Die COVID-19 Pandemie begründet ernste gesundheitliche, soziale und ökonomische Herausforderungen, von denen einige unmittelbar mit demographischen Faktoren zusammenhängen. Während das ursprüngliche Bestreben darauf ausgerichtet war, die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen und die unmittelbaren Auswirkungen abzumildern, werden langfristig signifikante Konsequenzen erwartet, die mit der Demographie in Zusammenhang stehen. Forscher*innen am Institut für Demographie beleuchten die COVID-19 Pandemie und ihre Folgen aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven.
Um verlässliche Aussagen über den Verlauf der Covid-19-Pandemie machen zu können, müssen insbesondere die Infektionen bestimmt werden, die trotz Impfung auftreten. Vanessa Di Lego, Miguel Sánchez-Romero und Alexia Prskawetz haben im Rahmen eines mathematischen Modells gezeigt, wie wichtig eine umfassende Covid-19 Teststrategie ist, um die Wirkung der Covid-19-Impfung, die tatsächlich Todesfälle verhindert, bestimmen zu können. Die Rate der Todesfälle wird zwar von der Wirksamkeit der Impfung bei der Verhinderung von Todesfällen beeinflusst, sie hängt aber auch von der Wahrscheinlichkeit ab, Infektionen von geimpften Personen zu entdecken. Daher ist es notwendig, möglichst alle Infektionen von ungeimpften sowie geimpften Personen zu erfassen. Andernfalls könnte z.B. eine sinkende Fallsterblichkeitsrate (“Case Fatality Rate”), also die Anzahl der Verstorbenen unter den an COVID-19 erkrankten Menschen, einerseits auf eine wirksame Impfung zurückzuführen sein, andererseits aber auch bedeuten, dass nicht alle Infektionen, die trotz Impfung aufgetreten sind, entdeckt werden und somit auch nicht in die Berechnung einfließen können.
Nicht alle Altersgruppen sind gleichermaßen von der Pandemie betroffen. Miguel Sánchez-Romero erstellt ein dynamisches, sich überschneidendes Generationenmodell mit realistischer Demografie, Humankapital und NTAs um generationenübergreifende Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu erfassen.
Dabei wird die COVID-19-Krise durch zwei unerwartete und vorübergehende negative Schocks modelliert: einen wirtschaftlichen Schock, welcher das Arbeitseinkommen verringert und einen demografischen Schock, welcher die Sterblichkeit der Infizierten erhöht. Das Modell wird auf 12 Länder angewandt, für die vollständige NTA-Daten verfügbar sind.
Die Ergebnisse werden anhand von zwei extremen Finanzpolitiken dargestellt: In einem Fall entschädigt der Staat die Arbeitnehmer in der Höhe von 0 % (ohne steuerliche Unterstützung) ihrer gesamten pandemiebedingten Arbeitseinkommenverluste, im anderen Fall entschädigt der Staat die Arbeitnehmer in Höhe von 100 % (mit steuerlicher Unterstützung) dieser Verluste. Darüber hinaus werden die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Staatsverschuldung analysiert.
Die Ergebnisse zeigen, dass COVID-19 die finanzielle Situation der 25- bis 64-Jährigen und deren Kindern stärker beeinträchtigt als die von älteren Menschen. Da die Arbeitnehmer für ihre Einkommensverluste entschädigt werden, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie gleichmäßiger über die verschiedenen Altersgruppen verteilt, wobei die Belastung für Menschen im Alter von null bis 64 Jahren geringer und die Belastung für Menschen ab 65 Jahren höher ist.
Darüber hinaus zeigen die Simulationsergebnisse, dass ein Rückgang des Arbeitseinkommens um 1 % zu einem durchschnittlichen Anstieg der Verschuldung im Verhältnis zum gesamten Arbeitseinkommen zwischen 1,2 % (ohne Fiskalpolitik) und 1,6 % (mit Fiskalpolitik) führt.
Die COVID-19 Pandemie hat im Jahr 2020 eine Zunahme der Sterblichkeit ausgelöst, was wiederum in den meisten Ländern der Welt zu einem Rückgang der Lebenserwartung geführt hat. In Deutschland war die Abnahme in der Lebenserwartung bei Geburt mit -0,20 Jahren zwischen 2019 und 2020 vergleichsweise gering. Männer in Ostdeutschland haben den stärksten Rückgang der Lebenserwartung bei Geburt erfahren (-0.41 Jahre), während dieser für Männer in Westdeutschland weniger ausgeprägt war (-0.19 Jahre). Auch bei den Frauen hat sich die Lebenserwartung bei Geburt stärker in Ost- (-0.25 Jahre) als in Westdeutschland reduziert (-0.10 Jahre). Demzufolge haben die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen Frauen und Männern im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Die Lebenserwartung im Alter 65 hat sich bei beiden Geschlechtern und in allen Regionen stärker verringert als die Lebenserwartung bei Geburt, was die Tatsache widerspiegelt, dass hauptsächlich höhere Altersgruppen von der Zunahme der Sterblichkeit im Jahr 2020 betroffen waren. Mithilfe von Altersdekomposition und einer Analyse der Ungleichheit in der Lebensdauer liefert die Studie weitere Einblicke in die Veränderungen der Mortalität in 2020. Alle Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerung in Ostdeutschland bezüglich der Sterblichkeit stärker von der COVID-19 Pandemie betroffen war als die Bevölkerung in Westdeutschland.
