19.07.2023

Queerness im Alten Ägypten

Wie gingen Menschen im Alten Ägypten mit Homosexualität um und was bedeutete Queerness in der Antike? Ägyptologe Uroš Matić erzählt, wie sich unsere heutigen Vorstellungen von Geschlecht von der Antike unterscheiden und warum Sexualität damals eng mit Macht verknüpft war.

Ob es sich bei den beiden altägyptischen Männern Nianchchnum und Chnumhotep um ein Paar handelt, ist in der Forschung umstritten. Möglich ist auch, dass sie Geschwister oder vielleicht sogar Zwillinge waren. Fest steht jedenfalls, dass sie in einem gemeinsamen Grab in Sakkara, Ägypten bestattet sind. © Shutterstock

Geschlechtsidentität und Genderrollen sind keine Erfindung der Neuzeit. Schon in der Antike prägten sie das Leben der Menschen. Uroš Matić, Ägyptologe am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), beschäftigt sich unter anderem mit Genderarchäologie und Fragen rund um Sexualität und Geschlechterrollen in prähistorischen und antiken Gesellschaften.

Geschlechterforschung in der Archäologie

Was macht das Thema Genderarchäologie für Sie so spannend? 

Uroš Matić: Der Blick in die Geschichte legt die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern offen. Und er zeigt, dass das Verhalten der Menschen kulturspezifisch ist. Manches, was wir heute als selbstverständlich betrachten, war in der Geschichte nicht immer so.

Haben Sie ein Beispiel?

Matić: In unserer gegenwärtigen heteronormativen Gesellschaft würde man nicht erwarten, dass Männer auf der Straße Schminke tragen, weil wir das in unserer Kultur eher mit Frauen und Weiblichkeit assoziieren. Aber im Alten Ägypten war das nicht so. Damals haben Männer und Frauen Schminke, wie zum Beispiel einen Eyeliner, getragen. Das war per se nicht gegendert, sondern ein Schönheitsideal für beide Geschlechter und wurde sogar als Heilmittel betrachtet.

Es gibt sehr gute Belege für gleichgeschlechtliche Beziehungen im Alten Ägypten. 

Kann man denn überhaupt heutige Konzepte von Geschlechteridentität oder Sexualität auf die Vergangenheit zu übertragen?

Matić: Es gibt Wissenschaftler:innen, die der Meinung sind, dass man moderne Begriffe nicht auf vergangene Gesellschaften übertragen kann, weil diese Gesellschaften selbst solche Begriffe nicht verwendet haben. Hätte sich jemand in Ägypten als hetero- oder homosexuell identifiziert? Die Antwort ist: Nein. Wir wissen von keinen Individuen, die sich damals als homosexuell bezeichnet hätten. Wir kennen bei den Ägypter:innen auch keine entsprechenden Wörter. Das bedeutet aber nicht, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht existiert haben. Im Gegenteil: Es gibt sehr gute Belege dafür - und zwar auch außerhalb Ägyptens - bereits für die Ur- und Frühgeschichte.

Gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Antike 

Was hat es also bedeutet, im Alten Ägypten „queer“ zu sein?

Matić: Das ändert sich über die Zeit in der altägyptischen Geschichte. Für das pharaonische Ägypten bis zur hellenistischen Zeit und der ptolemäischen Regierung gibt es nicht viele Quellen, die definieren, wer „queer“ war. Was wir aber wissen: Es war gesellschaftlich eher akzeptabel, wenn Männer mit anderen Männern verkehren, unter der Bedingung, dass sie eine aktive Rolle einnehmen. Eine passive Rolle wurde als nicht angemessen angesehen. Denn eine solche war den Frauen zugedacht und Frauen waren den Männern im alten Ägypten untergeordnet. Das war natürlich auch eine Frage von Klassenzugehörigkeit.

Ist etwas über gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen im Alten Ägypten bekannt?

Matić: Es gibt altägyptische Begriffe aus dem 2. und 3. Jahrtausend v. Chr, die unter anderem „Freund/Freundin“ bedeuteten und sich möglicherweise auch auf gleichgeschlechtliche Paare beziehen. Außerdem wurde in Hermopolis in Ägypten eine magische Tafel aus Blei aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. gefunden, die einen Zauberspruch enthält. Darauf ist von einer Frau namens Gorgonia die Rede, die eine Frau namens Sophia begehrte und verzaubern wollte.

 

Uroš Matić studierte Archäologie an der Universität Belgrad/Serbien und promovierte in Ägyptologie an der Universität Münster. Seit 2012 war er Mitarbeiter an der Grabung in Tell el-Dab’a/Ägypten, seit 2017 an der Grabung in Kom Ombo/Ägypten. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Außenstelle Kairo des Österreichischen Archäologischen Instituts.