Der Zeitungsmarkt in der Habsburgermonarchie 1848-1918

Ausdifferenzierungsprozesse, Professionalisierung und Kommerzialisierung kennzeichnen die Zeitungsentwicklung in der Habsburgermonarchie. Der Nationalökonom Karl Bücher hatte schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass die Trennung von publizistischen und ökonomischen Funktionen eng mit dem geänderten Funktionsverständnis der Presse im Zuge des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" zusammenhängt: Indem die Zeitungen "aus bloßen Nachrichtenpublikationsanstalten auch Träger und Leiter der öffentlichen Meinung" wurden, hatte dies "für die innere Organisation der Zeitungsunternehmung die Folge, dass sich zwischen die Nachrichtensammlung und die Nachrichtenpublikation ein neues Glied einschob: die Redaktion". Für die Zeitungsverleger bedeutete dies, dass sie vom "Verkäufer neuer Nachrichten zu einem Händler mit öffentlicher Meinung" wurden. Während die einen mit der Zeitung "Anzeigenraum als Ware" produzierten, "die durch einen redaktionellen Teil absetzbar wird", übertrugen die anderen "das Risiko seiner Unternehmung zum Teil auf eine Parteiorganisation, eine Interessentengruppe, eine Regierung".

Die zukunftsweisende Entwicklung des Zeitungsmarkts in der Habsburgermonarchie setzte mit der Orientierung am Informationsbedürfnis der wachsenden Stadtbevölkerung ein. Sie vollzog sich - unter Berücksichtigung regionaler Time-Lags - in zwei Phasen: Begünstigt durch die restriktiven presserechtlichen Bestimmungen für politische Zeitungen, entstanden am Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den städtischen Handelszentren die ersten auflagenstarken, auf den lokalen Informationsbedarf der neuen urbanen bürgerlichen Eliten zugeschnittenen Zeitungen, die die massenmedial vermittelte Information durch Vertrieb, Form und Inhalt besser verfügbar machten. In der um die Jahrhundertwende einsetzenden zweiten Phase gelang es der - aufgrund ökonomischer, rechtlicher, technischer und infrastrukturellen Entwicklungen möglich gewordenen - Massenzeitung, das mit der expandierenden und sozialstrukturell sich verändernden Stadtbevölkerung entstandene enorme Leser- und Käuferpotential zu nutzen, also - über die bisherigen bürgerlichen Kernschichten hinaus - die Arbeiterschaft und das Kleinbürgertum in das Zeitungspublikum zu integrieren.

In einer dazwischen liegenden Phase hatte die in den 1860er Jahren mit dem Liberalismus einsetzende schrittweise Demokratisierung und Parlamentarisierung des öffentlichen Lebens die Funktion der Zeitung begründet, für politische Belange Öffentlichkeit herzustellen. Dabei trug die funktionale Nähe der Presse zu den ebenfalls im Demokratisierungsprozess sich ausbildenden politischen Parteien - beide erfüllen Vermittlungsfunktionen zwischen politischem System und Bürgern - zur Entstehung enger Beziehungen bei, die bis zu organisatorischer Identität reichen konnten. Die Identität mit einer Partei, wie sie im konservativen, nationalen und sozialdemokratischen Bereich, seltener jedoch in einem liberalen Umfeld zu beobachten ist und aus Sicht der Presse einen Verlust an Autonomie bedeutet, wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu einem bestimmenden Faktor der politischen Presse. Damit ging zwar kein signifikanter Anstieg der Gesamtauflage und nur ansatzweise eine Ausweitung der sozialen Streuung der Leserschaft einher, wohl aber kam es zur Verankerung der Tageszeitung als dem Medium der öffentlichen politischen Kommunikation und zu einer schrittweisen Inklusion der verschiedenen Sprachgruppen in das Zeitungspublikum. Eine deutliche Reduktion der Vormachtstellung einzelner Sprachen auf dem Zeitungsmarkt und ein Aufholprozess von Kronländern mit eher geringer Zeitungs- und Leserdichte wurde jedoch erst nach der Jahrhundertwende durch die Massenpresse ermöglicht.

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