12.01.2021

Die Politik im Datendschungel

Computermodelle können den Verlauf von Pandemien vorhersehen. Wenn sie richtig interpretiert werden.

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Computermodelle liefern Orientierungswissen: Wie breiten sich Pandemien aus und wie können sie aufgehalten werden? Wie meistern wir die bevorstehende Energiewende? Ein Team von Forscher*innen vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der ÖAW rund um Anja Bauer (Alpen-Adria-Universität) hat die Rolle von Computermodellen in der Politikberatung analysiert.

Durch Big-Data-Anwendungen können riesige Datenmengen berücksichtigt werden. Dadurch erhofft man sich treffsichere Vorhersagen der Zukunft. “Mit der breiten Anwendung von Computermodellen in der Politikberatung sind aber auch viele Fragen verbunden“ meint Projektleiterin Anja Bauer. „Ist es z.B. sinnvoll, nur nach den wirtschaftlich optimalsten Lösungen zu suchen, wenn Europa die Handelspolitik mit Afrika modelliert? Geben Computermodelle den Politiker*innen das Gefühl, dass sie nur noch die errechnete ‚optimale‘ Entscheidung vollziehen müssen, oder bieten sie ihnen ausreichend Informationen, um selbst über Handlungsoptionen zu entscheiden?“

Bauer und ihr Team nahmen die Bereiche Handelspolitik, Energiewende und Nanotechnologien unter die Lupe, um Einblicke in die vielfältige Welt der Modellierung und Simulation zu erhalten und aufzuzeigen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse produziert werden und Politik informieren und legitimieren.

Was bringt ein Freihandelsabkommen?

„Die makro-ökonomische Modellierung begann in den 1970er Jahren bei der UNO und ist heute zu einem fixen Bestandteil für die Bewertung von Handelspolitik geworden", meint Projektmitarbeiter Titus Udrea. „Modelle können verschiedene Rollen haben: Sie können "harte" Zahlen für politische Entscheidungen liefern, oder als allgemeiner Raum für Debatten angesehen werden. Beim Handelsabkommen TTIP wurden Modell-Vorhersagen zum politischen Spielball um für oder gegen eine bestimmte Handelspolitik zu argumentieren. Die EU-Kommission wendet Modelle auch immer öfter nur intern an, ohne externen Evaluierungsprozess", gibt Udrea zu bedenken. "Wie glaubwürdig und legitim ist dann aber eine solche Modellierung?“

Wie schaffen wir die Energiewende?

Für Leo Capari spielt die Modellierung von Energiesystemen eine wichtige Rolle für die Neuausrichtung von Klima- und Energiepolitiken: „Die Umstellung des Energiesystems von fossilen und nuklearen hin zu erneuerbaren Energieträgern stellt uns vor neue Herausforderungen. Energiesystemmodelle liefern Szenarien dafür, wie wir in Zukunft ausreichend und günstige erneuerbare Energie zur Verfügung haben und zugleich die Versorgungssicherheit gewährleistet ist.“ Notwendig sei aber mehr Transparenz bei der Erstellung der Modelle, um die Qualität der Politikberatung zu verbessern: „Viele Modellierungsansätze sind nicht leicht nachvollziehbar oder können überhaupt als „Black Boxes“ angesehen werden“, meint Capari. Dieses Problem wird auch innerhalb der Modellierungscommunity wahrgenommen und es entstehen Open Modelling Initiativen, die zum Ziel haben, Transparenz und Glaubwürdigkeit von Energiesystemmodellierungen zu verbessern.

Nanomaterialien als Herausforderung

Welche Risiken bergen Nanomaterialien? Daniela Fuchs vom ITA hat zwei Modellierungstools untersucht, die verschiedene Modelle zu Risikoaussagen und Maßnahmen-Empfehlungen integrieren. Ihr Fazit: „Am wichtigsten ist, dass Wissenschaft und Entwickler*innen klar darüber kommunizieren, was sie wissen, und was nicht. Denn bei einem so komplexen Bereich wie Nanomaterialien ist Unsicherheit eine bestehende Tatsache.“ Die Tools stellen hohe Anforderungen an die Entwickler*innen als auch in der Verwendung, so Fuchs. "Sie verlangen nicht nur eine hohe Menge an Daten, die teils sogar extra dafür generiert werden müssen, sondern benötigen auch Expertise im Risikoabschätzungsbereich um adäquat angewandt und interpretiert werden zu können." Für die Anwendung brauche es daher eine entsprechende Übersetzung, damit Risikoabschätzung überhaupt passieren kann.

Wenn wir wissen, was drin ist, können wir mehr rausholen

Projektleiterin Anja Bauer kommt zu dem Schluss, dass Computermodelle und -simulationen nicht als neutrale Werkzeuge gesehen werden können, sondern immer auch eine politische Dimension haben. „Dies schmälert nicht ihr Potenzial, nützliches Orientierungswissen für politische und gesellschaftliche Debatten zu liefern, verlangt jedoch einen reflektierten Umgang in politischen Entscheidungsprozessen und der gesellschaftlichen Meinungsbildung.“