geb. am 7. Juli 1874 in Wien-Lainz, gest. am 20. Mai 1944 im Ghetto Theresienstadt (Terezín, Tschechische Republik)
Hans (Leo) Przibram war Mitbegründer und Abteilungsleiter der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) der Akademie der Wissenschaften in Wien. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte seine Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Przibram wurde 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und kam dort 1944 zu Tode.
Przibram wurde als Sohn des Großindustriellen Gustav Przibram (1844–1904) und seiner Frau Charlotte, geb. Freifrau Schey von Koromla, in Lainz geboren. Er war Neffe des Chemikers Adolf von Lieben (1836–1914) und Bruder des Physikers Karl Przibram. Przibram studierte ab 1894 Zoologie an der Universität Wien, wo er auch medizinische Vorlesungen besuchte, und verbrachte mehrere Semester in Leipzig und Straßburg. Er promovierte mit seiner Dissertation über „Die Regeneration bei den Crustaceen“ 1899 an der Universität Wien und habilitierte sich im Jahr 1903. 1913 wurde Przibram der Titel eines ao. Professors für experimentelle Zoologie am II. Zoologischen Institut der Universität Wien verliehen.
1902 erwarb er gemeinsam mit den Botanikern Leopold von Portheim und Wilhelm Figdor (1866–1938) das anlässlich der Weltausstellung 1873 errichtete Vivariumsgebäude im Wiener Prater. Dort errichteten sie die Biologische Versuchsanstalt (BVA), die am 1. Jänner 1903 eröffnet wurde und eine der weltweit ersten Forschungseinrichtungen für experimentelle Biologie darstellte. 1914 übergaben die drei Eigentümer die mittlerweile international renommierte BVA als Schenkung an die Akademie der Wissenschaften in Wien samt großzügiger Kapitalausstattung für den laufenden Betrieb. Przibram leitete die Zoologische Abteilung sowie gemeinsam mit Leopold Portheim die gesamte BVA.
In der nach dem „Anschluss“ erstellten „Liste der Arbeitenden“ der BVA, die auch die Abteilungsvorstände erfasst, ist Hans Przibram als „Nicht-Arier“ gekennzeichnet. Am 13. April 1938 wurde die BVA vorübergehend geschlossen. Ab der Wiedereröffnung am 26. April war der Zutritt nur noch für die „inzwischen auf Ansuchen mit Zulassungsscheinen beteilten Arbeitenden“ möglich, so die Mitteilung in einem Schreiben des designierten Akademiepräsidenten Heinrich Srbik (1878–1951) und des kommissarischen Rektors der Universität Wien Fritz Knoll (1883–1981), der mit der „Wahrnehmung der Interessen der Landesleitung der NSDAP für die Akademie der Wissenschaften“ betraut worden war. Damit wurde jüdischen Arbeitenden spätestens mit 13. April 1938 der Zutritt zur BVA praktisch verweigert. Hans Przibram durfte damit die von ihm mitbegründete, der Akademie übertragene und 35 Jahre lang geleitete BVA nicht mehr betreten und musste dort auch seine Privatbibliothek zurücklassen.
An der Universität Wien wurde Przibram mit 1. Mai 1938 entlassen. 1939 wandte er sich wegen einer Bestätigung über seine Schenkung der BVA an die Akademie im Jahr 1914 und seine ehrenamtliche Leitungstätigkeit an den Akademiepräsidenten Heinrich Srbik und Vizepräsidenten Egon Schweidler (1873–1948). Der Aktuar der Akademie Viktor Junk (1875–1948), wie Srbik NSDAP-Mitglied, informierte daraufhin in einem Schreiben vom August 1939 Schweidler, dass Franz Köck, NSDAP-Mitglied, zunächst als technischer Facharbeiter an der BVA angestellt und 1938 als Leiter eingesetzt, Przibram bei der Vermögensverkehrsstelle, die die Arisierung jüdischen Eigentums abwickelte, angezeigt habe: Die BVA erhebe noch finanzielle Ansprüche in der Höhe von 50.000 Reichsmark an Przibram. Przibrams Vermögen in der Höhe von 150.000 Reichsmark wurde beschlagnahmt. Junk merkte in dem erwähnten Schreiben an, dass Przibram mit der gewünschten Bestätigung sein Vermögen eventuell „freibekommen“ hätte. Mit dieser Ablehnung wurde die für eine Auswanderung notwendige Vermögensabwicklung durch die Vermögensverkehrsstelle zweifellos verzögert. Das Visum, das Przibram für Großbritannien besaß, verfiel, weil er sich zur Zeit des Kriegsbeginns am 1. September 1939 noch in Wien und nicht auf neutralem Boden aufhielt. Schließlich konnten Hans und seine Ehefrau Elisabeth Przibram, die kurze Zeit an der BVA gearbeitet hatte, im Dezember 1939 nach Amsterdam flüchten.
In Amsterdam arbeitete Przibram weiter, für kurze Zeit mit Hilfe eines Forschungsauftrages. Die Niederlande wurden im Mai 1940 von NS-Deutschland besetzt. Wie verzweifelt die Lage Przibrams gewesen sein musste, geht aus dem Umstand hervor, dass er sich im März 1941 an den Universitätsrektor und BVA-Kuratoriumsvorsitzenden Knoll wandte. Das erbetene Unterstützungsschreiben für eine Ausreiseerlaubnis und den Antrag auf ein US-Stipendium erhielt er nicht. Przibram wurde gemeinsam mit seiner Frau am 21. April 1943 vom zentralen Deportationsort in Amsterdam, der Hollandsche Schouwburg, in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Hier verstarb er am 20. Mai 1944 vermutlich an den Folgen von Unterernährung. Am nächsten Tag tötete sich Elisabeth Przibram durch die Einnahme von Gift.
Hans Przibram wurde 1917 ein Ehrendoktorat der Universität Halle und 1929 ein Ehrendoktorat der Universität Riga verliehen. Er war Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale (seit 1926), der Zoological Society in London und der Naturforscher-Gesellschaft in Moskau. Das Konrad Lorenz-Institut (KLI) mit Sitz in Klosterneuburg verlieh für kurze Zeit in den 2000er Jahren das „Hans Przibram Fellowship in EvoDevo Research“. Klaus Taschwer merkte an, dass vermutlich kein Wissenschaftler in Österreich mehr Privatvermögen für die Forschung bereitgestellt hatte als Przibram, der als einziger Biologieprofessor einer Universität in Deutschland und Österreich in einem Konzentrationslager verstarb.
Schriften (Auswahl)
Quellen und Literatur (Auswahl)
Datenbanken (Auswahl)