14.01.2022

SOUNDS & SIGHTS OF SCIENCE #1

Wilhelm von Hartel (1906) - vorgestellt von Christian Liebl

AÖAW, Phonogrammarchiv, K. 1, Konv. 1, Akt-No. 1899/524 [Gründungsantrag]

WAS IST ZU HÖREN?

Der am 14. Jänner vor 115 Jahren verstorbene Wilhelm von Hartel (1839–1907), Ordinarius für klassische Philologie an der Universität Wien, Minister für Kultus und Unterricht (1900–1905) sowie Inhaber zahlreicher anderer Ämter, stand sozusagen an der Wiege des Phonogrammarchivs: Zusammen mit fünf weiteren Mitgliedern der philosophisch-historischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse brachte er am 27. April 1899 in der allgemeinen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien einen Antrag auf Gründung „einer Art phonographischen Archives“ ein, um „die Vorgänge der Gegenwart für die Nachwelt aufzubewahren“.

In dieser Aufnahme von 1906 spricht Hartel, damals Vizepräsident der Akademie, über die Einrichtung der Phonogrammarchivskommission (der er bis zu seinem Tode angehören sollte) und die Bedeutung der Phonographie.
 

► AUFNAHME ABSPIELEN

 

WAS IST DARAN BESONDERS INTERESSANT?

Hartel nimmt klar Bezug auf eben jene drei Bereiche, die schon im Gründungsantrag als zentrale Aufgaben des Phonogrammarchivs genannt wurden: die Aufnahme von Sprachen und Musik sowie von Stimmen berühmter Persönlichkeiten. Im Gegensatz zu manch anderen seiner Zeitgenossen tritt er uns hier als glühender Verfechter für den Einsatz des 29 Jahre zuvor erfundenen Phonographen für die Wissenschaft entgegen. Als Philologe betont er dabei zurecht die Bedeutung der Tonaufzeichnung insbesondere für die Erforschung von Sprachen und Dialekten und beweist damit nicht nur seine Vertrautheit mit der Materie, sondern auch eine überraschend progressive Einstellung.

WIE BESCHÄFTIGE ICH MICH DAMIT?

Dieser Zusammenschnitt basiert auf Ph 202–203, zwei sogenannten Phonogrammen (gemeint sind hier Wachsplatten mit einer Spieldauer von jeweils ca. zwei Minuten, die mit dem in Wien entwickelten Archiv-Phonographen in Edison’scher Tiefenschrift aufgenommen wurden). Sie gehören zu jener bedeutenden Sammlung von „Stimmporträts“, die 1999 als Serie 2 unserer wissenschaftlich kommentierten CD-Edition (Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899–1950) publiziert wurde, wobei meine Mitarbeit damals noch „hinter den Kulissen“ stattfand. Seither beschäftige ich mich mit den historischen Aufnahmen von Stimmen (mehr oder weniger) berühmter Persönlichkeiten vor allem im Rahmen von (populärwissenschaftlichen) Vorträgen und versuche dabei auch stets, das Tondokument mit Blick auf die Biographie der aufgenommenen Person zu kontextualisieren.


 

Christian Liebl ist Kurator der Historischen Sammlungen des Phonogrammarchivs.

 

Links

Ph 202–203 im Online-Katalog des Phonogrammarchivs 

Wilhelm von Hartel im Österreichischen Biographischen Lexikon

Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899–1950, Serie 2: Stimmporträts