04.01.2024

Wie der nachhaltige Wintertourismus der Zukunft aussieht

Von Österreich über Frankreich und die Schweiz bis nach Italien und Slowenien - zehn Wintersportorte haben sich gemeinsam mit Forschenden der ÖAW vernetzt, um akute und langfristige Herausforderungen für den Wintertourismus umweltfreundlich zu bewältigen. Wie das funktioniert erklärt Projektleiter Andreas Haller.

Was kommt nach dem Skifahren? Diese und weitere Fragen wollen Forschende gemeinsam mit Wintersportorten beantworten. © Adobe Stock

Im von der EU geförderten Forschungsprojekt TranStat (Transitions to Sustainable Ski Tourism in the Alps of Tomorrow) bringen Wissenschaftler:innen und Vertreter:innen von Behörden und Unternehmen alle Stakeholder in Wintertourismusregionen zusammen, um die größten Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze zu definieren. Die Idee dahinter ist, dass langfristig tragfähige Konzepte nur entstehen können, wenn alle Interessengruppen mit einbezogen werden.

Andreas Haller leitet am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die österreichische TranStat-Forschungsgruppe. Im Gespräch erzählt er, wo bei Wintersportorten der Schuh drückt und welche Lösungen mit den Menschen vor Ort erarbeitet werden.

Zehn Skigebiete vernetzen sich

Was sind die wichtigsten Herausforderungen für den Wintertourismus?

Andreas Haller: Genau das wollen wir mit TranStat gemeinsam mit den Stakeholdern vor Ort herausfinden. Wir haben 10 Testskigebiete in den Alpen, in denen wir die Interessengruppen zusammenbringen und diskutieren, welche Probleme am dringlichsten sind, zum Beispiel in Workshops mit Liftbetreibern und Tourismusvertretern. Wir Forscher:innen haben zuvor die wissenschaftliche Literatur analysiert und viele mögliche Herausforderungen identifiziert. Der Klimawandel und demografische Veränderungen sind in unseren Gesprächen vor Ort wohl die meistdiskutierten Probleme. Aber neben solchen Megatrends gibt es auch wirtschaftliche, politische und technologische Problemstellungen und diese Faktoren können regional ganz unterschiedlich sein.

Wir haben 10 Testskigebiete in den Alpen, in denen wir die Interessengruppen zusammenbringen und diskutieren, welche Probleme am dringlichsten sind.

Was wäre ein Beispiel dafür?

Haller: Die Urbanisierung trifft einzelne Skigebiete, weil Menschen in die Städte abwandern. In anderen Wintersportregionen, die näher an großen Städten sind, sehen wir teilweise eine gegenteilige Entwicklung, weil Leute aus der Stadt aufs Land drängen, wenn auch vielleicht nur mit einem Zweitwohnsitz. Vor allem im Frankreich und der Schweiz sprechen wir dann auch von Periurbanisierung. Dann steigen natürlich die Preise fürs Wohnen. Darum ist unser transdisziplinärer Ansatz mit dem Einbeziehen der regionalen Strukturen so wichtig. So können wir die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen und auf dieser Basis Maßnahmen entwickeln, gemeinsam mit Vertreter:innen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Es ist am Anfang natürlich schwierig, alle an einen Tisch zu bekommen, aber mittlerweile machen wir gute Fortschritte. Das Projekt läuft schon fast ein Jahr und die Bergbahnbetreibenden forschen fleißig mit.

Vom Walsertal bis Kranjska Gora

Ist nachhaltiger Wintertourismus überhaupt möglich?

Haller: Wir haben unsere Definition von Gebirgsdestinationen relativ weit gedacht und wollen das Skifahren nicht unbedingt ins Zentrum stellen. Das Ziel ist, dass die vom Wintertourismus abhängigen Orte auch in Zukunft lebenswert bleiben, auch wenn in einigen Szenarien der Fokus dann wegrücken muss vom Skifahren. Wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, ist vieles erreichbar. Wie nachhaltiger Wintertourismus in Zukunft in unseren Testregionen ausschauen soll, können wir derzeit noch nicht beantworten, aber genau deshalb gehen wir ja in die Orte, um nachzuschauen. Wir wollen im Rahmen von TranStat mit der Bevölkerung in den Regionen erforschen, wie man gemeinsam Veränderungsprozesse anstoßen kann.

Das Ziel ist, dass die vom Wintertourismus abhängigen Orte auch in Zukunft lebenswert bleiben, auch wenn in einigen Szenarien der Fokus dann wegrücken muss vom Skifahren.

In welchen Ländern sind die Testregionen?

Haller: In Österreich sind der Biosphärenpark Großes Walsertal in Vorarlberg dabei und Sankt Corona am Wechsel, in Frankreich zum Beispiel Megève, in Slowenien Kranjska Gora, in Italien Valmalenco und in der Schweiz haben wir auch mehrere Skigebiete. Wir haben in allen Regionen bereits die relevanten Stakeholder identifiziert und sind dabei, Netzwerke zu bilden.

Was soll am Ende des Projektes herauskommen?

Haller: Wir wollen Rezepte dafür entwickeln, wie man die vielfältigen Interessen in einer Gebirgsdestination zusammenbringen kann, um Herausforderungen gemeinsam zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu finden. Wir sehen ja heute bereits radikale Konzepte in einigen Regionen. In unserer Testregion Sankt Corona am Wechsel wurde zum Beispiel bereits vor 10 Jahren fast die gesamte Liftinfrastruktur abgebaut, teilweise gegen den Willen der regionalen Bevölkerung. Es war einfach klar, dass das wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll war. Skifahren spielt dort heute nicht mehr die Hauptrolle, aber dafür werden an warmen Wintertagen die Mountainbikestrecken geöffnet. Das Spektrum an möglichen Konzepten für nachhaltigen Wintertourismus wächst und so möchten wir flexibel auf regional unterschiedliche Probleme und Wahrnehmungen reagieren.

Viele der Probleme, die wir heute in den Alpen diskutieren, werden längerfristig auch in anderen Gebirgsregionen akut werden.

Wie geht es nach Projektende mit den lokalen Prozessen weiter?

Haller: Wir wollen in den kommenden zwei Jahren die Grundlagen schaffen und hoffen, dass wir am Ende Leute gefunden haben, die die erarbeiteten Szenarien weiter verfolgen und sich für Lösungen einsetzen. Wenn Forscher:innen auf Augenhöhe mit den Vertreter:innen lokaler Interessen diskutieren, vor Ort lernen und umfassende Sachstandsdarstellungen liefern, wird sicher viel eher eine Veränderung angestoßen, als wenn aus der Ferne Wissenschaftler:innen Stellung nehmen und Politiker:innen Aufgaben verteilen. Durch den transdisziplinären Ansatz wird der Erkenntnisprozess transparent gemacht. Unsere Erfahrungen und Rezepte können dann hoffentlich in anderen Ländern, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, als Inspiration dienen. Viele der Probleme, die wir heute in den Alpen diskutieren, werden längerfristig auch in anderen Gebirgsregionen akut werden.

© ÖAW/Daniel Hinterramskogler

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Haller ist Geograph und Senior Scientist am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zuvor forschte er an der Universität Innsbruck.