02.12.2022 | Coronavirus

„Long Covid bleibt der Elefant im Raum“

Welche Anzeichen für ein baldiges Ende der Corona-Pandemie sprechen und warum Risikopatient:innen noch immer nicht durchatmen können, erklärt ÖAW-Immunologe Andreas Bergthaler.

Vulnerable Gruppen sollten besonders unterstützt werden. Sie sind am härtesten von der Pandemie betroffen. © Adobe Stock

Die Pandemie wie wir sie jetzt schon knapp drei Jahre kennen, könnte bald zu Ende gehen. Davon geht Andreas Bergthaler von der Medizinischen Universität Wien und dem CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aus. Dass nochmal eine neue Virusvariante daherkommt, will der Immunologe aber nicht ausschließen.
Im Interview erklärt er, inwiefern die Omikron-Variante einen Paradigmenwechsel eingeläutet hat, warum uns Long Covid noch lange beschäftigen wird und was wir aus dieser Pandemie für zukünftige Pandemien lernen können.

OMIKRON ALS GAMECHANGER?

Herr Bergthaler, in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte der Berliner Virologe Christian Drosten, dass die Lage für das Virus prekär sei und es sich evolutionär in der Sackgasse befände. Sehen Sie das ähnlich?

Andreas Bergthaler: Das Virus hat uns schon öfter überrascht, insofern bin ich mit Prognosen für die Zukunft zurückhaltend. Wenn wir das Mutationsgeschehen jedoch Revue passieren lassen, dann hat die Omikron-Variante, die sich ab Dezember 2021 ausbreitete, einen Paradigmenwechsel bewirkt: Nach immer neuen Varianten wie Alpha, Beta oder Delta ist uns Omikron geblieben – mit all seinen Subvarianten.

Das Virus hat uns schon öfter überrascht.

Haben die vielen Verästelungen von Omikron bewirkt, dass sich das Virus festgefahren hat?

Bergthaler: All die Subvarianten haben gemein, dass sie zusätzliche Mutationen, unter anderem in der Rezeptorbindungsstelle des Spikeproteins, angesammelt haben. Wenn dieselbe Mutation mehrmals unabhängig auftritt, spricht man von konvergierender Evolution. Das wiederum ist starke Evidenz dafür, dass das Virus einem relativ hohen Immundruck ausgesetzt ist. Jetzt versucht das Virus durch Mutationen an den Stellen, wo die Antikörper ansetzen, diesem Immundruck zu entkommen.
Es kann sein, dass wir uns weiterhin in diesem Universum an Omikron-Subvarianten bewegen werden. Oder es taucht wieder eine völlig neue Variante auf, was ich nicht ausschließen will.

Omikron ist nicht viel milder als Delta. Aber: Rund 97 Prozent der Bevölkerung hatte immunologisch Kontakt mit Virusantigen.

Omikron wird in der Öffentlichkeit als mildere Variante gesehen. Zu Recht?

Bergthaler: Omikron ist nicht aus sich heraus milder. Daten aus England zeigten, dass Omikron nur ein Stück weit milder ist als die Delta-Variante, die zu deutlich schwereren Verläufen geführt hat als die ursprüngliche Variante aus Wuhan. Aber: Mittlerweile hatten je nach Berechnungen 97 Prozent der Bevölkerung immunologisch Kontakt mit Virusantigen, entweder, weil Menschen geimpft, infiziert oder beides sind. Das führte zu einer breiten Immunität durch Antikörper und T-Zellen. Leider verhindert diese Immunität nicht, dass wir uns anstecken, aber sie trägt dazu bei, dass es bei gesunden Personen nur noch selten zu schweren Verläufen kommt.

VULNERABLE PERSONEN MIT HOHEM RISIKO

Das Risiko bleibt also für vulnerable Personen?

Bergthaler: Ein zentraler Aspekt scheint mir, dass die Pandemie per se noch nicht vorbei ist, insbesondere nicht für vulnerable Personen. Aus ethischer Sicht sollten wir darauf achten, wie wir Menschen, die zu Risikopatienten zählen, besser unterstützen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dazu zählt die Verfügbarkeit aktueller Impfstoffe und Medikamente, das solidarische Maske Tragen bei Veranstaltungen in Innenräumen oder auch ein verbessertes Raumklima mit sauberer Luft. Insgesamt ist bei alledem gar nicht so einfach, die Gruppe der vulnerablen Personen genau zu definieren.

