Technikfolgenabschätzung und Normativität – An welchen Werten orientiert sich TA?

Internationale Konferenz TA18, Wien, 11. Juni 2018
Hauptgebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien

TA18 – Abstracts


Keynote: Wertbezüge in der Technikfolgenabschätzung – Plädoyer für eine Praxis der reflexiven Normativität
Regine Kollek

Stimuliert durch aber auch unabhängig von aktuellen Phänomenen wie beispielsweise der Diskussion um ‚fake news‘ oder ‚alternativen Fakten‘ wird die Normativität – also der Wertbezug – der Technikfolgenabschätzung (TA) mit einiger Regelmäßigkeit immer wieder kritisch thematisiert. Oft geschieht dies im Zusammenhang mit der Publikation politisch wenig opportuner Studien oder Ergebnisse, oder im Kontext der Konkurrenz um Ressourcen, weswegen sich die Kritik hinsichtlich ihrer Interessengebundenheit selber befragen lassen muss.
Dennoch ist zu konstatieren, dass die TA wie alle evidenzbasierten Forschungsansätze auf einer Reihe von normativen Voraussetzungen basiert, die sowohl im epistemischen Konzept (z.B. Folgenorientierung) als auch in den unumgänglichen methodischen und thematischen Selektivitäten bestehen. Dies ist jedoch keine Besonderheit der TA, sondern als empirische Forschungsaktivität teilt sie diese Art der normativen Prägung praktisch mit allen methodisch vorgehenden und auf ein bestimmtes Erkenntnis- oder Handlungsziel hin ausgerichteten Wissenschaften. Weiterhin beschränkt sich die TA nicht auf die Analyse wissenschaftlich-technischer Entwicklungen und damit zusammenhängender soziokultureller und ökologischer Implikationen; häufig ist sie darüber hinaus dazu aufgefordert, politische Handlungsoptionen aufzuzeigen. Auch dies ist ohne Bezug auf eine intern oder extern vorgegebene, normativ bestimmte Vorgabe (z.B. Nachhaltigkeit) kaum möglich.
Vor diesem Hintergrund und dem der Diskussionen und Befunde der Science and Technology Studies der letzten Jahrzehnte stellt sich die Frage, in welcher Weise der Anspruch auf neutrale und unvoreingenommene Expertise und Beratung, die im politischen Raum jedoch weiterhin dringend benötigt werden, von der TA gerechtfertigter Weise aufrecht erhalten werden kann. Dabei kann es einerseits nicht darum gehen, die vielfältigen normativen Bezüge der TA zu verleugnen. Andererseits kann der Verweis darauf jedoch auch nicht dazu benutzt werden, die Intentionen oder Ergebnisse der TA zu diskreditieren. Vielmehr muss es – so die These – darum gehen, so etwas wie eine Praxis der „reflexiven Normativität“ in der TA zu etablieren, die den „Mythos der Neutralität“ durch transparente Verfahren der Erzeugung politikberatungsrelevanten Wissens entzaubert, aber den Anspruch auf Neutralität und Unvoreingenommenheit dabei nicht aufgibt. Unter Bezug auf Ansätze u.a. von Longino und Latour sollen in dem Vortrag einige der Elemente einer solchen Praxis skizziert und diskutiert werden, die die Erzeugung solchen Wissens im Rahmen der TA ermöglichen.
 
Regine Kollek, bis 2016 Professorin für Technikfolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in der Medizin und geschäftsführende Direktorium des Forschungsschwerpunktes Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt (FSP BIOGUM), Universität Hamburg.
Arbeitsschwerpunkte: theoretische Aspekte der Technikfolgenabschätzung sowie wissenschaftstheoretische, wissenssoziologische und ethische Fragen moderner biomedizinischer Entwicklungen.
Letzte Monografie: Contextualizing Systems Biology. Heidelberg: Springer, 2015 (gemeinsam mit Martin Döring, Imme Petersen, Anne Brüninghaus).