16.09.2024

CSI: Salzkammergut – ein Kriminalfall aus der Römerzeit

576 Silbermünzen und ein abgetrennter Finger: ÖAI-Archäolog:innen nehmen einen nahe dem heutigen Bad Aussee erfolgten Überfall auf einen Legionär genauer unter die Lupe - denn er gewährt neue Einblicke in das soziale und wirtschaftliche Gefüge um die Mitte des 3. Jahrhunderts.

Prägefrische Silberdenare aus dem Schatz bei Bad Aussee. © U. Schachinger, ÖAW/ÖAI

Ein Münzfund vor drei Jahren nahe dem steirischen Bad Aussee entpuppte sich als spannender Kriminalfall aus der Römerzeit: 576 Silbermünzen und ein abgetrennter Finger mit Eisenring erzählen von alten Handelswegen, die von römischen Soldaten gesichert wurden und von Menschen aus dem Salzkammergut, die gegen die Obrigkeit rebellierten. 

Im Rahmen eines internationalen, vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten und am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführten Forschungsprojekts sollen nun weitere Details dieses antiken Überfalls beleuchtet werden. Denn der Vorfall, der sich zwischen einem Legionär und einem einheimischen Dieb 241/243 n. Chr. abgespielt haben dürfte, erlaubt wichtige Rückschlüsse auf das soziale und wirtschaftliche Gefüge der Menschen um die Mitte des 3. Jahrhunderts.  Untersucht wird beispielsweise die Frage, ob die Salzvorkommen sowie auch die Stahl- und Eisenfunde in römischer Zeit gleich intensiv genutzt wurden wie zuvor in der Bronzezeit. Im Gespräch erklärt Archäologe und Projektleiter Stefan Groh mehr über das im September 2024 gestartete Forschungsvorhaben.

Handelt es sich bei den 576 Silbermünzen um einen Zufallsfund?

Stefan Groh: Der Fund war natürlich Zufall, also unter Anführungszeichen ein Glücksfall. Aber es gab sehr wohl eine Strategie dahinter. Wir waren auf der Suche nach römischen Straßen in der Gegend um Bad Aussee. Uns ginge es um die wenig erforschte Frage, ob die Salzvorkommen, aber auch die Stahl- und Eisenfunde in römischer Zeit gleich intensiv genutzt wurden wie zuvor in der Bronzezeit. Dabei haben wir eine Straßentrasse gefunden, die wir mit Metalldetektoren untersucht haben.  Im Zuge dessen sind wir mitten im Wald auf prägefrische Münzen gestoßen.

Warum liegt da wie hingestreut ein Münzschatz?

Waren die Münzen nicht vergraben?

Groh:  Eben nicht, das war das Besondere und auch das Schwierige für die Interpretation. Warum liegt da wie hingestreut ein Münzschatz? Für gewöhnlich wurden Wertgegenstände in einem Gefäß verborgen, damit man sie später wieder finden konnte. Wenn die Krise vorbei war, holte man sie wieder ab. Unser Fund aber lag in einer Mulde im Waldboden, die Münzen wurden hineingeschüttet.

Beute mit Finger

Kann man daraus schließen, dass die Person wenig Zeit hatte?

Groh: Die Münzen wurden im wahrsten Sinne des Wortes entsorgt, wahrscheinlich aus einem Sack in den Wald hinuntergeworfen. Wir haben jede Münze dreidimensional dokumentiert, was einzigartig ist.  Und wir haben das Muster, wie sie hingeworfen wurden, festgehalten. Außerdem haben wir ein Fingerglied gefunden mit einem Ring, der einem römischen Soldaten gehört hat.

Wie erklärt man sich diesen Finger?

Groh: Wir denken, der Finger wurde abgeschnitten, um den Ring gemeinsam mit den Münzen zu stehlen.  Bis in die Napoleonischen Kriege war es üblich, wenn man den Ring nicht abziehen konnte, den Finger abzutrennen.

Wir nehmen an, der Räuber ist geflohen, vielleicht wurde er verfolgt.

Kann man nachvollziehen, ob der Soldat noch gelebt hat oder schon tot war?

Groh: Nein, das wissen wir nicht. Aber wir haben mithilfe einer Anthropologin herausgefunden, dass er ungefähr 30 Jahre alt war. Auf den Münzen haben wir Brandspuren gefunden, sie sind in einer Holzkiste gelegen. Wir gehen davon aus, dass es sich um den Sold eines Legionärs gehandelt hat, der in der Region stationiert gewesen ist. Wir nehmen an, der Räuber ist geflohen, vielleicht wurde er verfolgt. Auf jeden Fall konnte er nicht mehr zurückkehren, um sein Diebesgut abzuholen. Vielleicht ist es für ihn gar nicht gut ausgegangen.

Nachweis für Militärpräsenz

Gibt es viele antike Kriminalfälle, die sich so genau rekonstruieren lassen?

Groh: Es gibt selten Fälle, die sich so minutiös aufgrund einer Indizienkette rekonstruieren lassen. Natürlich ist auch diese Geschichte hypothetisch, aber wenn man zwei und zwei zusammenzählt, bleiben nicht viele andere Möglichkeiten. Meist erschließen sich historische Gegebenheiten über Schriften. Wir wissen, dass dieses Wegenetz sehr gefährlich war, dass es zahlreiche Überfälle gab. Unser Fund ist der direkte Beweis für Militär in dieser Region, das stationiert war, um Ressourcen zu sichern.

Die Rebellion gegen Obrigkeit hat im Salzkammergut eine lange Tradition.

Wie geht es weiter mit der Forschung?

Groh: Gerade wurde eine Förderung für ein internationales Projekt auf drei Jahre bewilligt. Noch sind viele Fragen offen. Die Rebellion gegen Obrigkeit hat im Salzkammergut eine lange Tradition. Im römischen Reich wurden lokale Arbeitskräfte ausgebeutet. Wir nehmen an, dass es Einheimische waren, vielleicht sogar Arbeiter aus den Bergwerken, die diesen Überfall gemacht haben. 

Das klingt wie eine Robin Hood-Geschichte?

Groh: Für die Forschung ist die Folgewirkung auf jeden Fall großartig. Der Räuber hat durch seine Tat ermöglicht, dass Generationen später noch Geld bereitgestellt wird, um diesen Kriminalfall und die Strukturen in der Region weiter zu untersuchen.