GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Erwin Schrödinger, kMA 1928, kMI 1936, kMA 1945, wM 1956


geb. am 12. August 1887 in Wien, gest. am 4. Jänner 1961 in Wien

Erwin Schrödinger wurde 1928 zum korrespondierenden Mitglied im Inland (kMI) der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt. Nach dem „Anschluss“ emigrierte er nach Irland. Der Physiker wurde im Jahr 1940 von der Akademie ausgeschlossen. 1945 wurde seine Akademiemitgliedschaft reaktiviert.

Schrödinger wurde als Sohn des Kaufmannes und Botanikers Rudolf Schrödinger (1857–1919) und seiner Frau Emilia Brenda (1867–1921), geb. Bauer, in Wien geboren. 1906 nahm Schrödinger die Studien der Mathematik und Physik an der Universität Wien auf. Er promovierte im Jahr 1910 mit seiner Dissertation „Über die Leitung der Elektrizität auf der Oberfläche von Isolatoren an feuchter Luft“ und wurde 1911 Assistent bei Franz Serafin Exner (1849–1926) am II. Physikalischen Institut. Schrödinger habilitierte sich im Jahr 1914 mit seiner Habilitationsschrift „Studien über Kinetik der Dielektrika, den Schmelzpunkt, Pyro- und Piezoelektrizität“. Während des Ersten Weltkrieges leistete er Kriegsdienst als Artillerieoffizier an der Südwestfront. Im Sommersemester 1920 lehrte er an der Universität Jena, im Wintersemester wirkte er als Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart und im Sommersemester 1921 als o. Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau.

Im selben Jahr ging er als o. Professor der theoretischen Physik an die Universität Zürich. Hier hatte er den Lehrstuhl inne, den vor ihm Albert Einstein (1879–1955) und Max von Laue (1879–1960) besetzt hatten. In Zürich formulierte er die nach ihm benannte Schrödingergleichung. 1927 wurde Schrödinger als Nachfolger von Max Planck (1858–1947) an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin berufen. Am Ende seiner Berliner Jahre, 1933, wurde er mit dem Nobelpreis für Physik „für die Entdeckung neuer fruchtbarer Formen der Atomtheorie“ ausgezeichnet. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verließ Schrödinger aus politischer Überzeugung Deutschland und nahm im Jahr 1933 ein Lectureship am Magdalen College der Universität Oxford an. Sein Gehalt bezog er über ein Imperial Chemical Industrie’s (ICI) Emigré Support Programme-Stipendium. Lehrstuhlangebote der Universitäten Edinburgh und Princeton lehnte der Wissenschaftler zugunsten einer Berufung an die Karl Franzens-Universität Graz ab, wo er bis 1938 forschte und lehrte. An der Universität Wien war Schrödinger zudem als Honorarprofessor tätig.

Nach dem „Anschluss“ verleitete ihn wohl sein Wunsch, seine Professur an der Universität Graz zu behalten, zu einem Kniefall vor den neuen Machthabern: Schrödinger veröffentlichte am 30. März 1938 in einer Grazer Tagespost einen offenen Brief mit dem Titel „Die Hand jedem Willigen. Bekenntnis zum Führer – Ein hervorragender Wissenschaftler meldet sich zum Dienst für Volk und Heimat“. Durch Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 22. April 1938 wurde er an der Universität Wien seiner Position enthoben. An der Universität Graz wurde er am 26. August 1938 entlassen.

Im September 1938 verließ Erwin Schrödinger Graz und emigrierte über Italien und die Schweiz nach Belgien, wo er auf Einladung der Franqui Fondation eine Gastprofessur an der Universität Gent erhielt. 1940 ging der Physiker als Senior Professor und Leiter der Abteilung für theoretische Physik an das neu gegründete Institute for Advanced Studies nach Dublin. Er emeritierte im Jahr 1955. Schrödinger, der im Wintersemester 1950 an der Universität Innsbruck gelehrt hatte, kehrte im Jahr 1956 nach Österreich zurück und übernahm eine Honorarprofessur am Institut für theoretische Physik der Universität Wien. Er verstarb im Jahr 1961.

Die Akademie der Wissenschaften wählte den Physiker im Jahr 1928 als korrespondierendes Mitglied im Ausland, 1936 zum korrespondierenden Mitglied im Inland (kMI) umgewandelt. Im Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) vom 3. Oktober 1940 wurde der Akademie der Wissenschaften in Wien mitgeteilt, dass Erwin Schrödinger und weitere sechs namentlich genannte Mitglieder – Walther Brecht, Franz Boas, Karl Bühler, Viktor Franz Hess, Alfred Hettner, Hermann Mark – auszuscheiden seien. Nachdem die Akademie der Wissenschaften in Wien in ihrer ersten Sitzung nach Kriegsende am 18. Mai 1945 die „Rückberufung der wirklichen und korrespondierenden Mitglieder, die im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen des Jahres 1938 ausgetreten sind“, beschlossen hatte, kehrte Schrödinger wieder als korrespondierendes Mitglied im Ausland (kMA) in die Akademie zurück. 1956 wurde er zum wirklichen Mitglied (wM) gewählt.

