20.01.2017

Wachsen oder Kämpfen? Bei Pflanzen entscheidet ein Molekül-Kapitän

Wiener Forscher veröffentlichen gleich zwei Publikationen in „Science“

„Pflanzen müssen oft zwischen Wachstum und Selbstverteidigung entscheiden: Beides sind Aktivitäten, die viel Energie verbrauchen und sich daher gegenseitig ausschließen“, erklärt Youssef Belkhadir vom Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Belkhadir und sein Team haben zu diesem Thema gleich zwei Publikationen in der aktuellen Ausgabe von Science, die diesen Freitag erscheint. Zusammen mit einem internationalen Team identifizierten die Wiener Forscher molekulare Details von zwei wichtigen Signalwegen und fanden ein neues Muster wie Rezeptoren Signale empfangen können.

Damit Lebewesen auf Veränderungen reagieren können müssen sie die Fähigkeit haben ihre Umwelt mit Sensoren wahrzunehmen. Diese Sensoren sind sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren eine Familie von Proteinen, die sogenannten Rezeptor-Kinasen. Rezeptor-Kinasen erkennen chemische Signale, die von außerhalb der Zelle kommen und leiten diese ins Innere der Zelle weiter. Diese Signale können zum Beispiel Wachstumshormone oder Teile von Krankheitserregern (Pathogene) sein.

Ein Unkraut hat zehnmal mehr Sensoren als Menschen

Die Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) – eine kleine, unscheinbare und oft als Unkraut bezeichnetet Pflanze - enthält mehr als 600 dieser Rezeptor-Kinasen und damit zehnmal so viele wie der Mensch. Die Rezeptor-Kinasen steuern das Pflanzenwachstum und liefern Informationen an das Immunsystem weiter. Trotz ihrer Bedeutung weiß man nur von sehr wenigen dieser Rezeptor-Kinasen. Noch weniger weiß man von den chemischen Signalen, auf die diese Proteine reagieren.

Die erste Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit dem Labor von Prof. Niko Geldner von der Universität Lausanne durchgeführt. Geldners Labor hatte schon zuvor zwei Rezeptor-Kinasen identifiziert und diese Schengen 1 und 3 genannt (SGN1 & 3). Diese sind in Pflanzen für die Bildung des sogenannten Casparischen Streifens verantwortlich. Dieser Streifen verbindet Zellen in den Wurzeln. Wasser und Nährstoffe, die von den Wurzeln gesammelt worden sind, werden von diesem Streifen daran gehindert, wieder in die Umwelt zurückzusickern: Man kann sich diesen Streifen wie eine Art Mörtel zwischen Ziegeln (den Zellen) in einem Rundturm (der Wurzel) vorstellen. Um zu verstehen, wie diese Rezeptor-Kinasen funktionieren, identifizierten die Forscher ein chemisches Signal, das von Schengen 3 erkannt wird. So entdeckten sie schließlich ein Protein namens CIF2 (Casparian Strip Integrity Factor 2). Dr.in Elwira Smakowska konnte mit einer Vielzahl an raffinierten Experimenten zeigen, dass CIF2 an SGN3 bindet. Überraschenderweise fanden die Forscher heraus, dass CIF2 ganz alleine an SNG3 binden kann. Alle anderen bekannten Rezeptoren brauchen einen zweiten sog. Co-Rezeptor für eine enge Bindung und Signal-Verstärkung. Die SGN3/CIF2-Interaktion könnte daher eine bisher unbekannte Form der Rezeptor-Signalisierung darstellen.

Trotz dieser Eigenschaft, sich gegenseitig eng zu binden, brauchen SGN3 und CIF2 den zweiten Kinase-Rezeptor SGN1 damit eine Wurzelzelle einen voll funktionsfähigen Casparischen Streifen bilden kann. Die speziellen Stellen innerhalb der Wurzel, an denen sich diese unterschiedlichen Proteine befinden, liefern ein ausgezeichnetes Modell, wie die Wurzel fühlen kann, ob sie intakt ist. CIF2 wird ausschließlich im Inneren der Wurzel gebildet, während Schengen 1 und 3 an speziellen Stellen innerhalb jener Zellen vorkommen,

den Casparischen Streifen bilden: Schengen 1 befindet sich an der Außenseite dieser Zellen, Schengen 3 zwischen den Zellen. Bei einem nicht intakten Streifen kann CIF2 zwischen den Zellen, die den Streifen bilden ausrinnen, dabei SGN3 binden, das wiederum mit SGN1 interagiert und so die Zelle anstößt, den Streifen zu bilden bzw. zu reparieren. Hat sich der Streifen wieder gebildet, rinnt CIF2 nicht mehr zwischen den Zellen aus, beendet die Interaktion zwischen Schengen 3 und 1 und signalisiert damit der Wurzel, dass sie intakt ist.

