20.11.2023

Handelsknotenpunkt in der Golfregion

Florierender Wirtschaftsstandort mit 2000-jähriger Besiedlungsgeschichte in Kalba rekonstruiert

Verbrannte Dattelkerne aus Kochgruben liefern wichtige Radiokarbondatierungen (ca. 2300–2000 v. Chr.) und helfen dabei das Alltagsleben der Siedlungsbewohner zu rekonstruieren (© ÖAW-ÖAI/D. M. Blattner)

Ein internationales Forscherteam untersucht in der Küstenstadt Kalba (Vereinigte Arabische Emirate) die Hinterlassenschaften verschiedener Besiedlungen zwischen 2500 bis 600 v. Chr. Trotz nachweislich immer trockener werdendem Klima bestätigen bronze- und eisenzeitlichen Funde eine 2000-jährige, nahezu kontinuierliche Besiedlungsdauer und bezeugen sogar einen florierenden Handwerks- und Wirtschaftsstandort. Ziel ist es, das Alltagsleben der prähistorischen Gemeinschaften zu rekonstruieren sowie die Rohstoffbezugssysteme und Interaktionsradien innerhalb des damaligen Handelsnetzwerks nachzuvollziehen. Um die bestehende Kooperation mit dem Emirat Schardscha zu vertiefen, sind gegenwärtig, im Beisein des österreichischen Botschafters in Abu Dhabi, die Direktorinnen des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA) vor Ort. Die diesjährige Grabung startete am 30. Oktober und wird am 30. November ihren Abschluss finden.


Als Handelsknotenpunkt in der Golfregion agierte der Küstenort Kalba sehr erfolgreich innerhalb eines der ältesten nachgewiesenen Handelsnetzwerke, das vor 4500 Jahren vom Indusgebiet bis in die Ägäis reichte. »Der entscheidende Erfolgsfaktor für den Wirtschaftsstandort war vor allem die geografische Lage von Kalba. Hier muss es hervorragende Verbindungsrouten über See und Land gegeben haben. Wir vermuten auch einen Zugang aus der Wüste über die Berge, der Karawanen den Weg an die Küste ermöglichte. Dennoch waren wir verblüfft über die 2000-jährige nahezu kontinuierliche Besiedlungsdauer des Fundorts, obwohl sich die Umweltbedingungen nach unseren Analysen durch ein immer trockener werdendes Klima deutlich verschlechterten«, erläutert Grabungsleiter Christoph Schwall, Experte für Vorgeschichte im LEIZA.

Den Erfolg für die lange erfolgreiche Besiedlung sehen die Forschenden neben den optimalen Handelsrouten und dem existenzsichernden Versorgungsnetzwerken, vor allem in uneingeschränktem Zugang zu Süßwasser. Dies bestätigen aktuelle archäobotanische Untersuchungen verschiedener pflanzlicher Überreste. Auffallend ist hier der hohe Anteil von nachgewiesenen Mangroven, deren Lebensraum im Bereich von Süß- bzw. Brackwasser zu verorten ist. Dies lässt die Forschenden auf einen Trinkwasserzugang im Umfeld des Fundortes schließen, welches das Überleben der Küstenbewohner sicherte.

Verarbeitete Halbedelsteine und qualitätvoller Hornstein: Ortung der Rohstoffquellen sind Fokus der Untersuchungen 

Dass die prähistorischen Gesellschaften über breites Wissen und ein weitreichendes Netzwerk zum Bezug der lokalen Gesteinsressourcen verfügten, belegen Funde, wie Steinwerkzeuge aus qualitativ hochwertigem Hornstein. Geochemische Analysen konnten nachweisen, dass der Hornstein aus dem ca. 50 km entfernten Hadschar-Gebirge stammt.
»Wir gehen der Frage nach, ob die Rohstoffe und Bodenschätze eine ähnliche Rolle im Handel – vergleichbar mit dem heutigen Öl – für die Region gespielt haben können. Deswegen analysieren wir Rohstoffquellen in den umliegenden Gebirgsketten und vergleichen es mit dem verarbeiteten Material in den archäologischen Artefakten. Um Gesteinsproben zu gewinnen, haben wir potenzielle Gebiete mit Hilfe von geologischen Karten identifiziert und durch Begehungen die Lagerstätten lokalisiert«, erklärt Grabungsleiter Christoph Schwall die Vorgangsweise.