Der Nobelpreisträger war Mitglied zahlreicher Akademien und wissenschaftlicher Gesellschaften, unter anderem der Royal Society, der Royal Dublin Academy, der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (seit 1929), der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (seit 1949), der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Ehrenmitglied), der Academia dei Lincei und der Accademia Nazionale delle Scienze Accademia Nazionale delle Scienze und der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften in Rom, der Akademie der Wissenschaften in Madrid, Academy of Arts and Sciences in Boston und der Mathematical Society of India. Schrödinger erhielt Ehrendoktorate der University of Dublin, der National University of Ireland, Universität Gent und Universität Edinburgh. Er war Träger zahlreicher weiterer wissenschaftlicher Auszeichnungen, unter anderem des Haitinger-Preises der Akademie der Wissenschaften in Wien (1920) und der Max-Planck-Medaille (1937). 1957 wurde er in den Orden Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste aufgenommen. Schrödinger wurde mit dem Preis der Stadt Wien (1956) und dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet (1957). Der von der Republik gestiftete Erwin Schrödinger-Preis wird seit 1956 von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vergeben, Erwin Schrödinger wurde er als erstem zuerkannt.


Schriften (Auswahl)


  • Erwin Schrödinger, Über die Leitung der Elektrizität auf der Oberfläche von Isolatoren an feuchter Luft, Dissertation, Universität Wien 1910.
  • Ders., Studien über Kinetik der Dielektrika, den Schmelzpunkt, Pyro- und Piezoelektrizität, Habilitationsschrift, Universität Wien 1914.
  • Ders., Abhandlungen zur Wellenmechanik, Leipzig 1927.
  • Ders., Four lectures on wave mechanics, delivered at the Royal Institution, London on 5th, 7th, 12th, and 14th March, 1928, London 1929.
  • Ders., Science and the Human Temperament, London 1935.
  • Ders., Eigenschwingungen des sphärischen Raumes, in: Commentationes / Pontificia Academia Scientiarum 2, 9 (1938), 322–364.
  • Ders., Oesterreichische Wissenschaft, in: Oesterreichische Wissenschaft. Essays, Biographien, Betrachtungen. Mit einer Vorrede von Prof. Dr. Erwin Schroedinger. Dublin Institute for Advanced Studies. Nobelpreisträger, hg. von H. Ullrich, London 1945, 1–3.
  • Ders., What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell. Based on Lectures Delivered Under the Auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge [1944] 1946.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Personalakt.
    • Archiv der ÖAW, Protokoll der Gesamtsitzung am 25. Oktober 1940 (A957).
    • Archiv der ÖAW, Protokoll der Gesamtsitzung am 18. Mai 1945 (A994).
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 339/4).
    • Mitchell G. Ash, Die Universität Wien in den politischen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Mitchell Ash – Josef Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 2), Göttingen 2015, 29–172, hier: 152.
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 1053.
    • Gabriele Kerber, Nándor Balász, Erwin Schrödinger 1887–1961. Documents, material and pictures – commemorating the 100th anniversary of Erwin Schrödinger, Wien 2015.
    • Ludwig Flamm, w.M. Erwin Schrödinger, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Almanach f. d. J. 1961, 111. Jg., Wien 1962, 402–411.
    • Herbert Matis, Ausschluss von Mitgliedern, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 55–62.
    • Walter John Moore, Erwin Schrödinger. Eine Biographie, Darmstadt 2012.
    • Albert Müller, Dynamische Adaptierung und „Selbstbehauptung“. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in: Dieter Langewiesche (Hg.), Universitäten im nationalsozialistisch beherrschten Europa, Göttingen 1997 (= Geschichte und Gesellschaft 23, 4), 592–617, hier: 606.
    • Wolfgang L. Reiter, Das Jahr 1938 und seine Folgen für die Naturwissenschaften an Österreichs Universitäten, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (= Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung 2), Münster 22004, 664–680, hier: 667.
    • Wolfgang L. Reiter, Von Erdberg in die Boltzmanngasse – 100 Jahre Physik an der Universität Wien, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 191–209, hier: 194–196, 201, 203,
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 55, 57, 117, 216, 248, 267, 271.
    • Walter Thirring, Die Emigration Erwin Schrödingers, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung 2), Münster 22004, 730–732.


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