01.02.2024 | UN-Plastikabkommen

Was tun gegen den Plastikmüll

Bis 2060 soll die jährliche Plastikproduktion auf eine Milliarde Tonnen steigen. Davon gehen Schätzungen der OECD aus. Die Vereinten Nationen arbeiten deshalb an einem internationalen Abkommen, das die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll begrenzen soll. Chemiker Michael Norton erklärt im Interview, was gegen die enormen Mengen von Plastik unternommen werden kann.

Die Menge an produziertem Plastik könnte sich, ohne konkrete Maßnahmen, bis 2060 verdreifachen. © Adobe Stock

Das 21. Jahrhundert wird wohl als "Plastik-Zeitalter" in die Geschichte eingehen. Um die Verschmutzung durch Plastikmüll zu reduzieren, braucht es drastische Maßnahmen, sowohl in der Produktion als auch im Recycling. Das European Academies Science Advisory Council (EASAC), dessen Geschäftsstelle seit Anfang des Jahres an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist, hat eine Liste mit Empfehlungen für die Verhandlungen eines internationalen Plastik-Abkommens erarbeitet. Projektleiter Michael Norton spricht im Interview über den benötigten Maßnahmenmix gegen Plastikmüll, politischen Gegenwind und seine Erwartungen an das Plastikabkommen.

Worum geht es im Plastics Report von EASAC?

Michael Norton: In unserem Bericht aus dem Jahr 2020 haben wir festgehalten, dass Kunststoffe zwar nützliche Materialien sind. Aber wenn wir Plastik überall wahllos einsetzen, landet am Ende auch eine enorme Menge als problematischer Abfall in der Umwelt. EASAC arbeitet an Konzepten, um Plastikabfall zu reduzieren. Im aktuellen Bericht präsentieren wir Lösungsvorschläge, die auch als Denkanstoß für die laufenden UN-Verhandlungen über ein Plastikabkommen gedacht sind. Wir müssen genau überlegen, wo der Einsatz von Plastik unumgänglich ist und dort Wiederverwendung und Recycling fördern. Wenn eine Wiederverwertung nicht möglich ist, muss der Abfall möglichst ohne Umweltkontamination entsorgt werden. Der Bericht soll Ziele, mögliche Hindernisse und Werkzeuge präsentieren.

Plastikmüll ist überall

Was macht Plastikabfälle so problematisch?

Norton: Für viele Abfälle, wie Papier oder Biomüll, gibt es einen natürlichen Abbaupfad. Bei Plastik ist das anders. Das Material zerfällt durch ultraviolettes Sonnenlicht zwar in kleine Stücke, aber die Lebensdauer des Materials ist praktisch unbegrenzt. Größere Plastikabfälle haben offensichtliche Auswirkungen auf lebende Organismen, es gibt haufenweise Fotos von Meeresschildkröten, die sich fatal in Plastikmüll verheddert haben oder Fischen, die an verschluckten Plastikstücken sterben. Menschen essen zwar keine Plastiktüten, aber Mikro- und Nanoplastik aus winzigen Partikeln ist mittlerweile überall. Wir finden es im Nebel auf dem Mount Fuji in Japan, in der Tiefsee und sogar in der Antarktis. Das Material gelangt so in die Nahrungskette und erreicht den Menschen, der es auch über die Luft und das Trinkwasser aufnimmt. 

Wir finden Mikroplastik in menschlichen Gehirnen oder den Plazentas schwangerer Frauen: Es gibt kein Entkommen.

Was hat das für Auswirkungen auf die Gesundheit?

Norton: Wie schwerwiegend das Problem ist, lässt sich derzeit nicht abschätzen, weil es noch keine Daten gibt. Aber wir finden Mikroplastik in menschlichen Gehirnen oder den Plazentas schwangerer Frauen: Es gibt kein Entkommen. Wir können die Wege des Mikroplastiks durch das Ökosystem zwar nachvollziehen, aber die Effekte sind noch nicht erforscht. Wir sollten auf jeden Fall das Vorsorgeprinzip befolgen und versuchen, die Verbreitung zu kontrollieren, bevor mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit bewiesen werden. Die Menge an produziertem Plastik wird sich bis 2060 verdreifachen, wenn wir weitermachen wie bisher. Das möchten wir als Wissenschaftler unbedingt verhindern. 

Maßnahmen gegen Plastik

Welche konkreten Vorschläge empfiehlt die EASAC?