Pilze versuchen Pflanzen auszutricksen

Die zweite Publikation entstand in Zusammenarbeit mit dem Labor von Prof. Cyril Zipfel vom Sainsbury Laboratory in Norwich, Großbritannien. Hier haben die Autoren weitere Details des Immun-Signalwegs einer Pflanze ausgearbeitet. Die gut erforschte Rezeptor-Kinase FLS2 bindet chemische Signale, die von Krankheitserregern produziert werden, und interagiert mit dem Co-Rezeptor BAK1 um Infektionen von Bakterien zu bekämpfen.

Die Forscher entdeckten, dass eine weitere Rezeptor-Kinase namens Feronia (FER), die Interaktion zwischen FLS2 und BAK1 und dadurch die Immunität gegen Bakterien regelt. FER war schon zuvor als zentraler Regulator verschiedener Entwicklungsprozesse bekannt. Darauf aufbauend zeigten die Forscher, dass FER verschiedene kleine Proteine bindet, die von der Pflanze produziert werden (so genannte RALFs). Abhängig davon, welches dieser Proteine FER bindet, kann FER entweder die FLS2/BAK1-Interaktion zur Verteidigung gegen Bakterien verstärken oder hemmen. Interessanterweise produzieren Pilz-Pathogene Proteine, ähnlich den RALFs. Diese Proteine kann der Krankheitserreger nützen um die Pflanze auszutricksen: Die Pflanze glaubt, dass sie ihre Verteidigungsmechanismen nicht aktivieren soll.

Dr. Belkhadir: „Diese zwei Studien haben zwei neue Wirkungsweisen entdeckt und beschreiben, wie Rezeptor-Kinasen in verschiedenen Prozessen funktionieren. Sie zeigen auch wie wichtig es ist die chemischen Signale zu identifizieren, die von Rezeptor-Kinasen erkannt werden. Wir haben entdeckt, dass SGN3 seine Signale ohne Co-Rezeptor extrem gut binden kann und dadurch konnte Prof. Geldners Gruppe ein Modell entwickeln, wie eine Wurzel feststellt, ob sie intakt oder beschädigt ist.

Erstaunlicherweise haben wir gefunden, dass ein ansonsten gut erforschtes Rezeptor-/Co-Rezeptor-Paar durch eine andere Rezeptor-Kinase manipuliert werden kann. Die Entdeckung, dass Feronia an beiden Prozessen beteiligt ist zeigt, dass es eine Art molekularer Kapitän ist, der die zelluläre Entscheidung zwischen Wachstum und Selbstverteidigung trifft.

Ebenfalls zu diesen Publikationen beigetragen haben Mathias Madalinski, Head der Core Protein Chemistry Facility am Institut für Molekulare Pathologie (IMP), und Anita Lehner, VBCF Protein Technology Facility.


Über das GMI

Das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Jahr 2000 gegründet, um Spitzenforschung in der molekularen Pflanzenbiologie zu fördern. Das GMI gehört zu den weltweit wichtigsten Pflanzenforschungseinrichtungen. Mit mehr als 100 MitarbeiterInnen aus 25 Ländern erforscht das GMI primär die Grundlagen der Pflanzenbiologie, vor allem molekulargenetische Aspekte wie epigenetische Mechanismen, Populationsgenetik, Chromosomenbiologie, Stressresistenz und Entwicklungsbiologie. Das GMI befindet sich in einem modernen Laborgebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf dem Campus des Vienna Biocenter, auf dem mehrere Forschungsinstitute sowie Biotechnologie-Firmen angesiedelt sind. Page 3 of 3

 

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