24.04.2019

"Manche wollen eine Wiederverzauberung der Welt.“

ITA-Forscher Alexander Bogner meint, die Wissenschaft muss sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein. Wissenschaftliche Relevanz ließe sich zwar manchmal messen, oft aber nur qualitativ bestimmen. Für seinen Beitrag zur ÖAW-Preisfrage wurde er mit dem mit 8000 Euro dotierten 2. Platz ausgezeichnet.

Alexander Bogner ist Sozial- und Technikforscher am ITA. Sein Forschungsinteresse kreist um die Frage, inwiefern Wissenschaft und Technik sich wandeln, wenn die Grenzen zu Politik und Öffentlichkeit durchlässiger werden.

Herr Dr. Bogner, Gratulation zum 2. Preis! Die ÖAW hat die Preisfrage gestellt: „Ist gesellschaftliche Relevanz von Forschung bewertbar? Und wenn ja, wie?“ Was hat sie an der Frage gereizt?

Wir müssen uns diese Frage stellen, denn was hat unsere Arbeit heute noch für eine Bedeutung, wenn es keine Berührungspunkte zur Gesellschaft gibt? Vor 50 Jahren hat die Wissenschaft gesagt: „Vertraut uns, wir machen wichtige Forschungsarbeit, die ihr nicht versteht.“ Die Zeiten sind vorbei. Heute haben wir Erklärungsbedarf.

Die ÖAW-Preisfrage schließt an die großen Preisfragen europäischer Wissenschaftsakademien im 17. und 18. Jahrhundert an. Die Akademie von Dijon hat z.B. gefragt, ob Wissenschaft überhaupt gut ist für den Fortschritt der modernen Zivilisation. Der Preisträger Rousseau war skeptisch, er hat den „Urzustand“ des Menschen favorisiert. Die Frage der ÖAW hingegen lautete:  „Lässt sich die Relevanz der Wissenschaft bewerten?“ Dies setzt bereits voraus, dass die Wissenschaft relevant ist und dass unsere Forschung konkrete Ergebnisse bringt.

Sie sagen auch, Relevanz ist nur dann messbar, wenn wir Laien miteinbeziehen. Was meinen Sie damit?

Es gibt verschiedene Formen der gesellschaftlichen Relevanz, weil wir immer darauf achten müssen, wer die Fragen stellt. Ist es die Politik, die Forschung auf ihre praktische Umsetzung und wirtschaftliche Relevanz hin prüfen will? Sind es gesellschaftliche Einrichtungen wie NGOs? Oder ist es die Wissenschaft, die die BürgerInnen in ihre Forschung miteinbezieht?

Wenn die Gesellschaft relevant ist für die Wissenschaft, also im Bereich partizipativer Forschung können wir Relevanz messen. Im Bereich der Innovationsentwicklung gibt es zum Beispiel seit vielen Jahren vielfältige Methoden, um Laien konstruktiv miteinzubeziehen. Ihr Wissen soll die Expertise der Wissenschaft ergänzen. Hier kommt auch die Technikfolgenabschätzung ins Spiel.

Sie gehen dann einen Schritt weiter und sagen, die Wissenschaft hat in unserer Gesellschaft eigentlich zu viel Relevanz. Wird Forschung am Ende überbewertet?

Heute legt die Wissenschaft in hohem Maß unser Weltbild fest. Wir glauben an das Higgs-Boson, aber kaum jemand kann beweisen, dass es da ist. Das ist eigentlich eine Zumutung. Wir erheben jene Erfahrungen, die wir methodisch kontrolliert machen, zu Fakten, die Erfahrungen von Laien werten wir aber zu „Anschauungen“ ab. Dieses Paradox kommt im aktuellen Krieg gegen den Rationalismus zum Ausdruck. Die Anhänger des Kreationismus oder der „Die Erde ist flach“-Bewegung wollen im Grunde eine Wieder-Verzauberung der Welt. Sie wollen weg von diesem Berechenbarkeitsparadigma, egal mit welchen Mitteln. Da hat die Wissenschaft eine Aufgabe.

Die Wissenschaft sollte sich dessen bewusst sein, dass sie vielen Menschen nicht mehr ganz geheuer ist: Sie bestimmt, was als rational gilt und  was wir glauben sollen.

Umgekehrt hat der Laie heute die totale Verantwortung: Er muss ständig mit neuen Informationen umgehen. Wird der Laie da nicht letztlich zum überforderten Hauptdarsteller?

Genau das ist der Punkt: Ständig kommen neue Themen auf uns zu, über die wir uns eine Meinung bilden sollen. Die Wissenschaft ist seit der Nachkriegszeit auf Wachstum programmiert. Wettbewerbe um Forschungsgelder, die Ausdifferenzierung von Disziplinen und Subdisziplinen – es wird langsam unüberschaubar.

Das Problem der gesellschaftlichen Relevanz der Wissenschaft sollten wir ernst nehmen, aber nicht dramatisieren. Relevanz ist bewertbar, aber wenn Wissenschaft und Ratio zu viel Relevanz haben, zu autoritativ auftreten, müssen wir auf einen Rückschlag des Pendels gefasst sein. Oder, wie Rousseau vielleicht sagen würde: Eine durch Rationalisierung strukturierte Welt kann in Gefahr laufen, ihre Authentizität zu verlieren.

Von: Denise Riedlinger

 

Links

„Ist gesellschaftliche Relevanz von Forschung bewertbar und wenn ja, wie?“ Beitrag von Alexander Bogner als PDF

ÖAW-Artikel: Gewinner/innen der ÖAW-Preisfrage zur Bewertbarkeit von Forschung stehen fest