GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Ludwig Josef Georg Bieler


geb. am 20. Oktober 1906 in Wien, gest. am 2. Mai 1981 in Dublin (Irland)

Ludwig Josef Georg Bieler war von 1930 bis 1938 als Assistent an der Kirchenväterkommission der Akademie der Wissenschaften in Wien beschäftigt. Nach dem „Anschluss“ verließ er Österreich aus politischen Gründen und emigrierte nach Großbritannien und Irland.

Bieler wurde als ältester Sohn des Volksschuldirektors Ludwig Philipp Bieler (1859–1932) und seiner Frau Antonia, geb. Bäder, in Wien geboren. Er studierte Klassische Philologie an der Universität Wien und promovierte 1929 mit seiner Dissertation über „De vita S. Sansonis a Baldrico enarrata questiones tres“. Es folgten Studienaufenthalte in Tübingen und München, die von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft finanziert wurden. Im November 1930 begann der Philologe am „Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum“ als Hilfskraft von Edmund Hauler an der Kirchenväterkommission der Akademie der Wissenschaften in Wien zu arbeiten. Parallel arbeitete Bieler an der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, wo er 1934 angestellt wurde, 1935 die Bibliothekarsprüfung absolvierte und schließlich Anfang 1938 die Stellung eines Staatsbibliothekars II. Klasse erreichte. Bieler, der seit 1932 Lehraufträge an der Universität Wien hatte, habilitierte sich 1936 und lehrte als Privatdozent für Klassische Philologie an der Philosophischen Fakultät.

Ludwig Bieler verließ Wien aus politischen Gründen in den Tagen des „Anschlusses“. Er bezeichnete sich selbst „as a true follower of the Austrian government, and a strong enemy of the National socialist“. In Florenz kam er bei Verwandten des 1933 aus NS-Deutschland nach Österreich geflüchteten katholischen Philosophen Dietrich von Hildebrand (1889–1977) unter, bevor er Ende des Monats nach Fribourg in die Schweiz und im Dezember 1938 nach Frankreich weiterreiste. Sein Ansuchen um einen sechsmonatigen Karenzurlaub wurde unter dem neuen Generaldirektor der Nationalbibliothek, dem SS-Sturmbannführer Paul Heigl (1887–1945), nicht genehmigt, im Gegenteil, er wurde „wegen eigenmächtiger Entfernung vom Dienste ab 14. März 1938“ entlassen. Am 3. Februar 1939 wurde ihm an der Universität Wien die Lehrbefugnis entzogen. Durch seine spätere Frau Eva Clara Uffenheimer (geb. 1913 in München), die eine Anstellung an der Schule für geistig behinderte Kinder in Arundel in England gefunden hatte, erhielt Bieler Anfang 1939 ein mehrwöchiges Besuchervisum für Großbritannien.

Mit einem einjährigen Vertrag an der National University of Ireland, den er über das Warburg-Institut in London erhalten hatte, verbrachte er 1940 jeweils ein Trimester am University College Dublin, am University College Cork und am University College Galway. Bis 1946 arbeitete er schließlich als Visiting Lecturer in Palaeography und Early Medieval Latin am University College Dublin. 1947 wurde er auch Archivar der National Library of Ireland. Ende 1948 trat er am University College Dublin eine Stelle als Assistent an, ab 1951 als College Lecturer für Paläographie. 1960 erhielt Bieler, der zahlreiche berufliche Auslandsaufenthalte absolviert hatte – unter anderem 1947/48 als Assistant Professor of Classics an der University of Notre Dame in Indiana (USA) –, die für ihn geschaffene Stelle eines Professor of Palaeography and Late Latin am University College Dublin. 1946 wurde Ludwig und Eva Bieler die irische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Bieler bemühte sich nach 1945 vergeblich um eine Rückkehr an die Österreichische Nationalbibliothek. Auch Bemühungen um eine Stelle an der Karl Franzens-Universität in Graz blieben erfolglos. Nach langer Krankheit verstarb er 1981 in Dublin.

