24.11.2023

Zellschicksal: Mechanismus für Schalter in Stammzellen identifiziert

Stammzellen differenzieren sich, um tote oder beschädigte Zellen zu ersetzen. Aber wie entscheiden Stammzellen, welche Art von Zelle sie in einer bestimmten Situation werden? Anhand von Darmorganoiden hat die Gruppe von Bon-Kyoung Koo am IMBA und dem Institute for Basic Science ein neues Gen, Daam1, identifiziert, das eine wesentliche Rolle als Schalter in der Entwicklung von Sekretionszellen im Darm spielt. Ihre Studie, die am 24. November im Fachjournal Science Advances erscheint, eröffnet neue Perspektiven für die Krebsforschung.

Unser Körper ähnelt einem Auto - um zu funktionieren, muss er regelmäßig überprüft und repariert werden. Im Falle unseres Körpers müssen alle schadhaften oder toten Zellen ersetzt werden, damit die Organe funktionieren. Dieser Ersatz erfolgt dank gewebeeigener adulter Stammzellen. Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen, die jeden Zelltyp im Körper bilden können, bilden adulte Stammzellen nur die Zelltypen, die in dem Gewebe vorkommen, zu dem sie gehören. Aber woher wissen die gewebespezifischen Stammzellen, welcher Zelltyp entstehen soll? Gabriele Colozza, Postdoktorand im Labor von Bon-Kyoung Koo am IMBA, dem Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, - jetzt Direktor am Center for Genome Engineering, Institute for Basic Science in Südkorea - beschloss, diese Frage anhand von Darmstammzellen zu untersuchen.  

Der Darm - eine ständige Baustelle 

„In unserem Darm sind die Zellen extremen Bedingungen ausgesetzt“, erklärt Colozza. Mechanische Abnutzung, aber auch Verdauungsenzyme und wechselnde pH-Werte setzen den Darmzellen zu. Die Stammzellen in der Darmschleimhaut wiederum differenzieren sich und bilden neue Darmzellen. „Beschädigte Zellen müssen ersetzt werden, aber es ist ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Erneuerung der Stammzellen und der Differenzierung in andere Zelltypen: Eine unkontrollierte Vermehrung der Stammzellen kann zur Tumorbildung führen; wenn sich andererseits zu viele Stammzellen differenzieren, verarmt das Gewebe an Stammzellen, sodass es sich schließlich nicht mehr selbst erneuern kann.“  

Dieses Gleichgewicht wird durch Signalwege und Rückkopplungsschleifen, mit Hilfe derer die Zellen kommunizieren, präzise eingestellt. Ein wichtiger Signalweg dafür ist der Wnt-Signalweg, der für seine Rolle in der Embryonalentwicklung bekannt ist. Wenn der Wnt-Signalweg nicht in Schach gehalten wird, kann ein überaktiver Wnt-Signalweg zu übermäßiger Zellteilung und zur Bildung von Tumoren führen.  

Molekularer Partner identifiziert 

Ein bekannter Antagonist des Wnt-Signalwegs - der Wnt in Schach hält - ist Rnf43, der ursprünglich von Bon-Kyoung Koo identifiziert wurde. Bis zu dieser Studie war bekannt, dass Rnf43 auf den Wnt-Rezeptor Frizzled abzielt und ihn zum Abbau markiert. „Wir wollten wissen, wie Rnf43 funktioniert, aber auch, wie Rnf43 kontrolliert wird und was Rnf43 hilft, den Wnt-Signalweg zu regulieren.“ Aus früheren Untersuchungen wussten die Wissenschaftler, dass Rnf43 alleine nicht den Wnt-Rezeptor Frizzled, der in der Plasmamembran sitzt, abbauen kann. „In unserem Projekt haben wir mit biochemischen Assays untersucht, welche Proteine mit Rnf43 interagieren.“ Als ein wichtiger Partner von Rnf43 erwies sich das Protein Daam1.  

