13.08.2019 | Wie Jugendliche glauben

Wie Religion, Politik und Pop zusammenhängen

Unsere Gesellschaft wird immer säkularer, gleichzeitig religiös immer pluralistischer. Wie sich das am Beispiel von städtischen Jugendlichen und dem Ausleben ihres Glaubens manifestiert, ist Thema eines neuen Sammelbands. Er wurde mitherausgegeben von ÖAW-Migrationsforscherin Astrid Mattes.

Holi, das indische Frühlingsfest, stammt ursprünglich aus der hinduistischen Überlieferung. Seit einigen Jahren erfreut es sich aber auch in Europa großer Beliebtheit. © Shutterstock

Insbesondere für Jugendliche, die einer religiösen Minderheit angehören, werden Religion und Glaube oft zu identitätsstiftenden Faktoren, mitunter deutlich wichtiger als noch für ihre Eltern. Und: Social Media haben unsere Gesellschaft stark verändert – dies äußert sich auch in der Art und Weise, wie junge Menschen ihren Glauben ausleben, da sich neue Räume der Verhandlung von Zugehörigkeiten öffnen.

Doch wie leben junge Städter heute ihren Glauben? Ein neuer Sammelband, herausgegeben von Astrid Mattes vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dem ÖAW-Stipendiaten Christoph Novak und Katharina Limacher (beide Universität Wien), widmet sich dem Schnittfeld „Prayer, Pop and Politics“.

Frau Mattes, wie ist die Idee entstanden, Religion, Politik und Popkultur zusammen zu erforschen?

Astrid Mattes: Am Anfang stand die Frage: Wie kann reflektierte Forschung zu Jugend und Religion in einer von Migration geprägten Gesellschaft aussehen? Wir waren unzufrieden damit, wie viele Studien an das Thema herangehen und wollten Jugendliche nicht als unbekannte und fremde Forschungsobjekte „beforschen“, sondern sie in ihrem Umfeld und auf Augenhöhe erforschen. Interessant ist ja, dass unsere Gesellschaft immer säkularer, gleichzeitig religiös immer pluralistischer wird. Religion wird mehr und mehr politisch aufgeladen und hat nach wie vor großen Einfluss auf das Alltagsleben. Neu ist, dass bei Fragen wie zum Beispiel „Wie geht ein gutes Leben?“ und „Wer sind meine religiösen Vorbilder?“ die Peergroup vermehrt zur Autorität wird. Mit reflektierteren Forschungszugängen können wir auch solche komplexen Veränderungen besser wahrnehmen.

Es gibt heute keine religiöse „Normalität“ mehr, wie es sie noch vor zwei, drei Generationen auch im „katholischen“ Österreich gegeben hat.

Wie äußern sich diese Veränderungen?

Mattes: Es gibt heute keine religiöse „Normalität“ mehr, wie es sie noch vor zwei, drei Generationen auch im „katholischen“ Österreich gegeben hat. Das Leben war stärker von der Kirche strukturiert, fast ausnahmslos jeder wurde getauft und gefirmt und man hat sich aus diesem selbstverständlichen Zugang zu Religion heraus erst allmählich entschieden, ob und welchen Stellenwert die Religion im eigenen Leben spielen soll. Heute stehen junge Menschen früher vor der Wahl, ob und wie sie Religion in ihr Leben einbinden wollen und insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund werden dahingehend gefragt. Gerade wenn man zu einer religiösen Minderheit gehört, muss man sich häufig religiös positionieren – teile ich diesen Glauben oder nicht – was im Herkunftsland der Eltern vielleicht nicht der Fall war. Gleichzeitig macht das auch etwas mit der Religiosität und dem Selbstverständnis der Jugendlichen.

Welche Rolle spielt die Religion im Leben dieser Generation?

Mattes: Zugehörigkeitwird selbstständig verhandelt, durch Hobbies, Peergroups und persönliche Interessen. Vorgaben durch religiöse Institutionen und offizielle Autoritäten sind weniger gefragt, also sucht und baut man sich Identifikationspunkte, nicht nur, aber auch in Bezug auf Religion. Es gibt sowohl Jugendliche, denen Religion viel wichtiger wird als ihren Eltern, als auch junge Menschen, die die Religion ihrer Eltern als Belastung empfinden und sich lossagen wollen. Bei den Jugendlichen, die religiös sein möchten ist immer wieder zu beobachten, dass sie mehr Fragen als Antworten haben und oft unzufrieden mit den religiösen Angeboten in ihrem Umfeld sind.

Bei den Jugendlichen, die religiös sein möchten ist immer wieder zu beobachten, dass sie mehr Fragen als Antworten haben und oft unzufrieden mit den religiösen Angeboten in ihrem Umfeld sind. Dann werden 16-jährige YouTuberinnen zu religiösen Autoritäten, weil alle anderen Instanzen keine zufriedenstellenden Antworten liefern. 

