25.10.2016

Neuartige Einblicke in das Immunsystem

Ein neu entdeckter Gendefekt hat die Erforschung eines Schlüsselmoleküls in der Entwicklung von Immunzellen ermöglicht. Darüber berichtet ein internationales Team von Forscher/innen mit ÖAW-Beteiligung nun in der Fachzeitschrift „Nature Immunology“.

Künstlerische Darstellung des retrograden Vesikeltransports Richtung Immunsynapse, ein RASGRP1 abhängiger Prozess. © CeMM/Tatjana Hirschmugl
Künstlerische Darstellung des retrograden Vesikeltransports Richtung Immunsynapse, ein RASGRP1 abhängiger Prozess. © CeMM/Tatjana Hirschmugl

Ein zwölfjähriger Patient war der Ausgangspunkt der Studie: Das Kind hatte seit seiner Geburt mit lebensbedrohlichen Infektionen der Atemwege zu kämpfen. Immunologische Untersuchungen ergaben eine gestörte Zusammensetzung der weißen Blutkörperchen, der Lymphozyten – dadurch war das Immunsystem des Patienten zu schwach, um sich effektiv gegen eindringende Krankheitserreger zur Wehr zu setzen. Drei seiner sechs Geschwister starben an vermutlich ähnlichen Komplikationen noch vor ihrem dritten Lebensjahr. Vier schwerkranke Kinder innerhalb der gleichen Familie sprachen für einen genetischen Ursprung ihres Leidens.

Seltene Erkrankungen im Fokus

Fällen wie diesem widmet sich das neu gegründete Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases in Wien, das von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft zusammen mit dem CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Medizinischen Universität Wien und der St. Anna Kinderkrebsforschung gegründet wurde, und im April 2016 seine Arbeit aufnahm.

„Die Untersuchungen, bei denen wir das Genom des Patienten analysierten, bestätigten unseren Verdacht einer genetisch verursachten Krankheit“ erläutert Elisabeth Salzer, Postdoktorandin am CeMM der ÖAW und Erstautorin der Studie, die im Fachjournal „Nature Immunology“ erschienen ist. Durch sogenanntes „homozygosity mapping“ – eine genetische Methode, mit der krankheitsverursachende Mutationen aufgespürt werden können – stießen die Forscher/innen auf einen Fehler in dem Gen, dessen Produkt RASGRP1 ein Schlüsselprotein für die Entwicklung von Lymphozyten darstellt. Bei den gesunden Eltern, sowie den drei gesunden Geschwistern, lag jeweils nur eine Kopie der Mutation im Genom vor – der erkrankte Junge hatte jedoch zwei defekte Kopien von seinen Eltern geerbt.

Welche Bedeutung RASGRP1 für das Immunsystem hat, war zuvor nur zum Teil untersucht worden. Die genaue Rolle des Proteins im Menschen war unbekannt, und bisher wurde noch keine Mutation beschrieben, die es funktionsuntüchtig macht. In dem nun vorliegendem Fall zeigte sich, dass das Fehlen von RASGRP1 nicht nur die Funktion von T-Lymphozyten stört, sondern auch, dass RASGRP1 eine bislang unbekannte Rolle für das Zytoskelett in Natürlichen Killer-Zellen (NK-Zellen) spielt. Durch eine Reihe von weiteren Experimenten gelang es den Forscher/innen, die defekten molekularen Schaltkreise genauer zu analysieren.

Grundlagenforschung ebnet Wege zur Präzisionsmedizin

Schließlich fanden die Wissenschaftler/innen mit Lenalidomid einen zugelassenen Arzneistoff, der für die Therapie der neu entdeckten RASGRP1-Defizienz in Frage kommt. Die nun veröffentlichte Studie ist für die betroffenen Patient/innen von Bedeutung erweitert aber auch die Grundlagenforschung zu seltenen Erkrankungen, wie Studienleiter Kaan Boztug erklärt: „Der Prozess von der Entdeckung eines Gendefekts als Ursache einer seltenen Erkrankung über die Erforschung des krankheitsverursachenden Mechanismus‘ bis hin zur Entwicklung einer personalisierten Therapie kommt nicht nur dem jeweiligen Patienten zugute. Praktisch immer – so auch in diesem Fall – gewinnen wir dadurch grundlegende neue Erkenntnisse über den menschlichen Organismus, die neue Wege für die Präzisionsmedizin ebnen.“

 

Publikation:
„RASGRP1

deficiency causes immunodeficiency with impaired cytoskeletal dynamics

responsive to lenalidomide”. Elisabeth Salzer et al. Nature Immunology

2016

DOI: 10.1038/ni.3575 

Förderung:
Die

Studie wurde vom Europäischem Forschungsrat (ERC), dem Wiener

Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF), Celgene Austria, den

National Institutes of Health (NIH), dem Boehringer Ingelheim Fonds,

sowie dem Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW