27.07.2022 | Weltraumforschung

James-Webb-Teleskop: "Bei den ersten Bildern gab es Freudentränen"

Das James-Webb-Weltraumteleskop (JWT) schickt seit kurzem unübertroffen scharfe und detailreiche Bilder von seinem 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Aufenthaltsort. Ludmila Carone vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaft erklärt im Interview, warum das neue Teleskop ein Meilenstein für die Wissenschaft ist und wie österreichische Weltraumforscher/innen die Daten nutzen.

Das Galaxie-Cluster SMACS 0723 © NASA, ESA, CSA, and STScI

Wie haben Sie als Expertin die Veröffentlichung der ersten Daten von James Webb erlebt?

Ludmila Carone: Die meisten Kolleg/innen haben die Veröffentlichung zuhause online mitverfolgt. Wir haben uns parallel zur Pressekonferenz im Netz mit anderen Fachleuten aus aller Welt ausgetauscht. Alle haben die Daten zum ersten Mal gesehen und natürlich sofort begonnen, in Echtzeit erste grobe Analysen durchzuführen. Das JWT hat alle Erwartungen übererfüllt, die Qualität der Aufnahmen ist unfassbar. Als wir die ersten Bilder gesehen haben, gab es bei vielen Leuten Freudentränen. Das war wirklich überwältigend. Das JWT ist bahnbrechend und wird uns die nächsten Jahrzehnte mit Entdeckungen auf Trab halten. 

Was unterscheidet die Bilder, die bei der Pressekonferenz gezeigt wurden, von den Daten, die Forscher/innen bekommen?

Carone: Die Bilder, die bei der Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert wurden, sind alle schon reduzierte Repräsentationen der Daten. Wir bekommen die ungefilterten Rohdaten. Das ist vor allem bei den Spektralanalysen relevant: Das Spektrum des Lichts, das die Atmosphäre des Exoplaneten Wasp 96b passiert hat, ist erstmal ein verschmierter Regenbogen auf einer Fotozelle. Ein Laie könnte damit nichts anfangen, da gibt es Spektrografieexperten, die diese Daten aufarbeiten und in einem schönen Diagramm präsentieren, wo man dann die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre sehen kann. 

Aufbereitung der Rohdaten

Was muss ausgefiltert werden?

Carone: Es gibt viele Störquellen, etwa optischen Artefakte, die durch die wabenform der JWT-Spiegel entstehen. Das muss herausgerechnet werden, um präsentable Bilder zu bekommen. Das Schöne ist, dass verschiedene Gruppen gleichzeitig unabhängig voneinander mit denselben Rohdaten arbeiten. Dadurch haben wir eine gut funktionierende Qualitätskontrolle. 

Was macht ihr in eurer Forschungsgruppe mit den Daten?

Carone: Wir nehmen das Spektrum vom Licht, das die Atmosphäre des Exoplaneten passiert hat, und kombinieren es mit unseren Modellen, die Physik, Chemie und Wolkenbildung simulieren. Dann schauen wir, welche Parameter wir ändern müssen, damit das Modell zu den Beobachtungen passt. Das kann die Menge an schweren Elementen - das sind in diesem Kontext alle außer Wasserstoff und Helium - sein, die Temperatur oder die Wolkenbedeckung. Das machen auch verschiedene andere Gruppen in einem internationalen und interdisziplinären Hin und Her. 

Wodurch unterscheidet sich das JWT von Vorgängern wie Hubble?

Im Gegensatz zu Hubble, das im sichtbaren und UV- Bereich des Spektrums agiert, sieht das JWT hauptsächlich Licht im Infrarotbereich. Das erweitert unsere Sicht auf das Universum enorm. Mit Hubble waren in der Atmosphäre von Wasp 96b zum Beispiel keine Anzeichen von Wolken zu sehen. Im Infrarotbereich hat das JWT jetzt aber doch Hinweise gefunden. Gemeinsam bekommen wir mit den beiden Teleskopen jetzt sehr viel Information über das Weltall.

Edelsteinwolken auf Exoplaneten

Wie kann man Wolken auf einem Exoplaneten nachweisen?

Carone: Wir schauen auf einen winzigen Punkt in der Ferne, das ist nur ein Pixel auf dem Bildsensor, weil die Exoplaneten aus dieser Entfernung natürlich nicht auflösbar sind. Aber das Sternenlicht, das durch die Atmosphäre des Planeten zu uns gelangt, gibt uns Aufschluss über die Zusammensetzung der Gase. Wasp 96b ist ein Gasriese, der sehr nah an seiner Sonne kreist. Trotzdem verdeckt der Planet nur etwa ein Prozent des Sterns, wenn er von uns aus betrachtet vor ihm vorbeiläuft. Und von diesem Bereich macht die Atmosphäre wiederum nur ein Prozent aus. Trotzdem können wir einen “Wasserbuckel” im Spektrum des Lichts deutlich erkennen. 

