„Die Fackel des Wissens leuchten zu machen und nicht verlöschen zu lassen“, das sei gerade in stürmischen Zeiten die Pflicht der Akademie der Wissenschaften. Dieses ambitionierte Ziel formulierte der Historiker Oswald Redlich am Ende des Ersten Weltkrieges. Als Akademiepräsident von 1919 bis 1938 war seine Zeit an der Spitze der Akademie vom Zerfall der Habsburgermonarchie bis zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich von anhaltender „Not der Wissenschaft“ geprägt.
Die nationalsozialistische Machtübernahme hinterließ auch in der Akademie tiefe Spuren: Nach Redlichs Rücktritt 1938 wurde mit Heinrich Srbik ein Nationalsozialist als Präsident der Akademie gewählt und eingesetzt. Sämtliche Leitungsfunktionen wurden ebenfalls an nationalsozialistische Forscher übertragen. Jüdische Akademiemitglieder wurden aufgefordert, selbst ihren „freiwilligen“ Austritt zu erklären, der offizielle Ausschluss erfolgte später.
Profunde Einblicke in Akademiestruktur
Anlässlich des 175-jährigen Bestehens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) widmen sich der Wirtschaftshistoriker Herbert Matis und der Osteuropa-Historiker Arnold Suppan einer umfassenden Darstellung der Geschichte der Akademie zwischen 1918 und 2022. „Sapere aude – Die Österreichische Akademie der Wissenschaften seit 1918“ heißt ihre neue Publikation und bietet einen profunden Einblick in die personelle und institutionelle Struktur sowie in die wissenschaftliche Ausrichtung der Akademie bis in die unmittelbare Gegenwart.
„Unser Ziel war es, eine quellenbasierte und chronologisch aufgebaute Geschichte der Akademie von 1918 bis heute zu erstellen“, so die Autoren. Dabei sei es ihnen besonders wichtig gewesen, die „Entwicklung in den politischen, ideologischen und finanziellen Wechselfällen über die letzten mehr als hundert Jahre“ zu beleuchten.
Das beginnt mit den Finanznöten in den 1920er-Jahren, betrifft die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ in den späten 1930er-Jahren, markiert den Wandel von der klassischen Gelehrtengesellschaft hin zum modernen Forschungsträger, behandelt die späte Aufarbeitung der NS-Verstrickungen, erläutert die Gründung von Instituten seit den 1960er-Jahren und reicht bis zu neuen Forschungsimpulsen sowie Innovationsstrategien als aktuelle Bestandsaufnahme.
Berichte, Fakten, Analysen – ein Kompendium
Der zeitgeschichtliche Band stellt auch eine Leistungsschau dar. Darüber hinaus legen die Autoren den Fokus konsequent auf zeitliche Zäsuren, berichten über strukturelle Veränderungen und liefern Fakten und Analysen über Kontinuitäten und Brüche. In bemerkenswerter Detailgenauigkeit zeichnen sie darin auch die Schaffung von Instituten sowie die wissenschaftlichen Durchbrüche einzelner Forscherinnen und Forscher nach.
„Sapere aude“ – der Titel spielt auf den Leitspruch der Aufklärung an – eröffnet spannende Einblicke in über hundert Jahre Geschichte der Akademie – und beleuchtet zugleich ein bewegendes und bewegtes Kapitel der österreichischen Wissenschafts- und Zeitgeschichte.