In der Vergangenheit haben unsichere Zeiten dazu geführt, dass geplante Familiengründungen aufgeschoben bzw. aufgegeben wurden. Daher wäre es naheliegend, dass auch die COVID-19 Pandemie, welche zu großen Einschnitten in unser aller Leben geführt hat, zu einem beträchtlichen Rückgang in der Anzahl der Geburten sowie Fertilitätsraten in hoch entwickelten Ländern, von denen bereits viele vor dem Ausbruch von COVID-19 sehr niedrige und sinkende Fertilitätsraten erfahren haben, führt. Im Rahmen dieses Projekts werden wir kurz- sowie längerfristige Konsequenzen der COVID-19 Pandemie auf die Anzahl der Geburten und Fertilitätsraten in hochentwickelten Ländern analysieren, eine verlässliche Datenbasis vorausgesetzt.
Dabei werden wir uns auf Folgendes konzentrieren:
Wir werden die Indikatoren für die Schwere der Pandemie, nicht-pharmazeutische Eingriffe (z.B. reduzierte Mobilität, Lockdowns und Schulschließungen) und deren wirtschaftliche Konsequenzen zu den Veränderungen in Geburten- und Fertilitätsraten in Relation setzen. Wir werden kurzfristige Fertilitätsschocks berücksichtigen und monatliche Trends der Fertilitätsraten über hoch entwickelte Länder schätzen. Des Weiteren werden wir langfristige Reaktionen im Fertilitätsverhalten nach Alter und Geburtenfolge sowie für Migrantinnen und Migranten betrachten.
Die Anzahl der COVID-19 Infektionen ist entscheidend, um die Pandemie zuverlässig nachzuverfolgen. Allerdings ist es aufgrund unterschiedlicher Testmethoden, asymptomatischer Verläufe und begrenzter Testkapazitäten sehr anspruchsvoll, alle Infektionsfälle zu ermitteln. So genannte „Seroprävalenzstudien“ beabsichtigen, diese Diskrepanz auszugleichen, indem die Anzahl der Infektionen im Nachhinein erfasst wird. Da dies sehr teuer und zeitintensiv sein kann, ist deren Anwendungsbereich wiederum auf spezielle Bevölkerungsgruppen begrenzt. In unserer Studie kombinieren wir demographische Daten, geschätzte Infektionssterblichkeitsraten und gemeldete Sterblichkeitsraten auf Basis eines statistischen Modells. Somit schätzen wir indirekt den Anteil den Anteil der Personen, die jemals mit COVID-19 infiziert waren, sowie den Anteil der Personen, deren COVID-19 Infektion auch erkannt wurde. Unser Ansatz kann ein nützliches Hilfsmittel sein, welches Seroprävalenzstudien ergänzt und zu verstehen gibt, wie wirkungsvoll Teststrategien seit dem Ausbruch der Pandemie gewesen sind. Während sich unser aktuell publizierter Artikel auf die Entwicklung in den USA konzentriert, kann unser Modell für jedes Land der Welt angewandt werden, so auch für Österreich.
Im Rahmen eines epidemiologischen Modells, innerhalb dessen wir verschiedene Risikogruppen, nämlich Personen im Erwerbsleben sowie Personen während der Pension, betrachten, schätzen wir die Entwicklung der Pandemie ein - sowohl in ökonomischer als auch in gesundheitsökonomischer Hinsicht. Auf Basis unseres Modells berücksichtigen wir sowohl die Möglichkeit eines unterschiedlich intensiven Lockdowns der Wirtschaft als auch die optimale Verteilung der Impfungen innerhalb der Bevölkerung, um die wirtschaftlichen Kosten der COVID-19 Pandemie zu minimieren.
Wir untersuchen den Einfluss von COVID-19 auf das Mortalitätsniveau sowie -trends in den am stärksten betroffenen italienischen Provinzen (Bergamo, Brescia, Cremona, Lauden and Piacenza). Statt uns auf die Anzahl der COVID-19 getesteten Todesfälle zu verlassen, was vermutlich zu zu geringen Meldungen führt, konzentrieren wir uns auf verlässliche administrative Daten, die sich auf die Gesamtmortalität beziehen und vom Statistischen Amt in Italien (Istituto Nazionale di Statistica, ISTAT) erfasst werden.
