bekanntzugeben, ob und welche Medikamente sie nehmen, um ihre Leistung künstlich zu steigern. Insbesondere Wissenschaftler aus den USA haben den Eindruck vermittelt, als ob Hirndoping Gang und Gebe wäre. Ich halte das Phänomen aber für überschätzt. Auch bei Studenten liegt die Zahl derjenigen, die tatsächlich regelmäßig zu solchen Mitteln greifen bei ca. einem Prozent.

Gibt es vergleichbare Studien aus Österreich?

Torgersen: Es gibt allgemein wenige Studien darüber. Eigene Daten aus Österreich haben wir nicht, allerdings sind die Ergebnisse einer Schweizer Studie ähnlich wie jene der DAK-Studie. Daraus kann man schließen, dass die Situation in Österreich kaum anders ist.

Herr Hampel, inwieweit bestätigen solche Studien die Ergebnisse des NERRI-Projekts in Deutschland?

Hampel: Bei NERRI haben wir keine Massendaten erhoben, das war auch nicht unser Ziel. Wir wollten herausfinden, wie bestimmte Segmente der Öffentlichkeit das Thema Neuro-Enhancement sehen und bewerten – hierfür haben wir viele Diskurse geführt und Workshops veranstaltet.

Es zeigen sich aber durchaus Parallelen. Denn Neuro-Enhancement wird von vielen als etwas wahrgenommen, dass einem eher aufgezwungen wird, um Menschen an Leistungsstrukturen anzupassen und nicht umgekehrt. Das deckt sich insofern, als die Studie zeigt, dass dort, wo der Druck besonders groß ist und die Absicherung besonders klein, die Leute eher zu sogenannten Neuro-Enhancern greifen – in Situationen also, in denen man vielleicht das Gefühl hat, nicht mithalten zu können.

Ist das in den europäischen Ländern gleich? 

Torgersen: In Österreich und Deutschland sind die Ergebnisse recht ähnlich. Wir sehen aber, dass das Thema in England viel unbefangener diskutiert wird. Dort entstand beispielsweise eine Diskussion darüber, inwieweit eine Stimulierung der geistigen Leistungsfähigkeit dem Wirtschaftsstandort zugute käme. So etwas wäre hierzulande völlig undenkbar.

Hampel: Unsere spanischen Kollegen haben einen Workshop mit Wissenschaftler/innen und Unternehmer/innen durchgeführt, die offen zugaben, dass sie solche Medikamente nehmen. In Deutschland haben wir niemanden gefunden, der das aussagen würde.

Woran liegt das?

Torgersen: Womöglich hat es auch mit der unterschiedlichen „Wettbewerbskultur“ zu tun – Wettbewerb spielt in angelsächsischen Ländern eine ganz andere Rolle als bei uns. Es ist dort etwas Positives und wird als gesellschaftliche Realität angesehen. Hier ist es eher problematisch. Dazu kommt, dass die Menschen weniger Vorbehalte gegenüber der Einnahme von Medikamenten ohne Rezept haben – insbesondere in den USA. Großbritannien liegt hier irgendwo dazwischen.

Hampel: In Deutschland ist sogar eine gegenläufige Diskussion erkennbar, nämlich wie man die Belastung für Mitarbeiter/innen möglichst in Zaum halten kann. Dahinter steht die Überlegung, dass wir eine alternde Gesellschaft sind, die auch darauf achten muss, möglichst lange ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten.

Noch einmal zurück zu Neuro-Enhancement: Es ist ja sehr umstritten, ob es überhaupt funktioniert?

Torgersen: Aus Untersuchungen mit Ritalin weiß man, dass die subjektive Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit wesentlich größer ist, als die tatsächlich messbare. Während der Tests hatten die Versuchspersonen den Eindruck, sie sind konzentrierter, fokussierter und arbeiten schneller – in Wirklichkeit machten sie mehr Fehler.

Hampel: Dahinter steht die Vorstellung vom Gehirn als einer Maschine, die man optimieren kann. Das scheint aber sehr weit an unserem derzeitigen Kenntnisstand aus der Neurowissenschaft vorbeizugehen.

Torgersen: Modafinil – als Medikament gegen Narkolepsie – kann beispielsweise die Leistungsfähigkeit nur momentan und nicht auf Dauer erhöhen bzw. nur bestimmte Aspekte. Am Ende ist es daher so: Bin ich 24 oder 48 Stunden wach, muss ich das irgendwann nachholen. Der Nettogewinn solcher Medikamente ist also letztlich Null.

Man kann somit die Leistung des Gehirns nicht nachhaltig steigern?

Torgersen: Nein, denn die geistige Leistungsfähigkeit als solches gibt es nicht. Diese besteht aus unterschiedlichen Einzelleistungen, wie Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit, Schlafbedürfnis, Wahrnehmung usw. Es gibt eine ganze Reihe von Parametern, die man da beeinflussen müsste, um DIE geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. Viele sind auch gar nicht bekannt und andere sind wiederum von einander abhängig – also wenn man das eine erhöht, vermindert man das andere.

Ist Strom fürs Gehirn eine Alternative? Es gibt ja sogar eine Schule in London, die damit wirbt, Lernschwächen von Kindern mittels elektrischer Hirnstimulation zu beseitigen.

Torgersen: Das sind Experimente, bei denen unklar ist, wie sie ausgehen werden. Expert/innen warnen jedenfalls vor solchen Methoden. Dabei gilt dasselbe wie bei Medikamenten: ohne ärztlicher Kontrolle sollte man diese nie anwenden.

Hampel: Hier liegt aber das Problem: man bekommt sie ganz leicht im Internet. Das Ausmaß der Nebenwirkungen ist aber noch nicht abschätzbar. Am Ende sind es halt doch eher die „Klassiker“, wie ausreichend Schlaf, welche die geistigen Kapazitäten fördern – ganz ohne Nebenwirkungen.

Und frische Luft?

Hampel: Ja, das auch.

Torgersen: Wie es unsere Kollegin Ilina Singh aus Oxford ausgedrückt hat: Die besten Enhancer sind: Sex, Sport und ein gutes Frühstück.

 

Helge Torgersen forscht am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW. Sein Interesse gilt allgemein dem Verhältnis von Technikentwicklung und gesellschaftlicher Wahrnehmung. Seit 2013 ist er am EU-Projekt NERRI (Neuro-Enhancement: Responsible Research and Innovation) beteiligt.

Jürgen Hampel ist am Institut für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Technikwahrnehmung und Technikkonflikte. Seit 2013 betreut er gemeinsam mit Elisabeth Hildt von der Universität Mainz das NERRI-Projekt für Deutschland.

ÖAW-Institut für Technikfolgen-Abschätzung

EU-Projekt NERRI