Sounds & Sights of Science #11

Was ist zu hören?
In diesem Interviewausschnitt ist ein etwa 30-jähriger Druse aus Obergaliläa zu hören, der sich an ein früheres Leben zurückerinnern kann. Er berichtet, wie er als Kind während einer Hochzeitsfeier von jemandem einen Schlag verpasst bekam und plötzlich „wie ferngesteuert“ den Weg zu seinem früheren Haus fand: Ich klopfte, die alte Frau öffnete – und ich sagte: „Hallo, ich bin Dein Sohn. Du bist meine Mutter!“
In weiterer Folge erzählt der Interviewpartner, dass er auch die Geschwister aus seinem früheren Leben wiedererkannte und beim Namen nennen konnte. Im kurzen Interviewausschnitt nicht mehr zu hören sind seine ausführlicheren Schilderungen, wie er in seinem früheren Leben zu Tode kam (als drusischer Soldat in der israelischen Armee im Gaza-Streifen), wie er seine frühere Identität erfolgreich beweisen konnte (durch Kenntnis spezieller Geheimnisse, die nur der Verstorbene wissen konnte) und wie er darunter litt, dass ihm (zunächst) nicht alle glaubten. Ferner berichtet der Interviewpartner von den Ambivalenzen und Schwierigkeiten, die mit seiner Doppelrolle einhergehen.
Was ist daran besonders interessant?
Die Aufnahme verkörpert eine „typisch drusische“ Wiedergeburtsgeschichte.
Drusen – eine ethnisch-religiöse Minderheit im Nahen Osten, deren Siedlungsgebiete größtenteils in den heutigen Nationalstaaten Syrien, Libanon und Israel liegen – glauben an das Prinzip der Wiedergeburt: Drusen werden stets als Drusen wiedergeboren.
Jenseits dieser Grundregel werden unter den Drusen auch besondere Fälle erzählt: Fälle, in denen einzelne Kinder ganz konkrete Erinnerungen an ein vorangegangenes Leben haben und dieses nicht vergessen können. Wie unser Interviewpartner machen sich derartige Kinder häufig auf den Weg, um die Liebsten aus ihrem früheren Leben zu suchen. Werden sie fündig und wird ihre Geschichte vom Umfeld sozial anerkannt, so leben derartige Menschen in einer Doppelrolle: Sie sind Teil jener Familie, in die sie gegenwärtig hineingeboren wurden, und jener ihres früheren Lebens.
Aus sozialanthropologischer Perspektive besonders interessant ist das hohe Ausmaß der Authentizität, mit der viele „sprechende“ (sich an das Vorleben zurückerinnernde) Kinder in das Setting ihrer früheren Familie reintegriert werden. Darüber hinaus schaffen derartige Erzählungen und damit verbundene Diskurse auch „ideologische“ Brücken hin zu einer gemeinsamen drusischen Identität.
Wie beschäftige ich mich damit?
Fälle wie diese werden im Zuge ethnologischer Feldforschungen erhoben und am Phonogrammarchiv archiviert. Den Rahmen bildet ein von mir geleitetes FWF-Projekt, dem ein partizipativer Forschungsansatz zugrunde liegt.
Gebhard Fartacek ist Kultur- und Sozialanthropologe und als Kurator für die Nahostbestände zuständig. Er forscht zu religiösen Minderheiten, lokalkulturellen Konfliktbewältigungsstrategien und Identitätskonstruktionen im Nahen Osten.
Links
Projekthomepage: FWF-Einzelforschungsprojekt P28736 – Death & Life: Local Conceptions of Reincarnation among the Druzes in the Middle East.