30.01.2020

Evolution: Wie Pflanzen hyperaktive springende Gene beruhigen

Zwischen der Regulierung von Transposonen – den so genannten springenden Genen – und Genen, die die Entwicklung in Pflanzen und Tieren steuern, gibt es eine unerwartete Verbindung. Das hat die Analyse des Genoms des Lebermooses Marchantia polymorpha ergeben. Die neue Arbeit eines internationalen Teams unter der Führung von Frédéric Berger und seinem PhD-Studenten Sean Montgomery am Wiener Gregor Mendel Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (GMI) und von Chang Liu vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) wurde am Donnerstag in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.

Die Forscher untersuchten die Genom-Organisation des Lebermooses (Marchantia polymorpha) um die Evolution der Genom-Regulierung in Eukaryoten zu verstehen. Das Lebermoos ist ein Vertreter von Landpflanzen, die vor über 400 Millionen Jahren entstanden sind – damals wurde die Tierwelt noch von Fischen dominiert. Die bescheidene Pflanze bietet den Forschern Einblicke, wie sich die Genom-Regulierung seitdem entwickelt hat.

Das Team hat dabei die besonders leistungsfähige neue Long-Read-Sequenzierungs-Technologie eingesetzt, um DNA-Sequenzen des Lebermooses auf Chromosom-Ebene zu erzeugen. Sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren ist die Chromosom-DNA rund um Nukleosome gewickelt. Diese wiederum bestehen aus Proteinen, die Histone genannt werden. Nukleosome helfen dabei, die DNA in funktionale Einheiten zu organisieren. Sie sind entscheidend für die Regulierung der Gen-Expression – also dafür, ob ein Gen ein- oder ausgeschaltet wird. Eine Möglichkeit dafür ist es, Histone mit chemischen Modifikationen zu „dekorieren“. Indem die Forscher die neu generierte DNA-Sequenz des Genoms des Lebermooses verwendeten konnten sie bestimmen, wie diese Modifikationen mit der Gen-Expression zusammenhängen.

Die meisten der acht getesteten Modifikationen zeigten die Verbindung zur Gen-Expression, wie sie schon zuvor in Blütenpflanzen und Wirbeltieren vorgefunden wurde. Das ist ein Hinweis, dass diese Chromatin-Modifikationen über hunderte Millionen Jahre die gleiche Funktion hatten. Bei einer speziellen Klasse von Genen, den Transposonen, war dies hingegen nicht der Fall. Transposone, auch als springende Gene bekannt, sind DNA-Sequenzen, die sich selbst kopieren und sich dann im Genom bewegen. Da sie durch das Genom wandern, treiben sie die Evolution voran. Weil sie sich vor ihrer Wanderung selbst kopieren, können sie sich exponentiell ausdehnen. Sie machen mehr als 40 Prozent der menschlichen DNA aus. Die Mais-DNA besteht sogar zu 90 Prozent aus Transposonen. Langfristig betrachtet ist das für die Evolution positiv.

Die schädliche Hyperaktivität

Hyperaktivität kann aber auch schädlich sein. Pflanzen und Tiere haben daher komplexe Mechanismen entwickelt um Transposone zu erkennen und sie an der Bewegung zu hindern. Normalerweise sind daran die DNA-Methylierung und die Histon-Modifikation H3K9me beteiligt. Beim Lebermoos hingegen war es die Modifikation H3K27me3, wie die Forscher herausfanden.

„Nach dem Lehrbuch steht die H3K27me3-Modifikation in Verbindung mit den Entwicklungs-Genen in mehrzelligen Eukaryoten. Beispielsweise bestimmen diese Gene bei der Fruchtfliege, ob sie ein Bein, einen Flügel oder einen Fühler entwickelt“, sagt Frédéric Berger. „Allerdings wurde diese Modifikation auch in einzelligen Eukaryoten gefunden. Niemand wusste aber, was diese Modifikation vor der Regulierung der mehrzelligen Entwicklung macht. Unsere Daten geben einen starken Hinweis darauf, dass die H3K27me3-Modifikation daran beteiligt ist, Transposone zu inaktivieren.“

Berger weiter: „Im Lauf der Evolution sind die Transposone herumgesprungen und haben damit begonnen die Expression der benachbarten Gene zu regulieren. Wir vermuten, dass dann die H3K27me3-Modifikation stufenweise die Rolle übernommen hat, die Entwicklung zu regulieren. Die Aufgabe, die Transposone zu inaktivieren, wurde hingegen von einem straffer geregelten System aus DNA-Methylierung und H3K9me3 übernommen. Diese Studie zeigt klar, wie viel wir dabei lernen können, wenn wir Histon-Modifikationen in unterschiedlichen Pflanzenarten untersuchen. Wir werden unsere Hypothesen testen können, während wir Landkarten der Histon-Modifikationen der frühen Landpflanzen entwickeln.“

Die Arbeit wurde unterstützt durch FWF Der Wissenschaftsfonds (I2163-B16, I2303-B25, P26887, DK 1238), den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) im Rahmen des EU-Programms für Forschung und Innovation Horizon 2020 (Grant agreement No. 757600), die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG (INST 37/935-1 FUGG), die National Institutes of Health NIH (R01 GM065383, R01 GM127402), die Russian Science Foundation (18-74-00112), die Russian Foundation for Basic Research (18-016-00146), die Japan Society for the Promotion of Science JSPS KAKENHI (16H06279, 15K21758, 17H05841, 25113001, 25113009), das Projekt Forschung der Faculty of Biology-Oriented Science and Technology, Kindai University (16-I-3,2017) und den Australian Research Council (DP170100049).

Montgomery SA, et al. (2020) Chromatin organization in early land plants reveals an ancestral association between H3K27me3, transposons, and constitutive heterochromatin. Curr Biol 30(4):573-88.
https://doi.org/10.1016/j.cub.2019.12.015


Über das Gregor Mendel Institut

Das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Jahr 2000 gegründet, um Spitzenforschung in der molekularen Pflanzenbiologie zu fördern. Das GMI gehört zu den weltweit wichtigsten Pflanzenforschungseinrichtungen. Mit mehr als 130 MitarbeiterInnen aus 35 Ländern erforscht das GMI primär die Grundlagen der Pflanzenbiologie, vor allem molekulargenetische Aspekte wie epigenetische Mechanismen, Populationsgenetik, Chromosomenbiologie, Stressresistenz und Entwicklungsbiologie. Das GMI befindet sich in einem modernen Laborgebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf dem Campus des Vienna BioCenter, auf dem mehrere Forschungsinstitute sowie Biotechnologie-Firmen angesiedelt sind.


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