Gastvortrag von Mathias Czaika, Donau-Universität Krems

Kommentar: Sieglinde Rosenberger, Universität Wien
Moderation: Rainer Bauböck, KMI

Zeit: Donnerstag, 11. November 2021, 17:00-19:00 Uhr
Ort: Sitzungssaal der ÖAW, Doktor-Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien
Zutritt nur bei Anmeldung und 2,5G-Nachweis

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es teilweise deutliche Unterschiede in den Zuwanderungsmustern aus so genannten Drittländern nach Europa. Der Anteil der ZuwanderInnen aus Nicht-EU-Ländern an allen ausländischen StaatsbürgerInnen ist in den letzten Dekaden kontinuierlich gestiegen. Die Zusammensetzung der EU-Zuwanderung in Bezug auf ihre Herkunft oder der zu Grunde liegenden Migrationsursachen oder -formen variierte jedoch teilweise erheblich zwischen den EU-Mitgliedstaaten (Czaika et al. 2021). Warum?
Während nationale Migrationspolitik annahmegemäß zumindest eine gewisse Rolle spielen sollte, ist das Ausmaß und die Art und Weise, wie diese Migrationsmuster aus einer Kombination von migrationstreibenden Faktoren und migrationspolitischen Maßnahmen resultieren, sowohl konzeptionell als auch empirisch umstritten. Die Wechselbeziehungen zwischen migrationstreibenden Faktoren und politischen Interventionen sowie deren kombinierte Auswirkungen auf Migrationsmuster sind komplex und in vielen Fällen wohl sogar „equifinal“. Mit anderen Worten: Ähnliche Migrationsmuster, z. B. in Bezug auf die Zusammensetzung und Dynamik der Migrationsströme, können aus unterschiedlichen kausalen Konfigurationen und Wechselwirkungen zwischen Migrationspolitik und anderen Migrationstreibern resultieren.
Die empirischen Belege für eine grundsätzliche Wirksamkeit von Migrationspolitiken erscheinen eher uneinheitlich (Czaika und de Haas 2013). Die theoretischen Grundlagen für die Erklärung der Rolle von Staaten und staatlicher Politik in der Beeinflussung von Formen, Zusammensetzungen, Dynamiken und Destinationen europäische Zuwanderung sind ebenfalls eher schwach. Analysen der "Migrationspolitik" beruhen häufig auf einem eher eng gefassten oder oftmals nicht definierten Verständnis des Begriffs. Komplexe Interaktions- und Rückkopplungsmechanismen zwischen zahlreichen politischen Instrumenten - insbesondere auch solchen, die über „klassische Migrationspolitik“ hinaus gehen - wurden zwar anekdotisch, aber nicht systematisch analysiert (de Haas et al. 2019). Die Anerkennung der Bedeutung komplexer politischer Konfigurationen und Interaktionen, die häufig sowohl Rückkopplungs- als auch Verbundeffekte auslösen, welche darüber hinaus oftmals durch sozioökonomische und politische Rahmenbedingungen in ihrer Wirkung beeinflusst werden, ist jedoch entscheidend für eine solide Bewertung sowohl der Möglichkeiten als auch der Grenzen migrationspolitischer Interventionen.

Univ.-Prof. Dr. Mathias Czaika ist Leiter des Departments für Migration und Globalisierung an der Donau-Universität Krems.