Sind Sie auf Konflikte zwischen religiösen Vorgaben und der modernen Lebensrealität junger Menschen gestoßen?

Mattes: Häufig werden sehr spezifische Antworten gesucht, etwa bei manchen muslimischen Jugendlichen in der Unterscheidung in „erlaubte“ („halal“) und „verbotene“ („haram“) Dinge. Fragen wie „Wie viel Schminke, wie viel Lippenstift ist angemessen?“ oder „Wie kann ich mich im Sommer anziehen?“ werden etwa unter Muslim/innen vermehrt religiös verhandelt. Dann werden 16-jährige YouTuberinnen zu religiösen Autoritäten, weil alle anderen Instanzen – Eltern, Schule, Imam  – hier keine zufriedenstellenden Antworten liefern. Diese oft einfachen Antworten sollen das Leben strukturieren, Grauzonen bleiben dabei aber natürlich auf der Strecke. Solche Trends werden auch von muslimischen Religionspädagog/innen und Theolog/innen sehr kritisch gesehen.

Inwieweit spielen Politik und Popkultur in das Thema Glauben hinein?

Mattes: Wenn 10.000 Jugendliche in der Wiener Stadthalle bei einem christlichen Großevent unter dem Titel „Awakening“ für einen Politiker beten, sind Prayer, Pop und Politics ganz augenscheinlich beieinander. Wir untersuchen aber eher die persönlichen Zugehörigkeitspolitiken religiöser Jugendlicher. Dafür sind politische Bezugnahmen wichtig, das Spektrum dieser Bezugnahmen ist aber ganz breit. Ein politisch in eine andere Richtung gehendes Beispiel für die Politisierung ist etwa #ChurchForFuture, eine Bewegung, bei der gläubige Christen auf die #FridaysForFuture-Bewegung aufspringen und für eine Wende in der Klimapolitik eintreten. Oder die „Musliminnen gegen Antisemitismus“, die, neben anderen Gruppen, die Porträts von Holocaustüberlebenden an der Wiener Ringstraße bewacht und vor antisemitischen Übergriffen geschützt haben.

Wenn 10.000 Jugendliche in der Wiener Stadthalle bei einem christlichen Großevent unter dem Titel „Awakening“ für einen Politiker beten, sind Prayer, Pop und Politics ganz augenscheinlich beieinander.

Einen Zusammenhang von Glauben und Popkultur wiederum sehen wir bei Musikfestivals wie etwa Key2Life, bei dem christliche Musiker/innen aus aller Welt zusammenkommen. Auch Calimaat, ein muslimischer Graffittikünstler, spielt in seiner Kunst mit dem Glauben, konkret mit der Formensprache arabischer Schriftzeichen. Ein drittes Beispiel sind etwa junge Hindus, die religiöse Feiern um popkulturelle Darbietungen, etwa Tänze aus Bollywood-Filmen, erweitern.

Wovon handelt Ihr Kapitel im Buch?

Mattes: Ich habe mich vor allem mit konzeptionellen Fragen beschäftigt und zur Rolle von Digitalisierung für Jugendreligiosität gearbeitet. Das ist ein wachsendes Forschungsfeld, dass bisher noch wenig bearbeitet ist. Es ist daher wichtig Konzepte zu entwickeln, wie wir die Zugehörigkeitsverhandlungen in digitalen Räumen mit der Offline-Realität junger Menschen zusammendenken können und auch in unserer Forschung erfassen können. Dabei verbinde ich Ansätze aus der Religionswissenschaft, mit politikwissenschaftlichen Perspektiven und Medienforschung.

Die Politisierung von Glauben hat sich durch die Sozialen Medien massiv verstärkt.

Stichwort digitale Räume: Welche Rolle spielen die Sozialen Medien in Sachen Glauben?

Mattes: Eine große, denn die Politisierung von Glauben hat sich durch die Sozialen Medien massiv verstärkt. Jugendliche kuratieren ihre Inhalte in den Social Media sehr bewusst und bereiten sie je nach Zielpublikum – Eltern, Freunde, Bekannte etc. – unterschiedlich auf. Und junge Menschen könne viel freier aus dem schier endlosen Spektrum an religiösen Positionen die im Netz vertreten werden wählen. Social Media bringen leider auch die Gefahr von Filterblasen, Abkapselung und, in seltenen Fällen, Radikalisierung. Unterm Strich sind sie aber ein extrem wichtiger Kanal zur Kommunikation und Diskussion von gläubigen Jugendlichen – nicht nur, aber auch über Glaubensinhalte.

 

Astrid Mattes ist seit 2018 als Post-Doc am Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW tätig. Sie hat in Wien und Limerick Politikwissenschaft und vergleichende Religionswissenschaft studiert. Von 2010 bis 2018 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wien.

Das Buch „Prayer, Pop and Politics. Researching Religious Youth in Migration Society“, herausgegeben von Katharina Limacher, Astrid Mattes und Christoph Novak, hat 278 Seiten und ist bei V&R Unipress erschienen.