GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Gerta Schmid


geb. am 21. September 1907 in Wien, gest. am 7. Februar 2008 in Gainsborough, (Großbritannien)

Gerta Schmid forschte von 1936 bis 1938 an der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) der Akademie der Wissenschaften in Wien. Nach dem „Anschluss“ wurde sie aus rassistischen Gründen verfolgt und konnte ihre Tätigkeit an der Akademie nicht mehr fortsetzen. Schmid emigrierte 1938 nach Großbritannien.

Schmid wurde als Tochter des aus Lemberg stammenden Hermann Schmid (geb. 1869, 1942 nach Riga deportiert), Inhaber eines Modehauses in der Wiener Kärntnerstraße, und seiner Frau Pauline, geb. Beck (geb. 1878, 1942 nach Riga deportiert), in Wien geboren. Gerta Schmid hatte zwei jüngere Brüder, Erich (1908–1984) und Wolfgang Peter (geb. 1918). Der unter dem NS-Regime als „entartet“ diffamierte Künstler Erich Schmid war außer ihr das einzige Mitglied der fünfköpfigen Familie, das den Holocaust überlebte. Die Eltern und der jüngere Bruder wurden am 6. Februar 1942 nach Riga deportiert und kamen unter nicht bekannten Umständen um, nachdem sie offenbar davor noch nach Wien-Leopoldstadt, Lilienbrunngasse 5, umgesiedelt worden waren.

Vermutlich absolvierte Gerta Schmid zunächst eine Lehre in der Firma ihres Vaters und war anschließend dort tätig. Sie maturierte 1933 mit 26 Jahren als Externistin am Realgymnasium in Wien-Margareten. Im selben Jahr nahm sie die Studien Zoologie und Botanik an der Universität Wien auf und war bis 1937 inskribiert. Gerta Schmid begann im Jahr 1936 ihr Dissertationsprojekt und forschte dafür auf Vorschlag von Hans Przibram an der Biologischen Versuchsanstalt (BVA).

In der nach dem „Anschluss“ erstellten „Liste der Arbeitenden“ der BVA ist Schmid (offenkundig irrtümlich als Gerda Schmidt angeführt) als „Nicht-Arier“ gekennzeichnet. Am 13. April 1938 wurde die BVA vorübergehend geschlossen. Ab der Wiedereröffnung am 26. April war der Zutritt nur noch für die „inzwischen auf Ansuchen mit Zulassungsscheinen beteilten Arbeitenden“ möglich, so die Mitteilung in einem Schreiben des designierten Akademiepräsidenten Heinrich Srbik (1883–1981) und des kommissarischen Rektors der Universität Wien Fritz Knoll (1883–1981), der mit der „Wahrnehmung der Interessen der Landesleitung der NSDAP für die Akademie der Wissenschaften“ betraut worden war. Damit wurde jüdischen Forschenden spätestens mit 13. April 1938 der Zutritt zur BVA praktisch verweigert.

Ihr Dissertationsprojekt konnte sie dennoch im Sommer dieses Jahres abschließen. Im November 1937 hatte sich Schmid zu den Abschlussprüfungen in Zoologie an der Universität Wien angemeldet und das erste Rigorosum im folgenden Jänner bestanden. Die Zoologin promovierte am 21. Juli 1938 mit ihrer Dissertation über „Entwicklungsbedingungen der imaginalen Rotfärbung am Vorderbein des Dixippus morosus Br. et Redt“ im Rahmen einer so genannten „Nichtarierpromotion“. Solche Promotionen fanden an der Universität Wien unter entwürdigenden Bedingungen – begleitet von zahlreichen formalen Schikanen und Diskriminierungen – bis Ende Dezember 1938 statt. Mit dieser Promotion wurde gleichzeitig ein Berufsverbot für das gesamte Deutsche Reich erteilt.

Gerta Schmid konnte noch im Jahr 1938 nach Großbritannien emigrieren, wo sie zunächst als Hausmädchen arbeitete. Der letzte Wiener Wohnsitz von Schmid war in der Webgasse 28 in Wien-Mariahilf. 1940/41 erschien in der Zeitschrift Confinia Neurologica ein von ihr gemeinsam mit dem Physiologen Oskar Peczenik und dem Internisten Ludwig Popper (1904–1984) verfasster Aufsatz zu Forschungen, die nach Angabe der Autor/inn/en „1936–1938 under a grant of the Seegen-Foundation of the Austrian Academy for Science in its Viennese Institute for Biological Research, the former laboratory of Prof. E. Steinach“ durchgeführt worden waren. Als Aufenthaltsort der drei Autor/inn/en wurde London angeführt. Seit Anfang der 1960er Jahre lebte Schmid in Gainsborough (England), wo sie bis zu ihrer Pensionierung als Biologielehrerin an der Girl’s High School tätig war. Im Zeitraum von 1960 bis 1975 wurde sie hier von ihrem Bruder Erich kontinuierlich besucht. Gerta Schmid verstarb im Jahr 2008 in Gainsborough.


Schriften (Auswahl)


  • Gerta Schmid, Entwicklungsbedingungen der imaginalen Rotfärbung am Vorderbein des Dixippus morosus Br. et Redt., Dissertation, Universität Wien 1938.
  • O. Peczenik – L. Popper – G. Schmid, Antagonism between Thyroid and Posterior Pituitary and its Relation to the Autonomic Nervous System, Confinia Neurologica 3 (1940–41), 331–347.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Bestand BVA.
    • Archiv der ÖAW, NL Fritz Knoll, K. 1, Mappe 2, Konv. „Akten (1935)1938“ („Liste der Arbeitenden“).
    • Archiv der Universität Wien, Phil. Fak. Rigorosenprotokoll 13943, Rig. Akt. 13943.
    • Akademie der Wissenschaften in Wien, Almanach f. d. J. 1937, 1938.
    • Ivonn Kappel, „In fremden Spiegeln sehen wir das eigene Bild“. Jean Amérys Lefeu oder der Abbruch (= Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 674), Würzburg 2009, 160, 164.
    • Erich Schmid, Wien 1908–Paris 1984, hg. v. Claudia Widder – Roland Widder, Weitra 2002, 11–17, 120.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft und vergessen, in: derStandard.at, 19.2.2013.
    • Klaus Taschwer, Vertrieben, verbrannt, verkauft, vergessen und verdrängt. Über die nachhaltige Vernichtung der Biologischen Versuchsanstalt und ihres wissenschaftlichen Personals, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 105–115, hier: 111.


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