27.12.2022 | Sonnenfinsternis

Sturz Kaiser Konstantins: Warum sich der Himmel über Byzanz verdunkelte

Massive Vulkanausbrüche, zugefrorener Bosporus und Polarlichter bis in die Türkei: Naturkatastrophen und Endzeitstimmung prägten die Lebenszeit von Kaiser Karl dem Großen. Bislang hat die Forschung manche Schilderung dieser Ereignisse als literarische Erfindung abgetan. Historiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien konnten nun deren historischen und naturwissenschaftlichen Gehalt ergründen.

Porträt von Kaiser Kontantin auf einer goldenen Münze
Kaiser Konstantin auf einer byzantinischen Goldmünze. © Wikimedia

Im Mittelalter hatte alles seine feste Ordnung. Jede Abweichung etwa in Form einer Naturkatastrophe wurde als Zeichen Gottes gelesen. „Wir sprechen von einer moralischen Meteorologie“, sagt Byzanzforscher Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): „Alles, was am Himmel geschah, konnte anzeigen, wie zufrieden oder unzufrieden die göttliche Macht mit dem moralischen Zustand der Regierenden oder der Gesellschaft als Ganzes war.“

Sonne verdunkelte sich 17 Tage lang

Wie also ist es zu verstehen, wenn historische Quellen davon berichten, dass der Sturz des oströmischen Kaisers Konstantin VI. im August 797, dem auch das Augenlicht geraubt wurde, von einer „Verdunkelung“ der Sonne begleitet wurde, die 17 Tage lang anhielt? Was ist metaphorisch, was konkret zu lesen? Die Forschung hat diese Schilderung bislang meist als literarische Erfindung oder als übertriebene Darstellung einer zeitnah zur Blendung stattgefundenen Sonnenfinsternis abgetan.

Diese Erklärung erschien Johannes Preiser-Kapeller von der ÖAW und Ewald Kislinger vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien nicht überzeugend. In einer fast zweijährigen Detektivarbeit untersuchten die beiden deshalb nicht nur alle verfügbaren Schriftzeugnisse für das späte 8. Jahrhundertvon Irland bis Syrien und vom Rheinland bis nach Süditalien nach Hinweisen, sondern auch neueste naturwissenschaftliche Befunde. Eisbohrkerne aus Grönland etwa geben genaue Auskunft, wann Vulkanausbrüche stattgefunden haben. Mehr als 1.000 Jahre alte Baumringe in Nordskandinavien und den Schweizer Alpen erzählen von Kälteeinbrüchen, weil in diesen Phasen die Bäume kaum gewachsen sind.

Naturkatastrophen und Endzeitstimmung

Fakt ist: Die Lebenszeit von Karl dem Großen, der am 25. Dezember 800 zum Kaiser gekrönt wurde, war auch geprägt von zahlreichen Naturkatastrophen, die bei manchen Zeitgenossen eine Endzeitstimmung bestärkten. Die politischen Umwälzungen dieser Jahre waren begleitet von massiven Sonnenstürmen, die für das Auftreten von Polarlichtern bis weit nach Süden im Gebiet der heutigen Südosttürkei sorgten. Es gab in diesen Jahrzehnten Feuersbrünste, Erdbeben und Seuchen bei Mensch und Vieh. Gewaltige Vulkanausbrüche trugen mehrfach zu Kalt-Anomalien bei, die zu Missernten und sogar zum Zufrieren des Bosporus rund um Konstantinopel (das heutige Istanbul) führten.

Die bei solchen Eruptionen in die Atmosphäre ausgestoßenen Ascheteilchen trübten manchmal für Wochen oder Monate das Sonnenlicht. Dies war vermutlich auch der physikalische Hintergrund für die beim Sturz des Kaisers Konstantins VI. 797 beschriebene Verdunkelung.

Die Welt steht nicht mehr lang

Karl der Große profitierte politisch von der durch spektakuläre Naturereignisse gesteigerten Endzeitstimmung, die nach einer Erneuerung des im Osten „verdunkelten“ Kaisertums durch einen „starken Mann“ zu verlangen schien. Zahlreiche Weltuntergangstheorien befeuerten dies. „So glaubte man etwa, dass die Weltordnung so lange bestehen bleibe, solange es das Römische Reich gebe“, so Preiser-Kapeller: „Andere Theorien nahmen direkt Bezug auf die Regierung von Irene, der Mutter von Kaiser Konstantin VI., die ihn vomThron stürzte. Demzufolge würde der Untergang Konstantinopels mit der Herrschaft einer Frau einhergehen. Es gab sowohl in Westeuropaals auch im byzantinischen Reich unterschiedliche Prophezeiungen.“

Dieses dynamische Wechselspiel zwischen politischen Umwälzungen, atmosphärischen und klimatischen Phänomenen und deren Deutung konnte von Preiser-Kapeller und Kislinger durch die disziplinenübergreifende Analyse der historischen und naturwissenschaftlichen Befunde ergründet werden. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Medial Worlds publiziert.

 

Auf einen Blick

Publikation:

„The sun was darkened for seventeen days (AD 797). An interdisciplinary exploration of celestial phenomena between Byzantium, Charlemagne, and a volcanic eruption“, Johannes Preiser-Kapeller und Ewald Kislinger, Medieval Worlds, 2022

DOI: 10.1553/medievalworlds_no17_2022s3 (open access)

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