Gerade im Bereich politischer Entscheidungen, die sich auf biowissenschaftliche Forschungsperspektiven und neue biomedizinische Anwendungen beziehen, kommt wissenschaftlicher Beratung und öffentlicher Beteiligung eine wachsende Bedeutung zu.
Komplexität und Kontroversialität der Biotechnologie führt zur Etablierung von neuen Politikberatungsformen: Ethikkommissionen und partizipative Verfahren treten an die Stelle traditioneller Interessenvertretung. Der kommunikative Produktionsprozess von bioethischer Expertise und deren (latente) Funktionen für politisches Entscheiden sind von der Soziologie bislang nicht befriedigend untersucht worden. Meine Fragestellung setzt hier in mehrfacher Hinsicht an:
Im Rahmen von zwölf Fallstudien wird in diesem Forschungsvorhaben die institutionalisierte Politikberatung im Bereich der Bioethik in fünf europäischen Ländern untersucht (Österreich, Schweiz, Deutschland, Großbritannien und Frankreich).
In theoretischer Hinsicht zielt dies darauf, eine gesellschaftstheoretisch informierte und empirisch fundierte Soziologie der Ethik und Moral voran zu bringen, die Anschluss findet an gegenwärtige Entwicklungen sozialwissenschaftlicher Expertiseforschung. Thematisch bezieht sich die Analyse auf aktuell kontroverse Bereiche wie die Gendiagnostik, die Stammzellforschung und das Klonen. Methodisch basiert das Projekt auf ausführlichen Experteninterviews, teilnehmender Beobachtung sowie der Inhaltsanalyse relevanter Materialien und Dokumente. Dabei werden Fälle bioethischer Politikberatung durch staatlich initiierte und geförderte Kommissionen in verschiedenen Institutionalisierungsformen (nationale Ethikräte, Enquete-Kommissionen) ebenso einbezogen wie neue Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung (Konsensus- bzw. Bürgerkonferenzen). Dies geschieht in Form eines internationalen Vergleichs.
Aus diesem europäischen Ländervergleich sind wesentliche Ergebnisse zur Frage der Legitimation politischer Entscheidungen und der Funktionalität von Öffentlichkeitsbeteiligung und Expertise im Kontext der durch den biowissenschaftlichen Fortschritt induzierten Kontroversen zu erwarten.
-> In the past, politics faced problems with controversies over technologies such as nuclear energy or, later on, biotechnology.
-> Technology controversies usually do not follow the traditional political logic of ‘left’ and ‘right’. They often arise over the acceptability of risks or over ethical concerns raised by technological innovation.
-> Currently, controversies over new technologies take place not so much in the public but amongst expert panels and scientific communities. Nanotechnology or biomedicine are relevant examples.
-> To ‘democratise’ the way we deal with new technologies, politics should provide appropriate deliberation and public dialogue formats.
->Technikkonflikte haben die Politik in der Vergangenheit vor große Probleme gestellt, man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Kernkraft oder, etwas später, um die grüne Gentechnik.
-> Technikkonflikte spielen sich oft jenseits der gewohnten politischen Koordinaten von „links“ und „rechts“ ab. Oft wird um die Akzeptanz von Risiken gestritten oder aber um die moralische Vertretbarkeit von Forschung und Technik.
-> Aktuelle Technikkonflikte spielen sich weniger in der Öffentlichkeit oder in den Parlamenten ab, sondern vielmehr in Expertengremien und Forschungskreisen. Beispiele sind die Nanotechnologie oder die Biomedizin.
->Die Politik sollte im Sinne einer „Demokratisierung“ von Technikfragen dafür Sorge tragen, mittels geeigneter Beteiligungs- und Deliberationsformate die Debatte über (zukünftige) Technologien öffentlich zu führen.
Folgt man aktuellen soziologischen Diagnosen, so lässt sich heute in verschiedenen Gesellschaftsbereichen eine Aufwertung des Partizipationsgedankens konstatieren. Im Umweltbereich kommt es dabei, so unsere These, zu einer Experimentalisierung von Partizipation. Das heißt, neben traditionelle und zuweilen protestförmige Teilhabeforderungen ökologisch bewegter BürgerInnen treten neue Beteiligungsformate, die sich oft der Initiative seitens der Wissenschaft verdanken. Solche Beteiligungsexperimente werden in der sozialökologischen Forschung genutzt, um konkrete Lösungen im Bereich nachhaltiger Entwicklung zu konzipieren und umsetzbar zu machen. Unsere empirische Analyse zeigt, dass die mit Partizipation erwarteten Rationalitätsgewinne am Ehesten in solchen Kontexten zu erwarten sind, in denen Eigeninteresse, lebensweltliche Betroffenheit und ein Spezialwissen der Beteiligten vorausgesetzt werden können.
Over recent years, science and technology have been reassessed increasingly in ethical terms. Particularly for life science governance, ethics has become the dominant discourse. In the course of this ‘‘ethical turn’’ national ethics councils were set up throughout Europe and in the United States to advice politics in ethically controversial issues such as stem cell research and genetic testing. Ethics experts have become subject to traditional warnings against expertocracy: they are suspected to unduly influence political decision-making. However, any reliable ethics expertise has to reflect societal disagreements in moral issues. Therefore, expert dissent is a normal feature of legitimate ethics expertise. Based on theoretical considerations we argue that in principle, expert dissent does not cause problems for political legitimacy; rather, it enhances the salience of politics: obviously decisions on ethical issues cannot be taken on the basis of expert knowledge alone. We therefore conclude that expert dissent, not consent, supports politics. Focussing on Germany and Austria, we show how politics deal with expert dissent in practice. While in Germany politics acknowledge dissent and use it to foster a fundamental political debate, Austrian politics attribute authoritative power to ethics expertise and try to construct an overall consensus. This illustrates how the drawing of boundaries between politic and expertise differs.
12/2006 - 11/2009