Historische Ethnographie der Franken

Die fränkischen Königreiche des 6.-9. Jahrhunderts stellten eine wichtige Stufe im den langen Prozess der Herausbildung ethnischer Identitäten in Europa dar. Viele moderne Nationen sind letztlich aus dieser fränkischen Erfahrung entstanden. Doch wer waren die Franken? Fränkische Identität ist viel schwieriger zu begreifen als meist angenommen. Der Begriff Franci konnte eine spezifische ethnische Zugehörigkeit beschreiben, die Einwohner einer Region (der Francia), eine soziale Stellung (die „Freien“), eine breite Bevölkerung von sehr gemischtem Ursprung (die Bewohner der fränkischen Königreiche), oder er konnte sogar in noch weiterem Sinn als Synonym für Germani oder (West-)Europäer verwendet werden.

Das Ziel des Projektes war es daher, wechselnde Wahrnehmungen und Auffassungen von fränkischer Identität zu untersuchen. Texte, im besonderen historiographische Texte, entwarfen und propagierten diese Identitäten. Das Projekt erfasste Unterschiede innerhalb einer reichhaltigen und komplexen Tradition fränkischer Historiographie, die im Dienst der Gegenwart die Vergangenheit umformte. Es bezweckte eine systematische Untersuchung der verschiedenen Erzählungen über Kernelemente fränkischer Identität: Herkunft, Stellung des Königtums, Bedeutung des Namens „Franci“, territoriale Gestalt, Beziehungen und Abgrenzungen zu anderen gentes etc. 

Diese Erzählungen wurden nicht nur zwischen verschiedenen Geschichtswerken verglichen (die Historiae des Gregor von Tours, Fredegars Chronik und ihre Fortsetzungen, und der Liber Historiae Francorum), sondern auch zwischen den Textvarianten und unterschiedlichen Rezensionen desselben Textes. Der Vergleich zwischen merowingischen und karolingischen Wahrnehmungen der Franken zeigte Wandlungen der fränkischen Identität auf. Als Ergebnis konnten nicht nur neue Einsichten in die Bedeutung fränkischer Identität erzielt werden, sondern auch neue Methoden des Umgangs mit Texten über Ethnizität.

Ein weiteres Ziel dieses Projekts war eine digitale Edition von drei Handschriften aus der Karolingerzeit (Paris, BN 10911, Wien ÖNB 473, St. Petersburg, Bibl. Saltykowa F IV. 4), in denen eine Reihe von Texten zur fränkischen Geschichte zusammengestellt sind (Liber historiae Francorum; Continuationes Fredegarii; Annales regni Francorum; Einhard, Vita Karoli; Astronomus, Vita Hludowici; karolingische Genealogien). Durch diese Edition wurden die in diesen Handschriften zusammengestellten Texte in ihrem überlieferten Zusammenhang als fränkische Geschichtsbücher hergestellt und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Darüber hinaus wurde aber auch einen Vergleich dieser karolingischen Geschichtsbücher untereinander ebenso wie mit den MGH-Editionen der einzelnen Texte ermöglicht.

Single Research Project

Projektleiter:

Helmut Reimitz

Mitarbeiter/innen:

Richard Corradini
Karl Giesriegl
Marianne Pollheimer
Gerda Heydemann
Veronika Wieser