05.08.2022

SOUNDS & SIGHTS OF SCIENCE #8

Ein trauriges Lied der Lovara – vorgestellt von Christiane Fennesz-Juhasz

WAS IST ZU HÖREN?

Ein Ausschnitt aus einem Gespräch von Ruža Nikolić-Lakatos und Mozes Heinschink am 15. August 1996 in Wien. Anlass dazu ist ein Projekt zum Romani-Dialekt der österreichischen Lovara (1996-1998, Universität Graz), an dem beide aktiv beteiligt sind. Das Gespräch findet im Haus der Familie Nikolić statt, was auch Nebengeräusche mit sich bringt. Es geht um alte Märchen und insbesondere um einige loke gjila (lyrische ‚langsame Lieder‘), die der Forscher bereits dreißig Jahre zuvor mit der Sängerin aufgenommen hat. Natürlich bleibt es nicht nur bei Kommentaren zu Herkunft und Bedeutung der Lieder, werden sie doch aufs Neue gesungen, so auch „Nasvali sim, mamo …“ (‚Krank bin ich, Mutter …‘).
 

AUFNAHME ABSPIELEN
 

WAS IST DARAN BESONDERS INTERESSANT?

Die Aufnahme D 4740 gibt ein Interview mit einer Expertin aus der Community durch einen Kenner der Sprache und Kultur von Roma wieder, aber auch den Dialog zweier seit Jahrzehnten befreundeter Personen. Ruža Nikolić-Lakatos (06.03.1945, Pápa/Ungarn – 04.05.2022, Wien) war längst nicht nur bei Wiener Lovara als Sängerin hochgeschätzt, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit ein Begriff. Das hier zu hörende loki gjili sang sie allerdings fast nie vor Publikum. Ihre frühen Interpretationen aus den 1960er Jahren mit etlichen weiteren Strophen verdeutlichen, dass das besungene Herzleiden durchaus metaphorisch als große seelische Not verstanden werden kann. Diese Klage kann exemplarisch für eine beachtliche Langzeitdokumentation stehen: Sie ist eines von hunderten Liedern von Lovara, darunter zahlreiche von Ruža Nikolić-Lakatos, die in den vergangenen sechzig Jahren in Österreich und anderen Ländern aufgenommen und schließlich im Phonogrammarchiv deponiert wurden. Diese Tonaufnahmen widerspiegeln eine gruppenspezifische Musikkultur – auch in ihrem Wandel –, die bis heute gelebt wird, und darüber hinaus Entwicklung und Werdegang einer ihrer Schaffenden.
 

WIE BESCHÄFTIGE ICH MICH DAMIT?

Das Phonogrammarchiv beherbergt einen umfangreichen Bestand zu Sprachen, Kultur und Geschichte von Roma. Diese Aufnahmen (von derzeit insges. 1400 Stunden, inkl. 100h Video) stammen aus österreichischen Forschungsprojekten und größtenteils aus Sammlungen, die durch Eigeninitiative ihrer Urheber/innen abseits des Wissenschaftsbetriebs entstanden. Zu meinem Aufgabengebiet gehört die Bearbeitung, Archivierung und Bereitstellung dieses Bestandes für Forschung, Bildungseinrichtungen, Kulturprojekte und betreffende Communities.
 


Christiane Fennesz-Juhasz ist Ethnomusikologin und am Phonogrammarchiv zuständig für Musikbestände und Aufnahmen zur Kultur von europäischen Minderheiten.


LINKS

Lieder der Lovara im UNESCO-Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich
Die Sammlung Heinschink, in: „Romane Thana – Orte der Roma“ (Ausstellungskatalog, Wien Museum 2015)