Ludwig Bieler wurde 1947 zum Mitglied der Royal Irish Academy ernannt, er wirkte von 1958 bis 1960 und von 1965 bis 1968 in deren Council. Er wurde 1954 Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton, 1963 korrespondierendes Mitglied der Medieval Academy of America und 1974 der Royal Dublin Society. 1964 wählte ihn die Österreichische Akademie der Wissenschaften zum korrespondierenden Mitglied im Ausland. 1971 ernannte ihn die British Academy for the Humanities and Social Sciences zum korrespondierenden Mitglied. Ludwig Bieler wurden drei Ehrendoktorate verliehen: 1970 von der Universität Dublin, 1972 von der Universität München und 1975 von der Universität Glasgow.


Schriften (Auswahl)


  • Ludwig Bieler, De vita S. Sansonis a Baldrico enarrata questiones tres, Dissertation, Universität Wien, o. D. [1929].
  • Ders., Theios anēr. Das Bild des „göttlichen Menschen“ in Spätantike und Frühchristentum, 2 Bde., Wien 1935–1936, ND Darmstadt 1976.
  • Ders., Libri Epistularum sancti Patricii episcopi, 2 Bde., Dublin 1952.
  • Ders., The Works of St. Patrick. Hymn on St. Patrick, Westminster 1953.
  • Ders., Geschichte der römischen Literatur, 2 Bde. (= Sammlung Göschen 52 und 866), Berlin 1961, 21965, (= Sammlung Göschen 4052 und 4053) 31972 (= Sammlung Göschen 2215) 41980 (Übers. ins Griechische 1965, Englische 1966 und Spanische 1968).
  • Ders., The Irish penitentials, Dublin 1963.
  • Ders. – John Joseph O’Meara – Bernd Naumann, Latin script and letters A.D. 400–900: Festschrift presented to Ludwig Bieler on the Occasion of his 70th Birthday, Leiden 1976.


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, PA Ludwig Bieler.
    • Archiv der Universität Wien, Phil. Rig. Akt 10256, PA Ludwig Bieler, Senat S. 304, Sign./Inv. 73; Phil. Fak. 659–1937/38–20.
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 292/3).
    • Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse, Anzeiger, (1932, 1933, 1934).
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 105.
    • Herbert H. Egglmaier, Carl Koch (1940/43–1945), in: Walter Höflechner (Hg.), Beiträge und Materialien zur Geschichte der Wissenschaften in Österreich. Klassische Philologie in Graz – Habilitationen an der Grazer Philosophischen Fakultät, Einrichtung der Germanistik-Lehrkanzeln – Briefe Adlers an Meinong. Zur Grazer Studentengeschichte (= Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz 11), Graz 1981, 240–249, hier: 243–244, 246.
    • Kay Ehling, Bieler, Ludwig (1906–1981), in: Traugott Bautz (Hg.), Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL) 36, Herzberg [u.a.] 2015.
    • Murray G. Hall – Christina Köstner, … allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien–Köln–Weimar 2006, 265, 374–375, 511.
    • Rudolf Hanslik, Ludwig Bieler, in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 131 (1981), 369–372.
    • Hermann Rasche, Ludwig Bieler, in: Gisela Holfter (Hg.), German Speaking Exiles in Ireland 1933–1945 (= German Monitor 63), Amsterdam–New York 2006, 171–182.
    • Franz Römer – Sonja Schreiner, Dis-kontinuitäten. Die Klassische Philologie im Nationalsozialismus, in: Mitchell G. Ash – Wolfram Nieß – Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen 2010, 322, 334–335.
    • Franz Römer – Hans Schwabl, Klassische Philologie, in: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften 5: Sprache, Literatur und Kunst, Wien 2003, 67–113, hier: 99–100.
    • Ernst Trenkler, Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, Zweiter Teil: Die Nationalbibliothek (1923–1967), hg. von Josef Stummvoll (= Museion N.F. Reihe 2: Allgemeine Veröffentlichungen 3), Wien 1973, 22–23, 48, 57, 94, 103, 118–119, 122.
    • Zentralblatt für Bibliothekswesen, Leipzig (51) 1934, (52) 1935, (53) 1936.


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