30.06.2021

Diskussion: Die Krise nur mit Expertise bewältigen?

ITA-Forscher Alexander Bogner plädiert bei ÖAW-Symposium für einen fachübergreifenden Pandemierat – Barbara Prainsack: Wissenschaft ist Tagesthema geworden. Virologe Florian Krammer wagte den "Sprung ins kalte Wasser."

Das Symposium wurde unter der konzeptionellen Leitung von Alexander Bogner (ITA, 3.v.l.), Sylvia Knapp (Medizinische Universität Wien) und Hannes-Jörg Schmiedmayer (TU Wien) organisiert und im Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien sowie online abgehalten. (Foto: Daniel Hinterramskogler)

Welche Bedeutung hat Expert*innenwissen im Fall einer Krise? Wie kann es der Politik eine Richtung aufzeigen, und wo muss die Politik selbständig agieren? Diese und andere Fragen diskutierten am 28. Juni Alexander Bogner (Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung – ITA der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), Viola Priesemann (Physikerin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation), Barbara Prainsack (Politikwissenschaftlerin an der Universität Wien) und Florian Krammer (Virologe an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai) im Rahmen eines ÖAW-Symposium zum Thema: „Was können die Wissenschaften in der Corona-Pandemie leisten?

Stimmen von Politik, Bürger*innen und Wissenschaft nebeneinander stellen

Alexander Bogner betonte, dass verschiedene wissenschaftliche Disziplinen auch unterschiedliche Perspektiven auf die Pandemie zu Tage fördern: "Während Fachleute aus der Virologie mit Blick auf die Inzidenzen einen nächsten Lockdown begrüßten, warnten viele Ökonomen davor. Während die Medizin auf die Ansteckungsfähigkeit auch junger Menschen hinwies, warnte die Bildungsforschung vor weiterem Digitalunterricht", so Bogner. Er plädiere daher für einen interdisziplinär besetzten Pandemierat. In diesem Rat wären neben Medizin, Virologie und Komplexitätsforschung auch die Geistes- und Sozialwissenschaften integriert,  z.B. die Technikfolgenabschätzung. Es gäbe nicht die eine „wissenschaftlich richtige“ Lösung, sondern es ginge letztlich um Interessenabwägungen und Wertentscheidungen, bei der auch die Stimmen der Bürger*innen gehört werden müssten.

Wissenschaft wurde zum Tagesthema

Für Florian Krammer wiederum bedeutete es einiges an Überwindung, sich der Öffentlichkeit in einem nie da gewesenen Ausmaß zu stellen. Der in den Medien vielfach sichtbare und zitierter Virologe war es zwar bereits aus der US-amerikanischen Wissenschaftskultur gewohnt, offensiver zu kommunizieren, in der Pandemie sei dies aber aufgrund des anfangs geringeren Wissensstandes und den Erwartungen der Bevölkerung eine große Herausforderung gewesen.

Barbara Prainsack hob die Unterschiede in der Krisenbewältigung hervor. Während die meisten der Wissenschaft mehr als je zugehört hätten, gab es eine große Masse, die Expert*innenwissen nicht akzeptiert hätten. Nach der Pandemie gäbe es daher "ein neues Verhältnis zwischen Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik. [...] Gespräche über Wissenschaft sind zu Weltanschauungsdiskussionen geworden", so Prainsack.