04.07.2012

Beobachtung eines neuen Teilchens mit einer Masse von 125 GeV

Neueste Ergebnisse auf der Suche nach dem Higgs-Boson präsentiert


In einem Seminar am 4. Juli am CERN stellte die CMS-Kollaboration - eine im Rahmen des Forschungsprogramms am LHC tätige Gruppe akademischer Institutionen aus 41 Ländern, darunter das Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften - ihre neuesten vorläufigen Ergebnisse der Suche nach dem Higgs-Boson des Standardmodells vor.

CMS beobachtet einen Überschuss an Ereignissen mit einer Masse von ungefähr 125 GeV, mit einer statistischen Signifikanz von fünf Standardabweichungen (5 Sigma) über dem erwarteten Untergrund. Wir interpretieren dies als die Erzeugung eines bislang nicht beobachteten neuen Teilchens. Die Evidenz dafür ist in den beiden Endzuständen mit der besten Massenauflösung am stärksten: der Endzustand mit zwei hochenergetischen Photonen (γγ) liefert die höchste Evidenz, der Endzustand mit zwei Paaren von geladenen Leptonen (Elektronen oder Myonen) die nächsthöchste. Die CMS-Daten schließen auch die Existenz des Standardmodell-Higgs-Bosons in den Massenbereichen 110-122.5 GeV und 127-600 GeV mit einem Konfidenzniveau von 95% aus - niedrigere Massen wurden bereits am LEP-Beschleuniger des CERN mit derselben statistischen Sicherheit ausgeschlossen.

CMS hat den gesamten Datensatz an Proton-Proton-Kollisionen des Jahres 2011 und des heurigen Jahres bis 18. Juni 2012 analysiert. Diese Daten entsprechen ungefähr 1015 Kollisionen (eine Million Milliarden), zu ungefähr gleichen Teilen in 2011 und 2012 vom LHC produziert. Die Reduktion dieser Datenmenge auf ein Ausmaß, das die weitere Auswertung erlaubt, erfolgte in Echtzeit durch ein Auswahlsystem (Trigger), dessen zentrale Elemente am Institut für Hochenergiephysik entwickelt und gebaut wurden.

Das Standardmodell der Teilchenphysik sagt voraus, dass das Higgs-Teilchen nach sehr kurzer Zeit in andere, bereits gut bekannte Teilchen zerfällt. CMS untersuchte die fünf wichtigsten Zerfallskanäle des Higgs-Bosons. Drei dieser Kanäle, die auch die höchste Empfindlichkeit aufweisen, liefern Paare von Bosonen (γγ, ZZ oder WW). Die beiden weiteren Kanäle liefern Paare von Fermionen (b-Quarks bzw. Tau-Leptonen). Die Zerfälle in zwei Photonen oder die in zwei Z-Bosonen mit anschließendem Zerfall in vier Elektronen oder Myonen erlauben auch die Ermittlung der Masse des gesuchten neuen Teilchens. Zu dieser Bestimmung tragen alle CMS-Detektorsysteme bei, die Messung von Energien und Richtungen der Leptonen stützt sich dabei in besonderem Maße auf den Silizium-Spurdetektor, zu dessen Bau, Betrieb und Verwendung in der Physikauswertung das Institut für Hochenergiephysik entscheidend beigetragen hat.

Die CMS-Daten sollten empfindlich genug sein, um das Standardmodell-Higgs-Teilchen im gesamten Massenbereich von 110 GeV bis 600 GeV mit einem Konfidenzniveau von 95% auszuschließen, falls es nicht existiert. Tatsächlich kann jedoch der Bereich von 122.5 GeV bis 127 GeV nicht ausgeschlossen werden, da wir dort den Überschuss an Ereignissen in drei der fünf untersuchten Zerfallskanäle messen.

Innerhalb der statistischen Unsicherheiten sind die in den verschiedenen Suchkanälen erzielten Resultate konsistent mit den Erwartungen für die Existenz eines Standardmodell-Higgs-Bosons. Weitere Daten sind jedoch nötig, um herauszufinden, ob das beobachtete neue Teilchen alle Eigenschaften dieses Higgs-Bosons besitzt oder ob einige davon abweichen. Im zweiten Fall würde dies auf neue fundamentale Physik hinweisen, die über das derzeit gültige Standardmodell hinausgeht. Eines der bestbegründeten Modelle für diese neue Physik ist die Supersymmetrie. Diese Theorie liefert eine natürliche Erklärung für die niedrige Masse des Higgs; sie enthält ferner neue Teilchen, wovon eines auch ein Kandidat für die Dunkle Materie sein könnte. Eine direkte Suche nach diesen neuen Teilchen ist eine der Prioritäten des CMS-Forschungsprogramms am Institut für Hochenergiephysik.

Der LHC liefert weiterhin Daten mit beeindruckender Rate. Bis Ende 2012 erwartet CMS, den bis jetzt aufgezeichneten Datensatz verdreifachen zu können. Diese zusätzlichen Daten werden es CMS ermöglichen, die Natur dieses beobachteten neuen Teilchens tiefer zu ergründen. Sie werden es auch erlauben, den Entdeckungsbereich für die vielfältigen Varianten der Suche nach neuer Physik weiter auszudehnen.


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