05.07.2022

Gletscherbruch - Gefahr auch in Österreichs Alpen?

Der tragische Gletschersturz in den Dolomiten verdeutlicht, wie bedrohlich die Auswirkungen des Klimawandels für hochalpine Regionen sind. Was genau bei einem derartigen Gletscherbruch passiert und wie die Gefährdungslage in Österreich einzuschätzen ist, schildert die ÖAW-Gebirgsforscherin Andrea Fischer.

Bild eines Gletschers aus der Vogelperspektive
Der Klimawandel setzt den Gletschern zu - auch in den Alpen. © Unsplash.com

Die Lawine aus Eis und Stein, die kürzlich auf einem Gletscher in den italienischen Dolomiten losging, zog eine Schneise der Zerstörung nach sich. Mehrere Menschen fanden den Tod, weitere werden noch vermisst. Wie Expert/innen inzwischen wissen, löste sich bei der Tragödie eine Eisplatte vom Untergrund - aufgeheizt durch die Folgeerscheinungen des Klimawandels.

Wie der tragische Gletscherabbruch in den Dolomiten abgelaufen ist, ob solche Ereignisse aufgrund des Klimawandels häufiger werden und wie sich das auf das Verschwinden der Gletscher auswirkt, schildert Andrea Fischer, Forscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), im Interview.

Dünne Eissschicht am Gletscher

Was ist in den Dolomiten passiert?

Andrea Fischer: Die genauen Mechanismen müssen vor Ort geklärt werden, aber auf Bildern war eine Spaltenformation zu sehen, die auf einen Schmelzwasserausbruch hinweisen könnte. Die Ausgangssituation in den Dolomiten ist ähnlich wie in den österreichischen Alpen. Die Eisschicht an den Gipfeln wird seit Jahrzehnten ausgedünnt. Es gibt kaum mehr Firn und die Dauer der Schneedecke verkürzt sich, womit sich der felsige Untergrund zunehmend aufheizt. Dadurch wird die Haftreibung geringer und es können wassergefüllte Hohlräume entstehen. Dann lösen sich spontan größere Teile des Gletschers vom Untergrund. In steilem Gelände kann das murenartige Gemisch aus Eis, Wasser und Schutt dann mehrere Kilometer weit fließen.

Ein Sommer wie dieser kostet den Gletscher also zwei bis drei Lebensjahre."

Was bedeuten solche Extremereignisse für das Schicksal der Gletscher?

Fischer: Solche Ereignisse beschleunigen den Rückzug der Gletscher enorm. In 10 Jahren können so bis zu 140 Meter Eis abgebaut werden, das verdoppelt die Rate, die bei reiner Oberflächenschmelze zu erwarten ist. Man muss dabei bedenken, dass die größten Gletscher in Österreich nur etwa 300 Meter mächtig sind. Im Schnitt verlieren die Gletscher pro Jahr ein bis drei Meter an Dicke. Heuer wird die Schmelzmenge zwei- bis dreimal so groß werden. Ein Sommer wie dieser kostet den Gletscher also zwei bis drei Lebensjahre.

Kann man solche Gletscherabbrüche direkt auf den Klimawandel zurückführen?

Fischer: Der Zusammenhang ist für solche Ereignisse einfacher herzustellen als für die Gletscherschmelze allgemein. Wir sehen seit fast 20 Jahren, dass die Gletscher stark unter Druck sind und die Firnschichten permanent abnehmen, das lässt sich eindeutig mit den klimatischen Veränderungen in Verbindung setzen. Ob auch der Rückgang der Schneemenge in den vergangenen Wintern auf den Klimawandel zurückzuführen ist, wird derzeit untersucht. Die Modelle sagen aber, dass solche schneearmen Winter auch unter veränderten klimatischen Bedingungen als Extremereignisse zu werten sind.

Gefahrenzone Gletscher?

Müssen wir auch in den österreichischen Alpen mit solchen Gletscherbrüchen rechnen?

Fischer: Wir haben im vergangenen Herbst erstmals eine starke Unterhöhlung der Gletscher festgestellt. Das ist eine völlig neue Situation. Wir haben derzeit noch gar nicht die wissenschaftlichen Werkzeuge, um die Gefahr konkret für einzelne Stellen und Zeitpunkte zu beurteilen. An der Oberfläche sind solche Veränderungen nicht zu erkennen. Am Ende des Sommers werden wir schon mehr wissen und auch erste Ansätze entwickelt haben, um die Situation besser zu beurteilen. Durch das schnelle Abschmelzen der Gletscher kann es sein, dass die Gefahr von Gletscherabbrüchen schon bald überhaupt nicht mehr besteht.

Die BergsteigerInnen entscheiden hier, welche Risiken sie eingehen möchten."

Sollen wir die Gletscher zu Gefahrenzonen erklären und absperren?

Fischer: Das ist nicht notwendig. Es handelt sich hier um freies Gelände im Hochgebirge, die Bergsteiger/innen entscheiden hier, welche Risiken sie eingehen möchten. Wichtig ist, dass sie korrekte Informationen haben, um die Situation zu beurteilen.

Kann so ein Gletscherbruch auch unten im Tal Konsequenzen haben?

Fischer: Prinzipiell kann ein solches Murenereignis das Tal oder die Infrastruktur der Energieerzeuger in den Bergen erreichen, aber die Abflusszonen von Gletschern sind immer dynamisch und entsprechend gut mit Schutzbauten gesichert.

 

 

Auf einen Blick

Andrea Fischer ist Geophysikerin und Glaziologin sowie Vizedirektorin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie forscht unter anderem zum Gletscher Jamtalferner.