08.09.2023

Smarte Dorf­gemeinschaften im Schatten von Troia

Die frühe Metallverarbeitung in Kleinasien ließ mächtige politische Zentren wie Troia entstehen. Doch sie war auch Geburtshelfer für neue, selbst organisierte und kaum hierarchische Gemeinschaften, wie die Prähistorikerin Barbara Horejs mit Forschungen im türkischen Çukuriçi Höyük aufzeigt.

Rekonstruktion der frühbronzezeitlichen Siedlung auf dem Çukuriçi Höyük (© ÖAW-ÖAI/7Reasons)

Mächtige Herrscher, die wie in Troia streng über ihre archaischen Untertan:innen gebieten – das ist das Bild, das üblicherweise mit Kulturen der frühen Bronzezeit assoziiert wird. Doch jene Ära, beginnend rund 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, führte mit der Verbreitung der Metallverarbeitung auch zum Aufstieg ganz anderer Gesellschaften: selbst-organisierter, kaum hierarchischer und zugleich gut organisierter und vernetzter Gemeinschaften von Haushalten.

Zu diesem Befund gelangte Barbara Horejs, wissenschaftliche Direktorin der Abteilung Prähistorie & WANA-Archäologie am ÖAI. Bei mehrjährigen Grabungen und Analysen im westtürkischen Çukuriçi Höyük konnte sie eine dieser wenig hierarchischen Gemeinschaften genau analysieren und rekonstruieren. »Die Archäologie hat immer gedacht, dass die Entstehung der frühen Bronzezeit um rund 3.000 vor unserer Zeitrechnung durch die Entwicklung von Eliten geprägt ist, die das Bild dieser Epoche bisher auch dominiert haben. Wie beispielsweise in Troia, das zeitgleich zu 'unserer' Siedlung vor 5.000 Jahren entstand«, sagt Horejs. »Unsere Siedlung liefert ein anderes, paralleles Modell dazu. Wir sehen, dass hier mindestens 150 Jahre lang Gesellschaften miteinander gelebt und sich ohne eine soziale oder politische Elite organisiert haben.« Im Interview schildert die Archäologin, wie man sich diese Gemeinschaften vorstellen kann und wie es ihnen sogar gelang, die komplexe Metallverarbeitung ähnlich konsequent wie große politische Zentren zu betreiben.

Nicht-elitäre Gesellschaft

Was erfahren wir über das konkrete Zusammenleben durch die Ausgrabungen?

Barbara Horejs: Eine der wesentlichsten Erkenntnisse ist, dass es sich in der frühen Bronzezeit um eine nicht-elitäre Gesellschaft handelt. Sie beruht auf Haushaltsgemeinschaften, die sehr konstant stabile und funktioniere Netzwerke aufgebaut haben. Die miteinander in einer Struktur leben, die wir als heterarchisch interpretieren.

Das ist eine neue Perspektive auf diese sehr dynamischen Jahrhunderte.

Was ist daran ungewöhnlich?

Horejs: Wir befinden uns am Beginn der Bronzezeit, das ist eine der entscheidenden Kulturepochen in unserer Menschheitsgeschichte. Es kommt zu großen Umbrüchen durch das Aufkommen der Metalle, insbesondere von neuen Legierungen. Es entstehen in diesem Zeithorizont, in dem sich auch unsere Siedlung verortet, erstmals große politische Machtzentren, sowohl in Griechenland als auch in der Westtürkei. Erstmals können wir in dieser Großregion eine Gesellschaftselite fassen, die proto-urbane Strukturen entwickelt, wie eine Verwaltung durch Siegel, eine kommunale Organisation von Lagerung und befestigte Zentren. Unsere Siedlung liefert ein anderes Modell dazu, das parallel zu diesen politischen Zentren existiert hat. Wir sehen, dass hier mindestens 150 Jahre lang (2900-2750 vor unserer Zeitrechnung) Haushaltsgemeinschaften miteinander gelebt haben, komplexe Rohstoffnetzwerke aufbauten, spezialisiertes Handwerk organisiert haben und dafür keine elitären Strukturen notwendig waren bzw. automatisch daraus entstanden sind. Das ist eine neue Perspektive auf diese sehr dynamischen Jahrhunderte am Beginn der neuen Epoche der Bronzezeit.

Sie hatten alle technologischen Errungenschaften und alle Innovationen gekannt und haben sie angewandt.

Wie kann man das erkennen?

Horejs: Dafür arbeiten wir stark interdisziplinär mit naturwissenschaftlichen Methoden, die uns Informationen liefern zur Ernährung, der Architektur, wie die Gebäude sich entwickelt haben, wie Ackerbau betrieben wurde, wie die Gemeinschaften das geschlachtete Vieh aufgeteilt haben, wie sie ihre Lebensmittel gelagert hatten oder welche Rohstoffe in welcher Weise verwendet wurden. Sie hatten alle technologischen Errungenschaften und alle Innovationen gekannt und haben sie angewandt, waren in überregionale Rohstoffversorgungsnetzwerke eingebunden, aber sie haben sich ohne eine herausgehobene Gruppe organisiert, weshalb sich wohl auch keine politische Elite entwickelt hat. Diese Form der gesellschaftlichen Organisation können wir auf dem Çukuriçi erstmals definieren.

Metallproduktion in Haushalten

Wie viele Menschen waren mit der Metallverarbeitung beschäftigt?

Horejs: Alle Haushalte haben den Nachweis von Metallproduktion, weshalb wir von einer häuslichen Produktion ausgehen, die aber gemeinschaftlich organisiert war. Es handelt sich um die größte metallproduzierende Gesellschaft, die wir aus der gesamten frühen Bronzezeit kennen, gemessen an den rund 50 Metallwerkstätten sowie der Menge an verarbeiteten Metallen und produzierten Objekten. Es wurden verschiedene Metallsorten miteinander legiert, vor allem Arsen und Kupfer – die sogenannte Arsenbronze, daraus wurden Werkzeuge, Schmuck und Waffen hergestellt.

Der Bedarf an Zinn für die neue Legierung dürfte auch ein Faktor sein, warum diese Siedlung aufgegeben wurde.

Woher kamen die Rohstoffe?

Horejs: Die Metallurgen hatten stabile und funktionierende Rohstoff-Netzwerke. In Troia und in Çukuriçi Höyük gibt es den ältesten Nachweis von Zinn, ein damals neues Material, das in Verbindung mit Kupfer dann die echte Zinnbronze ergibt. Bereits 2900 v. Chr. haben wir den Nachweis, dass in Çukuriçi Höyük Bronzen legiert wurden. Die nächsten Zinn-Lagerstätten liegen allerdings weit entfernt, beispielsweise im weit entfernten Afghanistan. Inwieweit potentielle anatolische Zinnlagerstätten in der Urgeschichte genutzt wurden, ist in der Forschung umstritten. Der Bedarf an Zinn für die neue Legierung dürfte auch ein Faktor sein, warum diese Siedlung 2750 vor unserer Zeitrechnung aufgegeben wurde. Die Metallurgen scheinen keinen dauerhaften Zugang zu diesen Ressourcen gehabt zu haben, die in anderen großen Zentren – wie Limantepe oder Troia – verarbeitet wurden. Die Häuser des Çukuriçi wurden quasi versiegelt, in dem sie absichtlich zugeschüttet wurden und die Gemeinschaft hat den Platz verlassen.

 

Die Grabungen in Çukuriçi Höyük fanden von 2007 bis 2014 statt, die Forschungsergebnisse sind bisher in fünf Bänden im Verlag der ÖAW veröffentlicht.

Çukuriçi Höyük im Verlag der ÖAW