Norton: Wir brauchen einen systemischen Ansatz, der an mehreren Punkten gleichzeitig wirken kann. Die Produktion zu verringern ist vor allem bei nicht wiederverwendbaren Plastikprodukten entscheidend. Die Folienverpackungen für viele Lebensmittel und andere Produkte können zum Beispiel nicht wirtschaftlich recycelt werden. Das Sammeln von Plastik für Wiederverwendung, Recycling und Entsorgung ist ein wichtiger Punkt. Hier können die Geschäfte in die Pflicht genommen werden, die Mitverantwortung übernehmen sollen, wenn es um die Rücknahme von Plastik geht. Kaffeebecher aus Plastik und ähnliche Einwegbehälter sollen wiederverwendbar oder zumindest recyclebar gestaltet werden. Für offensichtliche Problemprodukte wie diese sollte ein System zur Wiederverwendung oder Entsorgung für Händler verpflichtend sein. Es ist auch nichts falsch daran, gute alte Tassen mit Untersetzern zu verwenden, wo es möglich ist. 

Je mehr Plastik wir wieder verwenden oder möglichst sauber entsorgen, desto weniger Müll gelangt in die Umwelt.

Wie kann eine Wiederverwertung aussehen?

Norton: Wir schlagen eine Hierarchie vor. Einige Produkte wie Plastikflaschen aus PET (Polyethylenterephthalat) können einfach und sauber recycelt werden - hier werden aus alten Flaschen wieder neue. Verpackungen für Fisch, Fleisch oder Sandwiches sind dagegen nicht homogen und oft verunreinigt - aus ihnen können nur anspruchslose Produkte wie Blumentöpfe gemacht werden. Vielleicht können wir diese Materialien in Zukunft zu Dünger oder Treibstoff machen. Das ist aus heutiger Sicht aber nicht wirtschaftlich. Für Plastikprodukte, die gar nicht recycelt werden können, ist eine Verbrennung mit Nutzung der Abwärme die beste unter schlechten Lösungen. Je mehr Plastik wir wieder verwenden oder möglichst sauber entsorgen, desto weniger Müll gelangt in die Umwelt.

Export von Plastik 

Wo sollen die reichen Länder anfangen?

Norton: Die Wirtschaftlichkeit ist sicher ein Problem. Heute werden noch immer riesige Mengen an Plastikabfall nach Malaysia, in die Türkei oder in afrikanische Länder verschifft und dort unkontrolliert verbrannt. Der Export von Plastik darf nicht länger als Recycling durchgehen, wie es heute leider der Fall ist. Stattdessen investieren Firmen nach wie vor in eine Ausweitung der Plastikproduktion und kreieren Anreize, die Verwendung weiter anzutreiben. Damit sich das ändert, muss das komplette System verändert werden, angefangen bei den Produzenten der Kunststoffharze. Welche Farbstoffe und Zusätze verwendet werden, hat große Auswirkungen auf die Wiederverwertbarkeit. Wir müssen bei jedem Schritt in der Plastikerzeugung und -verwendung nachdenken, was wir besser machen können. 

Der Markt wird das nicht richten, deshalb brauchen wir auch ein Abkommen, das den Rahmen vorgibt.

Ist eine Reduktion der Produktion realistisch?

Norton: Länder wie Saudi-Arabien oder die USA, deren riesige Plastikindustrien auf günstigem Öl und Gas basieren, wollen das natürlich nicht. Aber vielleicht werden die Endkund:innen trotzdem wählerischer und fragen sich, ob ihre Gurken oder Brokkoli wirklich in Plastikfolie verpackt werden müssen. Pfandsysteme für Plastikgefäße wären eine Möglichkeit, das Bewußtsein zu stärken. Solche Maßnahmen können am Ende nur die Regierungen durchsetzen. Der Markt wird das nicht richten, deshalb brauchen wir auch ein Abkommen, das den Rahmen vorgibt.

Wann wird das Plastikabkommen fertig und wie hoch sind die Erwartungen?

Norton: Bei der nächsten Verhandlungsrunde im April soll eine Arbeitsgrundlage erstellt werden, auf deren Basis die weiteren Verhandlungen geführt werden. Noch in diesem Jahr soll dann ein erster Entwurf für das Abkommen präsentiert werden. Ich habe keine großen Hoffnungen, dass es eine Mehrheit für eine Verringerung der Plastikproduktion geben wird. Der Begriff “Wachstum” ist im politischen Denken so tief verankert, dass es kaum möglich ist, über vernünftige Grenzen zu sprechen. Aber wir können trotzdem versuchen, die Menge an Plastikmüll zu reduzieren. Einzelne Länder können sich aber natürlich auch verpflichten, mehr zu tun. Aber die Partikularinteressen der Petrostaaten begrenzen den Spielraum im allgemeinen Abkommen doch deutlich. Das Abkommen sollte so streng wie möglich sein. 

 

AUF EINEN BLICK 

EASAC Commentary on Plastics

Michael Norton schloss sein Chemie-Studium an der Bristol University ab und setzte seine wissenschaftliche Laufbahn an der University of Alberta fort. Als Berater für Wissenschaft und Technologie der britischen Botschaft in Tokio setzte er sich mit Umweltthemen auseinander und ist seit 2013 als Environment Programme Director für EASAC tätig.