Um zu verstehen, wie Daam1 Rnf43 reguliert und die Gewebe, in denen Rnf43 wirkt, beeinflusst, nutzte Colozza Darmorganoide. „Wir fanden, dass Daam1 benötigt wird, damit Rnf43 aktiv ist, also damit Rnf43 die Wnt-Signalübertragung überhaupt regulieren kann. Weitere Arbeiten in Zellen zeigten, dass Rnf43 Daam1 benötigt, um den Wnt-Rezeptor Frizzled in Vesikel, so genannte Endosome, zu transportieren. Von den Endosomen wird Frizzled zu den Lysosomen transportiert, wo es abgebaut wird, was wiederum die Wnt-Signalübertragung dämpft“, fügt Colozza hinzu.  

Darmorganoide sind dreidimensionale Zellkulturen, die aus adulten Darmstammzellen gezüchtet werden und es den Forschern ermöglichen, die Darmschleimhaut zu imitieren. Für Colozza boten die Organoide eine Gelegenheit zu verstehen, wie Rnf43 und Daam1 das empfindliche Gleichgewicht von Stammzellerneuerung und -differenzierung im Darm beeinflussen. „Die Organoide wachsen zu tumorähnlichen Strukturen, wenn wir Rnf43 oder Daam1 ausschalten. Diese tumorähnlichen Organoide wachsen auch dann weiter, wenn wir ihnen die Wachstumsfaktoren entziehen, von denen sie normalerweise abhängen, wie etwa R-Spondin.“  

Schalter für sekretorische Zellen 

Als Colozza dieses Ergebnis in Mausgewebe weiterverfolgte, erlebten die Forscher eine Überraschung. „Wenn Rnf43 fehlte, wuchsen im Darm Tumore - wie erwartet. Aber wenn Daam1 fehlte, wuchsen keine Tumore. Dieser auffällige Unterschied gab uns ein Rätsel auf: Wie kann der Verlust von Faktoren desselben Signalwegs, die sich in Organoiden ähnlich verhalten, zu so unterschiedlichen Ergebnissen führen?“ 

Bei näherer Betrachtung stellte Colozza fest, dass Mausdärme ohne Rnf43 voll von einer Art von sekretorischen Zellen, den sogenannten Paneth-Zellen, waren. Dagegen enthielten Mausdärme, denen Daam1 fehlte, keine zusätzlichen Paneth-Zellen. Paneth-Zellen produzieren Wachstumsfaktoren wie Wnt, die die Zellteilung anregen. „Daam1 ist für die effiziente Bildung von Paneth-Zellen erforderlich. Wenn Daam1 aktiv ist, differenzieren sich die Stammzellen zu Paneth-Zellen. Wenn Daam1 nicht aktiv ist, differenzieren sich die Stammzellen in einen anderen Zelltyp.“  

Tumore verändern ihre Nische, um zu wachsen  

Diese Verbindung zwischen den molekularen Ergebnissen und den Paneth-Zellen erklärt den rätselhaften Unterschied zwischen Darm und Organoiden. „In der Organoidkultur stellen wir Wissenschaftler Wachstumsfaktoren zur Verfügung, so dass der Knockout von Rnf43 und Daam1 zu tumorähnlichen Organoiden führt. Aber im Darm gibt es keinen kleinen Wissenschaftler, der Wachstumsfaktoren bereitstellt. Stattdessen stellen Paneth-Zellen Wachstumsfaktoren wie Wnt bereit und schaffen die richtigen Bedingungen, damit die Stammzellen überleben und sich teilen können. Wenn Paneth-Zellen fehlen - etwa wenn Daam1 nicht aktiv ist, um Zellen dazu zu bringen, Paneth-Zellen zu werden -, teilen sich die Stammzellen kaum. Wenn jedoch zu viele Paneth-Zellen vorhanden sind - wie in Därmen, denen Rnf43 fehlt - können die übermäßigen Wachstumsfaktoren zur Bildung von Tumoren beitragen.“  

Die Studie von Colozza und Kollegen ist der erste genetische Beweis dafür, dass Daam1, ein Mitglied des nicht-kanonischen Wnt-Signalwegs, wichtig für die Spezifizierung von Paneth-Zellen ist und direkt an der Entwicklung dieser wichtigen sekretorischen Zelle beteiligt ist. Die Ergebnisse werfen auch ein Licht auf die Bedeutung der Stammzellnische. „Wir zeigen, dass Tumorzellen ihre Mikroumgebung modifizieren und ihre Umgebung beeinflussen, damit sie besser wachsen können.“