21.02.2022

Künstliche Intelligenz sucht nach unbekannten Teilchen

Physiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nutzen Künstliche Neuronale Netze, um in den Daten von Teilchenbeschleunigern nach bisher unbekannten Teilchen zu suchen. Ihre nun in der Fachzeitschrift European Physical Journal C veröffentlichte Methode spart viel Zeit und könnte in Zukunft helfen, neue Physik zu entdecken.

Ein Blick in den SuperKEKB-Beschleuniger und Belle II-Detektor im japanischen Tsukuba. © KEK

Die Suche nach neuen Teilchen mit Beschleunigern, wie zum Beispiel am CERN, ist komplex. Weil Störeinflüsse allgegenwärtig sind und schon minimalste Abweichungen des Winkels bei der Kollision zweier Teilchen zu komplett anderen Ergebnissen führen können, müssen Physiker/innen enorm viele Teilchenzusammenstöße beobachten, um durch statistische Untersuchung festzustellen, ob möglicherweise ein unbekanntes Teilchen entstanden ist. Forschende des Instituts für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben mit den sogenannten Punzi-Nets ein neues Werkzeug entwickelt, das diesen Prozess durch den Einsatz von maschinellem Lernen deutlich beschleunigt. Die Arbeit ist Teil des Projekts “InterLeptons”, das vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) gefördert wird.

Maschinen erkennen Muster

Ein Punzi-Net ist ein Neuronales Netzwerk, das in einem ersten Schritt lernt, wie ein mögliches Signal für ein bestimmtes Teilchen aussehen könnte. “Wir trainieren das Neuronale Netzwerk mit Daten, die sowohl das Signal als auch das stochastische Hintergrundrauschen der Detektoren eines Beschleunigers für ein bestimmtes Teilchen simulieren. So lernt das Netzwerk, Signal und Rauschen zu unterscheiden”, erklärt Gianluca Inguglia, Physiker an der ÖAW und Leiter von InterLeptons. Das reicht aber noch nicht aus, um die Suche nach unbekannten Teilchen zu beschleunigen. 
 
In einem zweiten Schritt wird das Punzi-Net weiter optimiert, indem es lernt, ein vom italienischen Physiker Giovanni Punzi entwickeltes Qualitätskriterium für Hochenergiephysik möglichst gut zu erfüllen. “Das Netz lernt, eine neue Funktion zu minimieren, die wir Punzi-Verlust nennen. Das ist der Kehrwert von Punzis Qualitätskriterium. Ein möglichst kleiner Punzi-Verlust bedeutet also hohe Güte eines Signals. Das Punzi-Net lernt so, verschiedene mögliche Massen eines Teilchens auf einmal zu prüfen, sogar solche, die nicht in den Trainingsdaten enthalten waren”, sagt Inguglia.

Unbekannte Masse

Vor allem, wenn die Masse eines Teilchens nicht genau bekannt ist, können Punzi-Nets die Suche deshalb enorm beschleunigen. “In solchen Fällen mussten wir bisher viele verschiedene Modelle für die diversen möglichen Massen jeweils einzeln prüfen. Wenn wir mehrere hundert Modelle haben, dauert die Prüfung jeweils mehrere Stunden. Ein Punzi-Net kann all diese Modelle in derselben Zeit prüfen”, so Inguglia.
 
Das macht das neue Werkzeug zum Beispiel für die Suche nach dunkler Materie interessant. Derzeit sind die Forscher/innen dabei, ihre Methode erstmals auf echte Daten aus dem SUPER-KEKB Elektronen-Positronen-Beschleuniger in Japan anzuwenden, um im Rahmen des “Belle II”-Experiments nach dem hypothetischen Z-Boson zu suchen, das mit dunkler Materie wechselwirken könnte. Auch hier wird das Punzi-Net anhand von simulierten Daten aus einem Modell trainiert und danach zur Suche nach Spuren in den echten Detektordaten genutzt. Dieser Ansatz macht die Methode sehr anpassbar. Sie kann prinzipiell für die Suche nach jedem Teilchen eingesetzt werden, für das ein Modell zum Training der Neuronalen Netze erstellt werden kann.

In Zukunft können Wissenschaftler/innen in Beschleunigerexperimenten wie dem LHC (Large Hadron Collider) am Forschungszentrum CERN mit Punzi-Nets viel effizienter nach neuen Teilchen suchen. “Ich erwarte, dass viele Kolleg/innen unsere Methode verwenden und vielleicht noch verfeinern. Das ist wirklich eine coole Sache und das Feedback aus der Hochenergiephysik ist äußerst positiv. Dass es mit Paul Feichtinger und Huw Haigh zwei exzellente Doktoratsstudenten waren, die die Methode maßgeblich entwickelt haben, freut mich besonders”, sagt Inguglia.


Publikation:

„Punzi-loss: a non-differentiable metric approximation for sensitivity optimisation in the search for new particles“, F. Abudinén, M. Bertemes, S. Bilokin et al., The European Physical Journal C, 2022
DOI: https://doi.org/10.1140/epjc/s10052-022-10070-0