Gab es Überraschungen beim ersten Exoplaneten-Spektrum des JWT?

Carone: Das Wassersignal war nicht so stark wie allgemein angenommen worden war. Etwas schwächt das Signal also ab. Das können auf Basis der Daten nur Wolken sein! Und zwar aus Korund und Quarz, weil das die einzigen Materialien sind, die bei den Verhältnissen auf Wasp 96b noch kondensieren können. Dort gibt es also praktisch Wolken aus Edelsteinen. Ein Paper in der Fachzeitschrift Nature aus dem Jahr 2008 kam auf Basis von Hubble-Beobachtungen zum Schluss, dass es auf Wasp 96b keine Wolken gebe. Das muss jetzt revidiert werden.

Was können die Spektrometer von JWT besser als die Vorgänger?

Carone: Wasserdampf und Methan sind recht durchsichtig für ultraviolette und optische Wellenlängen. Infrarotwellen werden dagegen von Wasserdampf, Methan und CO2 geschluckt und das Gas erscheint dann undurchsichtiger. Mit Infrarot-Photonen können wir deshalb auch komplexere Moleküle nachweisen. Zudem wird auch Staub in der Atmosphäre sichtbar.  Das JWT wird uns viel über die Entstehung von Planeten und Galaxien beibringen und erlaubt uns, tiefer ins All und in die Vergangenheit zu sehen als jemals zuvor und die Zusammensetzung von sehr alten Sternen und Galaxien zu prüfen. 

Wird es auch Spektralanalysen der Atmosphären von erdähnlichen Planeten geben?

Carone: Wir werden wahrscheinlich keine Atmosphäre eines erdähnlichen Planeten untersuchen können, aber prinzipiell könnte JWT erkennen, ob ein felsiger Exoplanet eine Atmosphäre besitzt. Wir wissen inzwischen, dass es unzählige felsige Planeten gibt. Das ist ein riesiger Fortschritt, weil wir erst 1995 bestätigt haben, dass Exoplaneten überhaupt existieren. Seither haben wir auch viele exotische Arten von Planeten entdeckt, die in unserem Sonnensystem nicht vorkommen, etwa Mini-Neptune. So einen zu beobachten und eine Atmosphäre zu sehen, wäre natürlich auch fantastisch. 

Wo könnten wir nach felsigen Exoplaneten mit Atmosphäre suchen?

Carone: Das Trappist-1-System umkreist einen roten Zwerg, der regelmäßig starke Strahlungsausbrüche aufweist. Dadurch kann eine Atmosphäre auch schnell weggeblasen werden. Wenn es im Trappist-1-System aber einen venusähnlichen Planeten gäbe, müssten wir die Atmosphäre mit JWT sehen können. Das liegt an der Grenze des Machbaren. Die Trappist-1-Daten werden innerhalb des nächsten Jahres eintrudeln. Falls wir eine Atmosphäre sehen, haben wir erstmals bestätigt, dass es außerhalb unseres Sonnensystems felsige Planeten mit Gashülle gibt.

Blick in die Vergangenheit

Wie weit können wir mit dem JWT in die Vergangenheit sehen?

Carone: Wir sehen bis etwa 300 Millionen Jahre nach dem Urknall zurück. Damals sind die ersten Galaxien entstanden,, in denen die erste Generation von Sternen entstanden ist. Diese Riesen hatten nur Wasserstoff, Helium und ein kleines bisschen Lithium als Baumaterial zur Verfügung, weil alle anderen Elemente erst in Sternen erbrütet wurden. Die Entstehung von Eisen brauchte zum Beispiel zwei Sterngenerationen.

Als Laie fand ich die Deep-Field Aufnahme sehr beeindruckend. Ist das auch für Experten interessant?

Carone: Die DeepField-Aufnahme ist natürlich etwas ganz Besonderes, auch aus wissenschaftlicher Sicht. Erst vor einigen Tagen wurden auf dieser Basis zwei neue Galaxien publiziert, mit Rotverschiebungen von 12 und mehr. Das ist ein sehr tiefer Blick ins Universum, die beiden Galaxien sind Kandidaten für die ältesten bekannten Objekte im Universum. So weit konnten wir noch nie in die Vergangenheit sehen, das ist alles Neuland. 

 

Auf einen Blick

Ludmila Carone ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.