Die Anzahl an COVID-19 Sterbefällen variiert substantiell zwischen verschiedenen Ländern. Wissenschaftler*innen versuchen, die zugrunde liegenden Ursachen für die beobachteten Länderunterschiede zu finden. Allerdings ist es aufgrund von Unterschieden im Testumfang sowie Ungleichheiten in der Definition der COVID-19 bezogenen Sterblichkeit eine Herausforderung, COVID-19 Todesfälle über Länder zu vergleichen. Unser Ziel ist es daher, eine umfassende Datenbasis zu schaffen und zu erhalten, welche nicht nur die Anzahl von COVID-19 Sterbefällen sondern auch die entsprechenden Metadaten, also detaillierte Informationen zum Prozess der Datenerhebung, enthält. Es handelt sich um ein internationales Projekt, an dem mehrere Forscher*innen zusammenarbeiten, die wiederum die Daten für unterschiedliche Länder bereitstellen; so das VID für Österreich.
COVID-19 Todesfälle sind ungleich auf die Geschlechter verteilt: Männer dominieren die Sterbefallstatistik und weisen eine höhere Fallsterblichkeitsrate auf als Frauen. Dies steht in den meisten Ländern wiederum im Gegensatz zu den berichteten Fallzahlen, die eine weitgehende Gleichheit zwischen den Geschlechtern zeigt.
Wir identifizieren die Rolle der Demographie bezogen auf die Bevölkerungsgröße und Altersverteilung bzgl. der COVID-19 Sterblichkeitsraten und quantifizieren die maximale Anzahl an Leben, die auf Basis unterschiedlicher Teststrategien, unterschiedlicher Niveaus von Herdenimmunität und speziellen Bevölkerungscharakteristika gerettet werden können.
Es gibt große Unterschiede darin, wie stark verschiedene und miteinander vernetzte Bevölkerungsgruppen - je nach Region, Veranlagung und beruflicher Tätigkeit - von der COVID-19 Pandemie betroffen sind. Wir untersuchen, wie sich Maßnahmen bzgl. Testung und „Social distancing” optimal an solche Unterschiede über „Bevölkerungs-Cluster” oder Netzwerke hinweg anpassen sollten.
Die COVID-19 Pandemie hat sehr deutlich das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern von tierischen auf menschliche Populationen (sogenannter Zoonose) offengelegt; ein Risiko, das tendenziell mit zunehmender Ausbeutung des natürlichen Lebensraums ansteigen wird. Auf Basis mathematischer Modelle untersuchen wir die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt - unter dem Risiko der Übertragung von Krankheitserregern - sowie die unterschiedliche dynamische Entwicklung für verschiedene Modellparameter.
Unsere Analyse des Einflusses eines oder mehrerer (unterschiedlich langer und starker) Lockdowns ermöglicht uns, drastische Unterschiede in Bezug auf ein Performance-Maß (zusammengesetzt aus unterschiedlich gewichtetem ökonomischen und gesundheits-ökonomischen Anteil) zu identifizieren. Für spezielle Modellspezifikationen zeigen sich sogar zwei oder drei unterschiedliche Politiken als optimal.
Durch die Inkludierung einer Impfung zur Analyse sind wir in der Lage, die optimale Verteilung der Impfdosen über die Zeit für verschiedene Bevölkerungsgruppen samt der optimalen Begleitung zusätzlicher Lockdowns zu berechnen.
Allein bisher hat die COVID-19 Pandemie, verbunden mit den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung, eine enorme makro-ökonomische Belastung verursacht. Besorgniserregend ist auch die Ungewissheit darüber, wie lange sich diese Belastung in die Zukunft ausdehnen könnte. Als Grundlage weiterer Betrachtungen berechnen wir zunächst die direkt durch Mortalität, Morbidität und Behandlungskosten verursachte ökonomische Belastung der COVID-19 Pandemie für eine Auswahl an Ländern unter verschiedenen Annahmen bzgl. der weiteren pandemischen Entwicklung.
Passend zu der beispiellosen Geschwindigkeit, mit der sich COVID-19 auf der Welt ausbreitet, entsteht eine Literatur, die sich mit den ökonomischen Auswirkungen der Pandemie beschäftigt. Gemeinsam mit der existenten Literatur zu ansteckenden Krankheiten bieten wir einen aktuellen Überblick und fassen die Schlüsselerkenntnisse für ein erfolgreiches Management der ökonomischen Konsequenzen von Pandemien zusammen.
Unser „COVID-19 Tracker” präsentiert Zeitreihen ausgewählter Indikatoren für ausgewählte Länder aus vergleichender Perspektive. Der „COVID-19 Tracker” zeigt u.a. die Fallzahlen insgesamt, neue COVID-19 Fälle, tägliche Todesfälle und abgeleitete relative Indikatoren, wie z.B. die Fallzahlen pro 100.000 Einwohner oder den relativen Anstieg der neuen Fallzahlen.
Detaillierte fachwissenschaftliche Informationen und Ergebnisse zu unseren COVID-19 Forschungsthemen in englischer Sprache finden Sie hier.