Zwar ging es bei ihrem Vortrag eigentlich um die Funktion und Struktur von Ribosomen. Zuerst wollte Ada Yonath aber noch eine andere Frage klären, nämlich: Was wäre das Leben ohne Proteine? Vermutlich gar nichts, so ihre Antwort.
Denn Eiweiß-Bausteine spielten bereits am Beginn der Evolution eine entscheidende Rolle, als die Welt laut Yonath noch von Ur-Ribonukleiden dominiert war. „Man spricht hier von einer präbiotischen Ära, bevor es also jegliche Form von Leben gab. Dass eine solche Welt existierte, basiert auf der Erkenntnis, dass Ribonukleinsäure, kurz RNS, sich replizieren und ausbreiten kann“, so die Strukturbiologin am 5. Oktober 2016 in Wien, wo sie auf Einladung von Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Center for Israel Studies sprach.
Und auch heute ist Leben ohne Proteine nicht vorstellbar. Sie sind sowohl „Baumaterial“ als auch – in Form von Enzymen – Katalysatoren nahezu aller Lebensprozesse. Im menschlichen Organismus sorgen sie beispielsweise dafür, dass sich Muskeln und Haare bilden, sie reparieren defekte Zellen in Organen, fungieren als Botenstoffe bei Hormonen und bilden Antiköper gegen Krankheitserreger. Demnach hat jedes Eiweiß eine bestimmte Funktion und somit eine bestimmte Struktur.
Beinah noch wichtiger als die Proteine selbst sind jedoch jene Fabriken, die sie produzieren und hier kommen nun die Ribosomen ist Spiel – ihr Geheimnis hat Yonath vor 16 Jahren gelüftet, 2009 erhielt sie für ihre Arbeit den Nobelpreis für Chemie.
Baumeister mit vier Buchstaben
Ribosomen sind es, die die Bauanleitung zur Synthese von Proteinen umsetzen. Wie Übersetzungsmaschinen lesen sie die Informationen aus dem aus vier Buchstaben bestehenden genetischen Code, welche sie von der Boten-RNS geliefert bekommen, und setzen damit die Aminosäuresequenzen zusammen – so lange, bis der Eiweißstoff schließlich fertig ist. „Diese vier Buchstaben sind für alles Leben auf der Erde dieselben. Es begeistert mich bis heute, wie clever und effizient die Natur ist“, sagte die Ribosomenforscherin im Festsaal der ÖAW.
Ribosomen sind dabei sehr fleißig. In einer Leberzelle, so das Beispiel der Wissenschaftlerin, stecken etwa vier bis fünf Millionen, aber auch in Bakterien können es mehr als 100.000 sein. Jedes einzelne Ribosom arbeitet dabei ununterbrochen und setzt pro Sekunde 80 Aminosäuresequenzen zusammen – das sind also insgesamt 40 Peptidbindungen. „Das ist enorm. Nur zum Vergleich: ich war zwar die schnellste Studentin an unserer Uni. Nichtsdestotrotz brauchte ich für die Lösung einer Peptidbindung sechs Stunden“, erzählte Yonath aus ihrer Zeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Dipeptide machen den Anfang
Strukturell bestehen Ribosomen– die Ada Yonath bis in atomare Details erforscht hat – zu zwei Dritteln aus RNS, zu einem Drittel aus Proteinen. Die strukturbildende RNS unterscheidet sich aber von jener, die den Aufbau der Proteine bestimmt. Die Ribosomen-RNS sei „eher faul und langsam“, wie Yonath anschaulich erklärte, während die Protein-RNS extrem effektiv arbeite. Deshalb gehe man davon aus, dass erst die Kombination mit Proteinen die Ur-RNS dazu befähigte, „eine effiziente Fabrik zu werden“, wie Yonath sagte. Damit stellt sich aber die Frage, was war zuerst – der genetische Code oder dessen Produkte? „Wir wissen, ohne genetischen Code gibt es keine Proteine aber auch umgekehrt“, meinte die Wissenschaftlerin.
Geht es nach Yonath so standen am Beginn Aminosäuren-Paare, sogenannte Dipeptide. Auf dieser Grundlage sind dann die ersten Oligopeptide entstanden – eine kurze Kette dieser Aminosäuresequenzen. Allerdings schafften es nicht alle durch die Evolution. Vielmehr wurden nur jene Oligopeptide erhalten, die entweder das Ur-Ribosom stabilisierten oder eine in der RNS-Welt wichtige Funktion erfüllten, wie beispielsweise, wenn sie Metalle transportieren konnten.
Indem diese Peptide eine damals wichtige Aufgabe übernahmen, könnten sie die Entwicklung eines ersten primitiven genetischen Codes, sprich eines groben Bauplans ausgelöst haben. „Das Prinzip kennen wir von Darwin, nun ist es auch auf die molekulare Evolution anwendbar. Demnach gab es also einen Prä-Darwin Darwinismus“, so die Nobelpreisträgerin. Daraus folgern Yonath und ihre Kolleg/innen, dass sich der genetische Code sowie die Proteine parallel mit den Ribosomen entwickelten.
Antibiotika hemmen Ribosomen
Dass Ribosomen die Maschine für Leben sind, spielt auch in der Medizin eine wichtige Rolle. Vor allem wenn es darum geht, das Leben bestimmter Bakterien auszuschalten, sind deren Ribosomen der entscheidende Hebel. Mehr als die Hälfte aller heute genutzten Antibiotika hemmen oder blockieren deshalb zielgerichtet die Protein-Fabriken von Bakterien, nicht aber die von Menschen oder Tieren.
Möglich ist das, weil die Makromoleküle zwar grundsätzlich in allen Lebewesen gleich funktionieren, nicht aber exakt gleich strukturiert sind. Das gilt auch auf kleinster Ebene – so haben Yonath und ihr Team herausgefunden, dass auch Bakterien Ribosomen mit unterschiedlichen Merkmalen haben. Anhand dieser Erkenntnisse wäre es möglich, punktgenaue Antibiotika zu entwickeln, die Krankheitserreger töten, nützliche Mikroorganismen des menschlichen Körpers hingegen verschonen.