Die Rohmaterialanalysen wurden von Michael Brandl, Leiter des Lithiklabors am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) , entsprechend des von ihm entwickelten Multi Layered Chert Sourcing Approach (MLA) durchgeführt und sollen in Zukunft fortgesetzt werden. Weitere Ergebnisse der geoarchäologischen Analysen bestätigen eine Bandbreite von unterschiedlichen silikatischen Gesteinsrohstoffen, wie Achat, Chalcedon und Karneol, die im Randbereich der Berge auf der südöstlichen Arabischen Halbinsel zu finden sind. Derzeit wird die Herkunft der Halbedelsteine von Schmuckfunden im Lithiklabor des ÖAI ermittelt.

Zukunftsperspektiven für gemeinsame wissenschaftliche Kooperation

Um zukünftige Perspektiven innerhalb der Zusammenarbeit zwischen dem Emirat Schardscha zu vertiefen, sind die Wissenschaftliche Direktorin des ÖAI, Barbara Horejs, sowie die Generaldirektorin des LEIZA , Alexandra W. Busch, gegenwärtig vor Ort.

»Die Integration des LEIZA in unsere mehrjährige und erfolgreiche Kooperation mit dem Emirat Schardscha wird unsere gemeinsamen Ausgrabungen auf eine neue europäische Ebene heben. Die gesamte Region am Golf von Oman ist für unsere Kenntnisse weit vernetzter Handelswege und ihre soziokulturelle Rolle zwischen Asien und Europa lange unterschätzt und lässt uns noch viele neue Ergebnisse erwarten«, so Barbara Horejs, die in Kalba gleichzeitig Co-Grabungsleiterin von Seiten des ÖAI ist.

Generaldirektorin des LEIZA Alexandra W. Busch ergänzt: »Die historischen Spuren von Handel, kulturellem Austausch und Wissenstransfer zu rekonstruieren, zählt zu den zentralen Forschungsgebieten des LEIZA. Wir freuen uns, mit dem Projekt in Kalba ein ganz neues, spannendes Kapitel in diesem Feld aufschlagen zu können und damit zugleich die wissenschaftliche Kooperation mit dem ÖAI und dem Emirat Schardscha und der Region am Golf von Oman zu vertiefen.«

Projektinformationen

Seit 2019 forschen in enger Zusammenarbeit mit der archäologischen Behörde vor Ort, Sharjah Archaeology Authority (SAA) und das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) beteiligt sich ab 2023 als neuer ständiger Partner dieser internationalen Ausgrabungen im Emirat Schardscha am Golf von Oman. Weitere Projektbeteiligte sind das Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie und das Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Tübinger Universität. Die Grabungen werden zusätzlich von der Österreichischen Botschaft in Abu Dhabi unterstützt. 

 

Projektseite: https://bit.ly/45jB4bB

Publikationen

M. Brandl, The Multi Layered Chert Sourcing Approach (MLA), Analytical Provenance Studies of Silicite Raw Materials, Archeometriai Műhely 2016/XIII./3, 145–156. http://www.ace.hu/am/2016_3/AM-2016-3-MB.pdf

K. Lidour – M. J. Beech – D. Eddisford – C. S. Phillips – Ch. Schwall – S. A. Jasim, A Bronze to Iron Age Fishing Economy at Kalbāʾ 4 (Emirate of Sharjah, United Arab Emirates), Arabian Archaeology and Epigraphy 34, 2023, 44–62. doi: 10.1111/aae.12227

Ch. Schwall – M. Brandl – M. Börner – S. Lindauer – K. Deckers – S. Riehl – A. Cramer – Ch. Hauzenberger – E. Yousif – S. A. Jasim, The 2021 Field Season at Kalba: Results of the Excavations and Geo-archaeological Surveys, Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 52, 2023, 305–321. https://archaeopresspublishing.com/ojs/index.php/PSAS/article/view/1569

Ch. Schwall – M. Brandl – M. Börner – K. Deckers – S. Lindauer – E. Pernicka – E. Yousif – S. A. Jasim, Kalba: New Insights Into an Early Bronze Age Trading Post on the Gulf of Oman, Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 51, 2022, 329–352.
https://archaeopresspublishing.com/ojs/index.php/PSAS/article/view/419

 

Rückfragehinweis

Astrid Pircher | Wissenschaftskommunikation
T: +43 (0)1 51581-4060
astrid.pircher(at)oeaw.ac.at

Wissenschaftliche Kontakte

Barbara Horejs
Wissenschaftliche Direktorin des ÖAI und Grabungsleiterin ÖAI
barbara.horejs(at)oeaw.ac.at

Christoph Schwall
Grabungsleiter Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)
christoph.schwall@leiza.de