„Netzwerke“ sind in der gegenwärtigen Diskussion und im aktuellen Denken eine geradezu omnipräsente Erscheinung. Auch die geschichtswissenschaftliche Forschung ist reich an Studien zu historischen Netzwerken, die sich auf eine breite Vielfalt unterschiedlicher methodischer Zugänge stützen. Das Projekt setzt sich zum Ziel, das Egonetzwerk einer hochrangigen frühneuzeitlichen Fürstin zu beschreiben und untersuchen. Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg, die dritte Gemahlin Kaiser Leopolds I., repräsentierte und verband wie alle Fürstinnen Zeit ihres Lebens zwei Familien.

Während in der älteren Forschung Dynastien primär unter dem Gesichtspunkt der Herausbildung von Staatlichkeit betrachtet und dabei die politische Relevanz von Frauen (und auch von jüngeren Söhnen) gewöhnlich ausgeklammert wurden, ist heute klar, dass insbesondere adelige und fürstliche Frauen durch ihre Netzwerkwerktätigkeit – also den Aufbau und die Pflege vielfältiger sozialer Beziehungen – wesentliche Beiträge zur dynastischen Politik ihrer Familien leisteten. Die Korrespondenz von Kaiserin Eleonora Magdalena mit ihrem Vater und ihrem Bruder bildete beinahe vier Jahrzehnte lang eine wichtige Kommunikationsachse zwischen dem Kaiserhaus und ihrer 1685 zur pfälzischen Kurwürde aufgestiegenen Herkunftsdynastie.

Beide Häuser arbeiteten in dieser Zeit in reichspolitischen Belangen eng zusammen, zumal die zahlreichen Geschwister der Kaiserin geradezu als „dynastische Reserve“ (Volker Press) der Habsburger fungierten. In den Briefen wird nicht zuletzt das ausgedehnte Kontaktnetzwerk der Kaiserin greifbar, das sich von den großen europäischen Fürstenhäusern über das diplomatische, höfische und Regierungspersonal des kaiserlichen und des pfälzischen Hofs bis hin zu einer großen Zahl von Geistlichen unterschiedlichsten Ranges und in die Familien des Reichskirchenadels hinein erstreckte. 

Das Projekt widmet sich der Rekonstruktion des Egonetzwerks der Kaiserin Eleonora Magdalena aus den weit über 1000 Erwähnungen unterschiedlicher Personen in ihrer eigenhändigen Korrespondenz mit ihrem Vater Philipp Wilhelm (seit 1685 pfälzischer Kurfürst) und ihrem ältesten Bruder Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg (Kurfürst von 1690 bis 1716) über die Jahre 1677 bis 1716 (insgesamt ca. 5.300 Seiten). Dabei wird unter anderem Fragen wie den folgenden nachgegangen: Über welche Kontakte verfügte eine Frau aus fürstlicher Familie in den Hofgesellschaften ihrer beiden Dynastien und innerhalb der politischen Eliten des Reiches und Europas? Wie spiegeln sich diese sozialen Kontakte in den Briefen wider? In welcher Weise instrumentalisierte und nutzte die Kaiserin dieses Netzwerk, um soziale und politische Agency zu entfalten und zu behaupten?

Neben diesen Forschungsfragen ist es Ziel des Projektes, die digitale Edition, die im Vorgängerprojekt „Familiensache“ aufgebaut wurde und die derzeit in Beta-Version online verfügbar ist, editorisch zu vervollständigen. Zusätzlich zu den 1.151 edierten eigenhändigen Briefen der Kaiserin und den Kurzregesten der in der Korrespondenz mitüberlieferten Gegen- und Drittbriefe werden auch jene 44 Briefe ihres Bruders Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg transkribiert und editorisch erschlossen, die passagenweise chiffriert und damit nicht ohne Weiteres im Faksimile lesbar sind. Darüber hinaus wird das Personen- und Ortsregister komplettiert. Die internationale Sichtbarkeit der Edition wurde im Vorgängerprojekt durch die Einbindung der Metadaten der edierten Briefe in die Vernetzungsplattform für digitale Editionen correspSearch gesichert. Geplant ist weiter eine interaktive Visualisierung des Ego-Netzwerkes der Kaiserin.

Kontakt

Doz. Dr. Katrin Keller (PI)
Dr. Ines Peper
Dorota Vargová, BA MA


Laufzeit

01.08.2025 – 31.07.2028


Fördergeber

Fonds wissenschaftlicher Forschung (Grant-DOI 10.55776/PAT3146724)