28.04.2021

Egotrip Wissenschaft?

Wie entsteht Innovation? Werden gute Ideen von einzelnen genialen Köpfen geboren oder sind sie das Resultat eines gemeinschaftlichen Gedankenprozesses? Diese und andere Fragen beleuchten die Herausgeberinnen Karen Kastenhofer und Susan Molyneux-Hodgson in ihrem soeben erschienen Buch „Making Sense of Community and Identity in Contemporary Technosciences”.

Der iGEM, ein internationaler Wettbewerb für wissenschaftlichen Nachwuchs, der über nationale Teams ausgetragen wird und für neue Forschungsfelder begeistern soll, ist für Kastenhofer ein gutes Beispiel wissenschaftlichen Team-Buildings. (Foto: "iGEM From Above 2019", iGEM Foundation/Flickr)

Dieser Open-Access-Band hinterfragt althergebrachte Konzepte von Gemeinschaft und Identität anhand von Beispielen aus den modernen Technowissenschaften wie etwa der Biochemie, der synthetischen Biologie oder, etwas überraschender, der Nachhaltigkeitsforschung: „In der Nachhaltigkeitsforschung gibt es keine jahrhundertelange Tradition, da definiert man sich eher über problemorientierte Innovationen und setzt sich über traditionelle Kategorien hinweg, damit Neues funktioniert“, betont Kastenhofer, Forscherin am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Warum dieses Buch überfällig war, erklärt sie hier:

Frau Kastenhofer, was bedeutet der Begriff „Gemeinschaft“ im Zusammenhang mit Technowissenschaft überhaupt?

Kastenhofer: In der Wissens- und Technikforschung wurde Wissen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts immer so präsentiert, dass ein einzelner genialer Kopf, meistens der eines weißen Mannes, eine tolle Idee hatte. Wenn möglich, unter der Dusche. Erst in den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich die Perspektive durchgesetzt: es gibt eine Gemeinschaft von Wissenschafter*innen. Einzelne Köpfe haben Ideen, aber die haben sie im Austausch und in der Kommunikation mit anderen und aufbauend auf bestehende Vorannahmen. Die Wissenschaft produziert Innovation als soziales System.

Innovation ist also etwas Soziales?

Kastenhofer: Natürlich gibt es verschiedene wissenschaftliche Gemeinschaften, die jeweils anders ticken, etwa die der Physiker*innen, der Biolog*innen oder der Soziolog*innen. Es gab bis in die 1980er hinein auch eine klare Trennung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Es gab eine Basisfinanzierung, es war Geld da, Hochschulen konnten expandieren, Ausbildung wurde in nie dagewesenem Ausmaß finanziert.

Dieses System hat sich verändert. Heute werden Public Management Prinzipien an den Universitäten angewandt, die eigentlich aus der Privatwirtschaft kommen. Wir erleben eine „Projektifizierung“ der Forschung. Wissenschafter*innen sollen möglichst international sein, Projekte durch Drittmittel finanzieren, sich flexibel und anpassungsfähig zeigen. Es ist daher Zeit, sich anzusehen wie Wissenschaft heute entsteht und funktioniert. Die Identität der Wissenschafter*innen und auch die Gemeinschaftlichkeit in der Wissenschaft werden völlig neu geprägt.

Das klingt ja fast, als wäre die Wissenschaft nun ein Job wie jeder andere?

Kastenhofer: Die Ära der Lehrstuhl-Professuren ist jedenfalls vorbei. Wenn wir an eine „Intelligenzia“ denken, die für’s Denken und Wissen bezahlt wurde, reden wir von der Vergangenheit. Messbarer ‚Output‘ und Anwendungsorientierung sind inzwischen zentraler Maßstab. Unser Buch fragt konkret, wie sich diese Entwicklung auf die breitere wissenschaftliche Gemeinschaft und Identität auswirkt. Das sind große, komplexe Themen.

Der Anspruch des Bandes ist es, auf Basis von empirischen Einzelstudien zu beleuchten, wie sich diese Verschiebungen bemerkbar machen: Gemeinschaft und Identität werden teils getrennt beleuchtet, sie hängen aber natürlich auch stark zusammen: Identitäten werden in Gemeinschaften konfiguriert. Aber, wie stark muss ich mich abgrenzen? Muss ich eine Unique Selling Proposition haben, die sich von anderem und Früherem abgrenzt oder lebe ich eine Wissenschaftskultur, in der das Gemeinschaftliche und auch Traditionen im Vordergrund stehen? Natürlich schließt das eine das andere nicht aus, das Pendel kann aber doch in die eine oder andere Richtung ausschlagen: Konkurrenz und Abgrenzung oder Kooperation und Integration.

 

Inhaltsverzeichnis

  • Making Sense of Community and Identity in Twenty-First Century Technoscience
  • Success of a Research Speciality at the University of Strasbourg (1961–2011)
  • What Synthetic Biology Aims At: Review Articles as Sites for Constructing and Narrating an Emerging Field
  • The Emergence of Technoscientific Fields and the New Political Sociology of Science
  • Self-Organisation and Steering in International Research Collaborations
  • The Project-ed Community
  • The Epistemic Importance of Novices: How Undergraduate Students Contribute to Engineering Laboratory Communities
  • Tracing Technoscientific Collectives in Synthetic Biology: Interdisciplines and Communities of Knowledge Application
  • Community by Template? Considering the Role of Templates for Enacting Membership in Digital Communities of Practice
  • Performing Science in Public: Science Communication and Scientific Identity
  • Being a ‘Good Researcher’ in Transdisciplinary Research: Choreographies of Identity Work Beyond Community
  • Constructing (Inter)Disciplinary Identities: Biographical Narrative and the Reproduction of Academic Selves and Communities
  • ‘Big Interdisciplinarity’: Unsettling and Resettling Excellence
  • A Passion for Science: Addressing the Role of Emotions in Identities of Biologists