Wir sollten darauf achten, wie wir Menschen, die zu Risikopatienten zählen, besser unterstützen.

Auch bei Long Covid ist noch vieles nicht definiert.

Bergthaler: Ja, Long Covid bleibt der Elefant im Raum. Nach wie vor ist die Erkenntnislage dazu unzureichend und die molekularen Ursachen und die Bandbreite von chronischen Folgeerscheinungen schwer festzumachen. Manche Berechnungen gehen davon aus, dass bis zu zehn Prozent aller Infizierten länger anhaltende Symptome haben und sich das sogar unter Umständen verschlimmert, wenn man ein weiteres Mal angesteckt wird.

SAISONALE EFFEKTE, WENIGER TESTS

Wie beurteilen Sie die derzeitige epidemiologische Lage?

Bergthaler: Die saisonalen Effekte bewirken, dass die Infektionszahlen wieder ansteigen werden. Hinzu kommt, dass wir mittlerweile ein deutlich ungenaueres Instrumentarium haben, um einzelne Infektionszahlen zu erheben – es wird viel weniger getestet. Vermehrt versucht man sich mit der Viruslast im Abwasser zu behelfen. Insgesamt erwarte ich, dass neue Virus-Subvarianten immer wieder ein Stück weit besser unserer Antikörper-Antwort entkommen und damit neue Infektionswellen antreiben.

Endemie heißt nicht automatisch, dass alles gut ist.

Sehen Sie dennoch erste Zeichen für den Übergang von der Pandemie zur Endemie?

Bergthaler: Das ist eine Definitionssache. Unter Pandemie werden meist überregionale Ereignisse von Infektionserregern verstanden, die weltweit alle Regionen betreffen. Endemie hingegen meint, dass nur eine bestimmte Gegend betroffen ist. Ein Beispiel dazu wäre Malaria, eine Infektionskrankheit, die pro Jahr mehr als eine halbe Million Tote verursacht. Endemie heißt also nicht automatisch, dass alles gut ist.

Entscheidend ist, dass wir nicht mehr kurzfristigen Wellen von potentiell systemkritischem Ausmaß ausgesetzt sind, wie es in den vergangenen zweieinhalb Jahren der Fall war. Wenn dieser positive Trend anhält, gehe ich davon aus, dass die Pandemie, so wie wir sie kennengelernt haben, zu Ende ist. Es bleibt dann mehr eine formale Sache, wann die WHO die Pandemie zu einer Endemie bzw. Epidemie herunterstuft.

KEIN LAND WAR AUF PANDEMIE GUT VORBEREITET

Was können wir aus dieser Pandemie für zukünftige Pandemien lernen?

Bergthaler: Weltweit haben wir gesehen, dass kein Land wirklich gut darauf vorbereitet war, auch wenn überall Pandemiepläne in den Schubladen lagen. Was international äußerst gut funktionierte, war die rasche Entwicklung von Impfstoffen. Durch die Impfung konnte in einer Bevölkerung, die diesem neuen Erreger noch nie begegnet war, eine breite Immunität aufgebaut werden, wodurch schwere Verläufe und unzählige Menschenleben gerettet wurden.

Was international äußerst gut funktionierte, war die rasche Entwicklung von Impfstoffen.

Und in Österreich?

Bergthaler: Bei den Kontroversen und Polarisierungen danach ist leider einiges schiefgelaufen. Wenn etwas in Österreich vermeidbar gewesen wäre, dann die unsägliche Diskussion um die Impfpflicht. Das wurde von Anfang bis Ende sehr politisiert und hat leider mehr Geschirr zerschlagen als es gebracht hat.

Kritische retrospektive Analysen wären notwendig. Dafür braucht es die entsprechenden Daten, die dann wissenschaftlich verschränkt und analysiert werden. Da gibt es auch noch viel Luft nach oben, wenngleich im letzten Jahr einige Fortschritte erzielt wurden. Zu hoffen ist, dass wir möglichst viele Lehren ziehen, um für zukünftige Krisen ähnlichen Ausmaßes besser aufgestellt zu sein.

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Bergthaler ist Forschungsgruppenleiter am CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Professor für Molekulare Immunologie an der MedUni Wien. Er studierte an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Forschungsarbeit im Bereich von Virologie und Immunologie führte ihn u.a. an die ETH Zürich, die Universität Genf und das Institute for Systems Biology in Seattle.