GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Josef Weninger, kMI 1937, wM 1945


geb. am 15. Mai 1886 in Salzburg, gest. am 28. März 1959 in Wien

Josef Weninger wurde 1937 zum korrespondierenden Mitglied im Inland (kMI) der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt. Nach dem „Anschluss“ wurde der Anthropologe wegen seiner jüdischen Ehefrau aus der Akademie ausgeschlossen. 1945 wurde seine Akademiemitgliedschaft reaktiviert.

Weninger, wurde als Sohn eines Salzburger Kaufmanns geboren. Im Jahr 1904 legte er in Salzburg die Reifeprüfung ab und nahm im Herbst des selben Jahres zunächst an der Technischen Hochschule in Wien das Studium des Bauingenieurwesens auf. Später wechselte er an die Universität Wien, wo er Archäologie, Volks- und Völkerkunde, Anthropologie und Geografie studierte. Bereits vor seiner Promotion arbeitete er als Assistent bei dem Ethnographen und Anthropologien Rudolf Pöch (1870–1921), der im Jahr 1919 das Anthropologische Institut an der Universität Wien begründete. Gemeinsam mit ihm führte er während des Ersten Weltkrieges mit Unterstützung der Heeresleitung ethnologische Untersuchungen in Kriegsgefangenenlagern des Deutschen Reiches und Österreichs an russischen Kriegsgefangenen durch. Von 1918 bis 1927 war Weninger als wissenschaftlicher Beamter im Staatsdenkmalamt beschäftigt. Er habilitierte sich im Jahr 1926 für physische Anthropologie und wurde im folgenden Jahr zum ao. Professor und Vorstand des Anthropologischen Instituts ernannt. 1934 wurde ihm der Titel eines o. Universitätsprofessors verliehen. Josef Weninger begründete die „Erbbiologische Arbeitsgemeinschaft“, deren Aufgabe darin bestand, durch Zwillingsuntersuchungen und familienanthropologische Studien den Erbgang von morphologischen Merkmalen zu ermitteln. Die Akademie der Wissenschaften in Wien wählte ihn im Jahr 1937 zum korrespondierenden Mitglied.

Nach dem „Anschluss“ 1938 versuchte der von den Nationalsozialisten eingesetzte Dekan Viktor Christian (1885–1963) mit Unterstützung des kommissarischen Rektors Fritz Knoll (1883–1981) für Josef Wenninger die Möglichkeit zu schaffen, weiterhin wissenschaftlich tätig zu sein: Weninger, dessen Frau Margarete, geb. Taubert, jüdischer Herkunft war, wurde nicht entlassen, sondern offenkundig aufgrund einer Intervention von Viktor Christian von der Universität Wien aus „gesundheitlichen Gründen“ beurlaubt. Mit 3. Mai 1939 wurde Weninger nach dem Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom Februar 1939 aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen. Sein Ausscheiden wurde in der Gesamtsitzung am 24. Februar 1939 mitgeteilt.

Christians Versuch, für Weninger ein erbbiologisches Forschungsinstitut einzurichten, dass an der Akademie der Wissenschaften in Wien angesiedelt werden sollte, scheiterte. Im Frühjahr 1939 setzte sich der Dekan erneut für seinen Freund ein, diesmal beim SS-Ahnenerbe. Weninger sollte das anthropologische Material über Kriegsgefangene aus der Zeit des Ersten Weltkrieges aus dem Nachlass seines Lehrers Rudolf Pöch auswerten. Weninger wurde vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) damit beauftragt und nahm am 4. März 1940 die wissenschaftliche Bearbeitung des anthropologischen Materials über Kriegsgefangene aus dem Kaukasus auf. 1941 wurde er am Museum des Reichsgaues Niederdonau in Wien arbeitsverpflichtet, wo er bis März 1945 tätig war.

Im Jahr 1945 kehrte er, nun als o. Universitätsprofessor, an die Universität Wien zurück und übernahm wieder die Leitung des Anthropologischen Instituts (bis 1957). Ab 1948 lehrte seine Frau Margarete Weninger als Privatdozentin am Institut. Josef Weninger emeritierte im Jahr 1955. Er verstarb 1959 in Wien.

Nachdem die Akademie der Wissenschaften in Wien in ihrer ersten Sitzung nach Kriegsende am 18. Mai 1945 die „Rückberufung der wirklichen und korrespondierenden Mitglieder, die im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen des Jahres 1938 ausgetreten sind“, beschlossen hatte, kehrte Weninger zunächst wieder als korrespondierendes Mitglied im Inland (kMI) in die Akademie zurück. Im selben Jahr wurde er von der Akademie der Wissenschaften in Wien zum wirklichen Mitglied (wM) gewählt.

Weninger, dessen rassen- und erbbiologische Forschungen als rassistisch eingestuft werden, war unter anderem Präsident der Wiener Anthropologischen Gesellschaft, Ehrenpräsident des Vereins für Volkskunde und Vizepräsident im Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie. Weiters war er Obmann der Anthropologischen Kommission und der Prähistorischen Kommission an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 1946 ernannte ihn die niederösterreichische Landesregierung zum Ehrenkurator des Niederösterreichischen Landesmuseums. 1948 wurde er Honorary Fellow des Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland.


Schriften (Auswahl)


  • Josef Weninger, Anthropologische Methoden der menschlichen Erbforschung, in: Günther Just, Julius Springer, Handbuch der Erbbiologie des Menschen, Berlin 1940.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Personalakt.
    • Archiv der ÖAW, Protokoll der Gesamtsitzung am 18. Mai 1945 (A994).
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 360/2).
    • Mitchell G. Ash, Die Universität Wien in den politischen Umbrüchen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Mitchell Ash – Josef Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 2), Göttingen 2015, 29–172, hier: 123, 124.
    • Margit Berner [u.a.], Wiener Anthropologien, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 41–54, hier: 42, 44–47.
    • Heinrich Hayek, w.M. Josef Weninger, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Almanach f. d. J. 1959, 109. Jg., Wien 1960, 427–436.
    • Maria Teschler-Nicola, Aspekte der Erbbiologie und die Entwicklung des rassenkundlichen Gutachtens bis 1938, in: Heinz Eberhard Gabriel, Wolfgang Neugebauer (Hg.), Vorreiter der Vernichtung? Eugenik, Rassenhygiene und Euthanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938. Zur Geschichte der NS Euthanasie in Wien. Teil 3, Wien–Köln–Weimar 2005, 99–138, hier: 114–119.
    • Britta Lange, Die Wiener Forschungen an Kriegsgefangenen 1915–1918. Anthropologische und ethnografische Verfahren im Lager, Wien 2013.
    • Irene Maria Leitner, „Bis an die Grenzen des Möglichen“: Der Dekan Viktor Christian und seine Handlungsspielräume an der Philosophischen Fakultät 1938–1943, in: Mitchell G. Ash – Wolfram Nieß – Ramond Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel Wien, Göttingen 2010, 49–77, hier: 50–52, 54, 57–61, 64–65, 67, 73, 76–77.
    • Herbert Matis, Ausschluss von Mitgliedern, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 55–62.
    • Irene Ranzmaier, Die Anthropologische Gesellschaft in Wien und die akademische Etablierung anthropologischer Disziplinen an der Universität Wien, 1870–1930 (=Wissenschaft, Macht und Kultur in der modernen Geschichte 2), Wien–Köln–Weimar 2013, 162, 167, 173–174, 247–252, 255, 282, 286–288, 293.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 211–212.


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