27.07.2016

Besser altern dank Technik?

Assistive Technologien sollen älteren Menschen mehr Unabhängigkeit verschaffen. Nicht jeder will aber Sensoren im Bad. Ulrike Bechtold, Technikfolgenforscherin an der ÖAW, befasst sich mit „Ambient Assisted Living“ – einem Thema, das in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger wird.

Bild: 123rf.com

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ – diese Songzeilen des Schlagersängers Udo Jürgens kennt vermutlich jeder. Doch nicht alle Menschen sind in höherem Alter noch fit genug, um, wie es im Text weiter heißt, mit einem Motorrad durch die Gegend zu „fegen“. Hier setzt „Ambient Assisted Living“ (AAL) an, also der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien die das Wohlbefinden, die Autonomie und die Sicherheit älterer Menschen, aber auch deren Gesundheit und soziale Integration, erhalten und verbessern sollen. Ein Thema, das mit der Zunahme des Anteils von älteren Menschen in der Bevölkerung in Zukunft immer wichtiger wird.

Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich in zahlreichen Projekten seit Längerem mit den Chancen und Risiken des Technikeinsatzes für eine alternde Bevölkerung. Die ITA-Forscherin Ulrike Bechtold hat nun in ihrem, gemeinsam mit Mahshid Sotoudeh und Uli Waibel herausgegebenen, neu erschienenen Buch „Dialoge zu Active and Assisted Living“ Beiträge von älteren Menschen, Personen die in der Pflege beschäftigt sind, Forscher/innen sowie Engagierte aus Behörden und Institutionen versammelt, die ihre Erfahrungen mit assistiven Technologien austauschen. 

Ulrike Bechtold im Interview über die verantwortungsvolle Erforschung des Alterns, den komplexen „Faktor Mensch“, Living Labs und Rosenpflege dank Tablet.

Die beiden dem Buch zugrunde liegenden Projekte begannen bereits 2011. Für die Technikentwicklung sind fünf Jahre ein recht langer Zeitraum. Was haben Sie seit Beginn Ihrer Arbeit an Erkenntnissen gewonnen?

Der Fokus der Forschung hat sich seitdem wesentlich erweitert. Die EU schenkt dem Thema AAL ja bereits seit 2008 erhöhte Aufmerksamkeit. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Thema Technologie und Altern sehr positiv – und vielleicht auch linear – wahrgenommen. Die Idee war: wir können Innovationen entwickeln, die den Menschen helfen. Man glaubte, gesellschaftliche Probleme mit Technik lösen zu können.

Bis zu einem gewissen Punkt ist das sicher auch gelungen und richtig. Aber – und das ist die scheinbar simple Erkenntnis: Es geht manchmal nicht so, wie man glaubt. Menschen haben einen individuellen Zugang zu Technologie, sie macht etwas mit ihnen, und das kann ganz unvorhergesehene Wirkungen haben. Wir sollten also hinterfragen, ob wir dem sozialen Druck, der dem demographischen Wandel meistens beigestellt wird, durch Technologien wirklich so begegnen können, wie ursprünglich angenommen.

Was muss eine verantwortungsvolle Forschung dabei beachten?

Im Zentrum steht die Frage: Was brauchen die Menschen wirklich, um ihren Alltag erfolgreich zu meistern? Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Forschungsprojekte – und das kann man auch schön in den Ausschreibungen nachvollziehen – inzwischen nach komplexerer Partizipation verlangen. Es reicht nicht mehr aus, ohnehin schon interessierten Menschen einen fertigen Prototypen zum Test zu geben. Warum? Weil die Ergebnisse so der Komplexität des Menschen nicht gerecht werden.

Es kann zum Beispiel sein, dass Testpersonen sich nicht trauen Kritik zu äußern. Dazu eine nette Anekdote aus dem Buch: Eine ältere Dame meinte am Ende einer Testphase, sie hätte eigentlich gar nichts verstanden aber sie hätte deshalb nichts gesagt, weil sie nicht unhöflich hatte sein wollen. Langsam geht Kolleg/innen in ganz Europa auf, wie naiv es war zu glauben, dass man so zu Ergebnissen kommen kann. Diese Naivität der Forschung ist jetzt ein Stück weit verloren gegangen.

Was kann man tun, um den „Faktor Mensch“ besser in die Technikentwicklung miteinzubeziehen?

Heute gibt es hier wesentliche Verbesserungen: Es wird, etwa mit Living Labs, auf den Real-Life Kontext geachtet, und man versucht den individuellen Alltag und den Diversitäts-Aspekt miteinzubeziehen. Die Forschung achtet zunehmend auch auf ihre eigenen Folgewirkungen. Ein Beispiel: Barrierefreiheit allein reicht nicht aus, denn was haben Menschen davon, wenn sie im Park sitzen und es dort aber keine zugängliche Toilette gibt?

Wir sollten uns auch fragen: Muss man immer Neues erfinden? Ein Tablet kann bereits reichen, um jemanden durch intensive Kommunikation zu Dingen zu motivieren, die er/sie allein nicht schaffen würde. Eine ältere Dame wurde etwa mittels Tablet von Ihrer Familie motiviert, täglich – trotz Rollator – den Rosenbusch im Garten zu pflegen. Oft reicht das Gespräch, und hier kann Technologie definitiv helfen. Im viel zitierten Bereich Robotik sehen wir hingegen noch eher wenig konkrete Anwendungen.

Was sollten also die Kriterien dafür sein, Technik weiter zu entwickeln?

Der Kern ist, was immer wir auch tun, wir können nicht mehr zurück. Was da ist, das bleibt. Gerade mit breit wirksamen Technologien verknüpfen sich so viele Erwartungen. Etwa die Hoffnung, dass wenn wir den Leuten Technologie geben, sie dann länger zu Hause bleiben und den Staat dann weniger kosten. So kann Zwangsbeglückung entstehen. Und es wird nicht zwischen individuellen und gesellschaftlichen Kosten unterschieden. Wenn Pflegeheime automatisch mit Sensoren ausgestattet werden, kann jemand, der das nicht will, nicht dort wohnen.

Wie groß sind die Chancen, hier mit Dialogverfahren in der Technikentwicklung etwas bewegen zu können?

Dialogverfahren sind ein Beitrag unserer Gesellschaft zur Wertedebatte. Das Buch stellt auch die Frage: Was hat es für einen Wert, dass wir in einer älter werdenden Gesellschaft leben? Es liegt an den Expert/innen, an Journalist/innen, Studierenden, Politikmachenden und anderen, darauf Antworten zu finden. Es geht um ein konstruktives Miteinander. Hier die Rahmenbedingungen zu hinterfragen und diese auch mitzugestalten wird die Herausforderung sein.

 

Ulrike Bechtold ist promovierte Humanökologin. Sie ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW. Sie lehrt zudem an der Universität Wien und der MODUL University Vienna. Aktuelle Schwerpunkte ihrer Arbeit sind umgebungsgestütztes, aktives Altern (AAL), Partizipation sowie Klimatechnologien.

Gemeinsam mit Uli Waibel und Mahshid Sotoudeh ist Bechtold Herausgeberin des „DiaLogbuch AAL – Dialoge zu Active and Assisted Living“, das kürzlich erschienen ist.

ÖAW-Institut für Technikfolgen-Abschätzung