GEDENKBUCH

für die Opfer des Nationalsozialismus
an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Fassade und Siegel der Akademie der Wissenschaften. Bild: ÖNB-Bildarchiv, Sign. L 32.608-C bzw. Siegelsammlung des Archivs der ÖAW

Hermann Franz Mark, kMI 1934, wM 1935, kMA 1945, EM 1970


geb. am 3. Mai 1895 in Wien, gest. am 6. April 1992 in Austin (TX, USA)

Hermann Franz (Herman Francis) Mark wurde 1934 zum korrespondierenden Mitglied im Inland (kMI) und 1935 zum wirklichen Mitglied (wM) der Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt. Nach dem „Anschluss“ wurde er aus rassistischen Gründen verfolgt und 1940 aus der Akademie ausgeschlossen. Der Pionier der Polymerchemie emigrierte 1938 nach Kanada, anschließend in die USA. 1945 wurde seine Akademiemitgliedschaft reaktiviert.

Mark wurde als Sohn des Arztes Hermann Karl Mark und seiner Frau Lilly, geb. Müller, in Wien geboren. Er beendete seinen Kriegsdienst 1918 als einer der meist dekorierten jungen Offiziere der k.u.k. Armee und setzte sein Studium der Chemie an der Universität Wien fort. Hermann Mark promovierte im Jahr 1921 mit seiner Dissertation „Das Pentaphenylethyl und über eine neue Darstellungsmethode von katalytisch wirksamem Nickel“. Unmittelbar danach ging er als Assistent von Wilhelm Schlenk (1879–1943) an das Institut für Organische Chemie der Universität Berlin. Im Jahr 1922 wurde er Forscher am neu begründeten Kaiser-Wilhelm-Institut für Faserstoffchemie in Berlin-Dahlem, geleitet von Reginald Oliver Herzog (1878–1935). 1924 wurde Mark Abteilungsvorstand. 1926 wurde er von Kurt H. Meyer (1883–1952) – dem Sohn des Pharmakologen Hans Horst Meyer –, der Direktor des Werks Ludwigshafen der I.G. Farbenindustrie AG war, eingeladen, im Hauptlaboratorium zu arbeiten, wo er zum Vizedirektor der Forschung ernannt wurde.

In seiner Arbeit beschäftigte sich der Chemiker insbesondere mit der Analyse von Kristall- und Molekularstrukturen natürlicher Polymere zur verbesserten Anwendung in technischen Bereichen. Mark, ao. Professor für physikalische Chemie an der Universität Karlsruhe, wurde im Jahr 1932 als Leiter des I. Instituts für Physikalische Chemie an die Universität Wien berufen als Nachfolger Rudolf Wegscheiders (1859–1935). In den folgenden Jahren baute er das Institut zu einer international renommierten Einrichtung auf. Gemeinsam mit dem Physiker Eugen Guth (1905–1990) entwickelte Mark die statistische Theorie der Kautschukelastizität. Zu seinen weiteren Schülern und Mitarbeitern zählten unter anderem der spätere Nobelpreisträger Max Perutz (1914–2002). Mark hatte bis 1938 einen Beratervertrag mit der I.G. Farbenindustrie AG.

Hermann Franz Mark wurde durch Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 22. April 1938 an der Universität Wien entlassen, nach seiner Ausbürgerung wurde ihm das Doktorat am 7. November 1944 aberkannt. Im Mai 1938 emigrierte Mark mit seiner Frau Maria, geb. Schramek, und den beiden Kindern, Hans (geb. 1929) und Peter (geb. 1931) über die Schweiz, Frankreich und Großbritannien nach Kanada, wo er eine Stelle als Forschungsleiter der Canadian International Paper Company (CIP) in Hawkesbury, Ontario fand. 1940 wurde der Chemiker an das Polytechnic Institute of Brooklyn, New York, berufen, wo er 1942 zum o. Professor für organische Chemie, 1961 zum Dean of the Faculty of the Polytechnic Institute of Brooklyn ernannt wurde. 1944 begründete er hier das Polymer Research Institute, dessen Direktor er bis 1964 blieb. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Institut zum „Weltzentrum für Lehre und Forschung im Bereich der Polymerwissenschaften“. Gemeinsam mit Maurits Dekker und Erich S. Proskauer begründete er im Jahr 1946 das „Journal of Polymer Science“, die bedeutendste Fachzeitschriften der Kunststoffforschung. Mark emeritierte im Jahr 1965.

Von der Akademie der Wissenschaften in Wien wurde er im Jahr 1934 zum korrespondierenden Mitglied, 1935 zum wirklichen Mitglied gewählt. Im Almanach der Akademie der Wissenschaften in Wien für das Jahr 1939 wird Mark noch als wirkliches Mitglied geführt. Im Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 3. Oktober 1940 wurde der Akademie der Wissenschaften mitgeteilt, dass Hermann Franz Mark und weitere sechs namentlich genannte Mitglieder – Walther Brecht, Franz Boas, Karl Bühler, Viktor Franz Hess, Alfred Hettner, Erwin Schrödinger – auszuscheiden seien.

