Literarische und kodikologische Evidenz für Transkulturation im mongolischen bis frühtimuridischen Iran und Zentralasien (13.-15.Jh.)

Projektbeschreibung

Der Aufstieg Chinggis Khans (st. 1227) und die Expansion des Mongolischen Reichs in das westliche Eurasien im 13. Jahrhundert war ein dramatischer Einschnitt für die islamische Welt. Die Mongolen – und nach ihnen Timur – werden im Allgemeinen als unaufhaltsame Nomadenkrieger gesehen, die dem goldenen Zeitalter des Islam ein Ende bereiteten. Zugleich ist oft auf die außerordentlich reiche kulturelle Aktivität unter den Mongolen und Timuriden hingewiesen worden. Die Zerstörung einer wissensreichen Zivilisation durch „barbarische Eroberer“ scheint im Widerspruch zur gleichzeitigen kulturellen Hochblüte zu stehen. Man hat versucht, diesen Gegensatz durch die Annahme aufzulösen, dass Nomaden und ihre sesshaften Untertanen in getrennten, wenn auch wechselseitig voneinander profitierenden gesellschaftlichen Ordnungen lebten. In dieser konventionellen Sicht regierten die nomadischen Eroberer „vom Pferderücken“ und überließen das Tagesgeschäft der Verwaltung der eroberten Territorien eingeborenen Bürokraten. Dieses Projekt wählt hingegen einen anderen Ansatz. Die Ausgangshypothese lautet: Die Interaktion nomadischer Herrscher mit den sesshaften Eliten ging so weit, dass ein Prozess intensiver wechselseitiger kultureller Entlehnungen einsetzte. Nomaden und ihre sesshaften Untertanen waren gleichermaßen an der Schaffung einer kohärenten Kultur beteiligt. Das Projekt macht sich zur Überprüfung dieser Hypothese die große Menge an islamischen Manuskripten zunutze, die aus dieser Zeit erhalten ist. Wir bringen eine neuartige Methodologie zur Anwendung, die auf eine umfassende Dokumentation, Analyse und Interpretation einer großen und repräsentativen Zahl von Kodizes über Genregrenzen und Sprachen hinweg setzt. Nicht nur die in den Kodizes enthaltenen Haupttexte sind für das Projekt von Interesse. Vielmehr werden alle schriftlichen Notizen und materiellen Spuren, die Autoren, Auftraggeber, Besitzer, Leser und andere in vielen Kodizes hinterlassen haben, in voll berücksichtigt. Diese Spuren ermöglichen die Rekonstruktion der Produktion, Zirkulation und Rezeption von geschriebenem Wissen in manchmal beträchtlicher Detailgenauigkeit. Sie gestatten eine differenzierte Untersuchung der Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren unter den nomadischen und sesshaften Eliten, vom imperialen Hof bis zum städtischen oder ländlichen Gruppen und Individuen, die an der Produktion und Rezeption geschriebenen Wissens Anteil hatten. Die Kartierung dieser „Manuksriptlandschaft“, die von so unterschiedlichen Beteiligten wie Mitgliedern der mongolischen Herrscherfamilie oder relativ bescheidenen Sufis in kleinstädtischen Konventen bevölkert wird, liefert die Basis für eine Neubewertung kultureller Interaktion in der Zeit der Mongolen und frühen Timuriden. Um den Zugang zu dem zu erwartenden umfangreichen neuen Material aus diesen noch wenig erforschten Kodizes zu erleichtern, wird das Projekt zwei frei zugängliche digitale Datenbanken entwickeln.