Im Jahr 1955 kehrte er als Gastprofessor für physikalische Chemie der Hochpolymere für ein Semester an die Universität Wien zurück. Im selben Jahr wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Universität verliehen. Sein Doktorat war ihm am 15. Mai 1955 wieder zuerkannt worden. Hermann Franz Mark verstarb im April 1992 in Austin (TX).

Nachdem die Akademie der Wissenschaften in Wien in ihrer ersten Sitzung nach Kriegsende am 18. Mai 1945 die „Rückberufung der wirklichen und korrespondierenden Mitglieder, die im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen des Jahres 1938 ausgetreten sind“, beschlossen hatte, kehrte Mark als korrespondierendes Mitglied im Ausland (kMA) in die Akademie zurück. 1970 wurde er zum Ehrenmitglied der math.-nat. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt.

Hermann Franz Mark spielte eine führende Rolle in der Begründung der Polymerforschung und der Polymertechnologie. Er war Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, unter anderem der Chemical Society Madrid (1936), Verein Österreichischer Chemiker (1949), Weizmann Institute of Science (1953), des Plastics Institute of America (1965), der Society of Polymer Science, Japan (1972). Mark war Träger von zahlreichen Ehrendoktoraten, unter anderem der Universität Liege (1950), der Freien Universität Berlin (1954), der Technischen Universität München (1960), der Karl Franzens-Universität Graz (1964), der Technischen Hochschule in Wien (1965), der Karls-Universität Prag (1965) und des Technion – Israel Institut of Technology (1975) und der Universität Wien (1980), die ihm schon 1955 die Ehrenbürgerschaft verliehen hatte. Zudem war Hermann Franz Mark Mitglied zahlreicher Akademien der Wissenschaften, unter anderem der National Academy of Sciences (1961) und auswärtiges Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften (1966). 1958 war Mark für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Im Jahr 1985 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen mit Stern für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

 


Schriften (Auswahl)


  • Hermann Franz Mark, Die Verwendung der Röntgenstrahlen in Chemie und Technik. Ein Hilfsbuch für Chemiker und Ingenieure (= Handbuch der angewandten physikalischen Chemie in Einzeldarstellungen 14), Leipzig 1926.
  • Kurt H. Meyer – ders., Der Aufbau der hochpolymeren organischen Naturstoffe auf Grund molkular-morphologischer Betrachtungen, Leipzig 1930.
  • Ders. – Raimund Wierl, Die experimentellen und theoretischen Grundlagen der Elektronenbeugung, Berlin 1931.
  • Ders., Das schwere Wasser, Leipzig, Wien 1934.
  • Ders., Die Chemie als Wegbereiterin des Fortschrittes, Wien 1938.
  • Ders., Riesenmoleküle, Amsterdam 1967.

 


Quellen und Literatur (Auswahl)


    • Archiv der ÖAW, Personalakt.
    • Archiv der ÖAW, Protokoll der Gesamtsitzung am 25. Oktober 1940 (A957).
    • Archiv der ÖAW, Protokoll der Gesamtsitzung am 18. Mai 1945 (A994).
    • Archiv der Society for the Protection of Science and Learning, Bodleian Library, University of Oxford (File 219/9).
    • Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Institut für Zeitgeschichte, München, und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, Bd. 2: The Arts, Sciences, and Literature, München [u.a.] 1983, 780–781.
    • Ute Deichmann, Flüchten, Mitmachen, Vergessen. Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit, Weinheim 2001.
    • Johannes Feichtinger, Die Wiener Schule der Hochpolymerforschung in England und Amerika. Emigration, Wissenschaftswandel und Innovation, Wien 2017.
    • Johannes Feichtinger, Hermann Mark (1895–1992). Viennese born ‘Ambassador’ of Macromolecular Research, in: José Ramón Bertomeu-Sánchez, Duncan Thorburn Burns, Brigitte Van Tiggelen (eds.), Neighbors and Territories. The Evolving Identity of Chemistry. Proceedings of the 6th International Conference of the History of Chemistry, Louvain 2008, 219–229.
    • Herbert Matis, Ausschluss von Mitgliedern, in: Johannes Feichtinger – Herbert Matis – Stefan Sienell – Heidemarie Uhl (Hg.), Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945. Katalog zur Ausstellung, Wien 2013, 55–62.
    • Wolfgang L. Reiter, Das Jahr 1938 und seine Folgen für die Naturwissenschaften an Österreichs Universitäten, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (= Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung 2), Münster 22004, 664–680, hier: 667.
    • Robert Rosner und Rudolf Werner Soukup, Die chemischen Institute der Universität Wien, in: Karl Anton Fröschl – Gerd B. Müller – Thomas Olechowski – Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 4), Göttingen 2015, 211–224, hier: 217, 221.
    • Wolfgang Saxon, Hermann Francis Mark Obituary, in: New York Times, 10.4.1922.
    • Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien 2015, 213, 216.
    • Otto Vogl, E.M. Hermann Mark, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften. Almanach f. d. J. 1992/93, 143. Jg., Wien 1993, 349–356.

     


    Datenbanken (Auswahl)


    Person suchen